Zivilcourage gegen Nazis stärken

Rede, Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 165. Sitzung - 08.03.2012

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So wie der Anfang der Rede des Kollegen Sensburg gut war, war der Schluss der Rede vom  Kollegen Ruppert gut.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Es werden Noten vergeben! - Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Oberlehrerin!)

Ich denke, wir sind uns wirklich im gesamten Hause einig, dass Zivilcourage wichtig ist. Ich erinnere daran, dass in Münster das gesamte demokratische Spektrum zur Demonstration aufgerufen hat, also auch CDU und FDP. Das ist sehr gut und ist bei dem Thema auch sehr wichtig. Wir sollten uns dabei so wenig wie möglich auseinanderdividieren lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings ist es so, dass sich bei Demonstrationen die Abgeordneten nicht bei der Polizei anmelden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen unseren Abgeordnetenausweis dabeihaben, damit wir ihn der Polizei vorzeigen können, aber wir müssen uns nicht anmelden. Das ist in diesem Zusammenhang wichtig.

(Iris Gleicke (SPD): Das wäre ja noch schöner! Da würde ich mich herzlich bedanken, wenn ich mich irgendwo anmelden müsste!)

Die Polizei muss natürlich eine Demonstration schützen, egal welche; denn das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht und ist deshalb sehr hoch angesiedelt. Allerdings ist es nicht hinnehmbar, wenn die Polizei unverhältnismäßig reagiert. In diesem Sinne müssen die Vorkehrungen, die in Münster getroffen worden sind, untersucht und ausgewertet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Demonstrationen und auch Blockaden können wichtig und notwendig sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht das Gleiche!)

Ich möchte einige Beispiele der letzten Wochen aus Sachsen erzählen. Sachsen ist meistens berühmt für seine negativen Beispiele, aber in den letzten Wochen hatten wir auch Positives zu berichten.

Am letzten Montag gab es eine sehr große Antinazidemo in Chemnitz, wo die Rechtsextremen wieder einmal ihren sogenannten Trauermarsch durchziehen wollten. Dort ist es der Polizei gelungen, deeskalierend zu wirken und dafür zu sorgen, dass Demonstrationen in Hör- und Sichtweite möglich waren. Das ist gut so, und das ist wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genauso gut hat es in diesem Jahr in Dresden geklappt. Am 13. Februar, als die Nazis in Dresden den Tag der Bombardierung ausnutzen wollten, gab es friedliche Blockaden, die wichtig waren, weil die Strecken freigehalten wurden. Es ist friedlich geblieben. Auch hier hat die Polizei deeskalierend eingewirkt. Die Nazis mussten ihre Route verkürzen. Sie sind einmal kurz um den Block gelaufen und haben sich darüber wahrscheinlich nicht sehr gefreut.

Am 18. Februar haben wir dann noch einmal eine gut besuchte, bunte Demo in Dresden gehabt. Seit vielen Jahren gibt es eine gute Arbeit vor Ort in Dresden. Es ist das dritte Jahr in Folge, dass die Demonstration so erfolgreich war. Ich möchte von hier aus allen Demonstrantinnen und Demonstranten von nah und fern danken, dass sie uns bundesweit unterstützt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern ist es, bei Demonstrationen unterstützend, beobachtend und deeskalierend tätig zu sein.

(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Was? Wo steht das?)

Allerdings ist es auch Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Initiativen zu schaffen, das heißt für uns, die passenden präventiven Programme für die Bürgerinnen und Bürger aufzulegen, die sich in ihrer Region gegen alte und neue Nazis engagieren.

(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wir haben Gewaltenteilung!)

Man muss leider konstatieren, dass die Regierung hier in den letzten Jahren nichts dazugelernt hat. Die Ministerin legt lieber Programme gegen sogenannten Linksextremismus auf. In der letzten Woche war in den Medien zu lesen, dass das Deutsche Jugendinstitut, das eine Evaluation dieses Programms durchgeführt hat, diesem Programm ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hat. Es wurde kritisiert, dass der Begriff „Linksextremismus“ wissenschaftlich völlig unzureichend ist. Man kann nicht die richtigen Programme auflegen, weil man gar nicht weiß, was da der Ansatz ist. Deshalb rufe ich die Ministerin auf, die 2,5 Millionen Euro endlich den Programmen gegen Rechtsextremismus zur Verfügung zu stellen; denn dort ist das Geld immer noch sehr nötig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Kollegin Kolbe hat die Extremismusklausel angesprochen. Nach den aktuellen Vorfällen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie immer noch daran festhalten und ausgerechnet von denen, die sich tagtäglich, auch in schwierigen Regionen, für unsere Demokratie engagieren, eine Unterschrift abverlangen.

(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wo ist das Problem?)

Das ist wirklich kontraproduktiv. Von daher ‑ auch wenn Sie es nicht mehr hören können; wir machen so lange weiter, bis wir es geschafft haben ‑: Die Extremismusklausel muss wirklich endlich weg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN ‑ Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wo ist das Problem?)

Positiv zu erwähnen ist, dass wir im November nach den Erkenntnissen zum NSU wirklich einmal einen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben. Damit ist jetzt im gesamten Spektrum hier im Bundestag klar: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen.

Allerdings: Was kam danach? Aktionismus! Ministerin Schröder stellt das nun doch nicht gekürzte Budget der Bundesprogramme nicht den Initiativen zur Verfügung, sondern schafft ein Informations- und Kompetenzzentrum. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Es gibt genügend Know-how und Vernetzung. Was fehlt, ist die nachhaltige Förderung. Das ist die Hauptaufgabe. Es geht nicht darum, noch zusätzliche Strukturen zu schaffen, die den Leuten vor Ort überhaupt nicht zugutekommen.

Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass wir die richtigen Lehren aus all den Ereignissen ziehen müssen, egal ob wir auf Demonstrationen, auf der Straße oder hier im Plenum sind. Wir müssen mehr in unsere Demokratie investieren. Wir müssen die engagierten Initiativen und Projekte unterstützen und dürfen sie nicht, wie es die Koalition immer noch tut, behindern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

 

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