„Heißer Kampf ums Direktmandat“ – Bundestagskandidaten streiten in LVZ-Kuppel

Pressebericht, LVZ-Online, 18.09.2013

von Matthias Roth

Leipzig.
„Noch viermal schlafen, dann kommt die Entscheidung.“ André Böhmer, stellvertretender Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, machte den Bundestagskandidaten aus dem Wahlkreis 153 deutlich, viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr, um die Bürger von ihren Auffassungen zu überzeugen. Am Mittwochabend hatten sie dazu noch einmal gemeinsam die Gelegenheit – beim Wahlforum in der LVZ-Kuppel.

Böhmer kündigte an: „Es wird ein heißer Kampf ums Direktmandat:“ Er spielte damit auf den knappen Ausgang vor vier Jahren an. Damals gewann Thomas Feist (CDU) mit 28,8 Prozent, vor Mike Nagler (Die Linke) mit 25,3 Prozent, Wolfgang Tiefensee (SPD) mit 23 Prozent und Monika Lazar (Grüne) mit 12,2 Prozent. Dieses Quartett stellt sich am Sonntag erneut zur Abstimmung. Für die FDP will Holger Krahmer den Sitz im Berliner Reichstagsgebäude erringen.

In der knapp zweieinhalb Stunden dauernden Gesprächsrunde machten die Politiker vor allem eines deutlich: Sie wollen in der Bundespolitik Akzente setzen, die den Leipzigern zu Gute kommen. Die Fachgebiete der Kandidaten sind dabei durchaus unterschiedlich.

Thomas Feist präsentierte sich vor allem als Bildungspolitiker. „Trotz Länderhoheit muss es in der Schulpolitik zentrale Vorgaben geben“, betonte er. In Deutschland existierten 96 Schulformen, zu viele, wie Feist findet. Sachsen mit seinem Bildungssystem tauge als Vorbild für die gesamte Bundesrepublik.

Nagler: Stadtwerke gehören den Gemeinden


Mike Nagler (Die Linke) hat seine Kernthemen mit direkter Bürgerbeteiligung und dem Erhalt des öffentlichen Eigentums abgesteckt. „Volksentscheide müssen auch auf Bundesebene eingeführt werden“, forderte er. Zudem müsse die Privatisierungspolitik in den Kommunen umgekehrt werden. Unternehmen wie die Stadtwerke gehörten in die Hände der Gemeinden.

Leipzigs Ex-OBM  Wolfgang Tiefensee (SPD) plädiert für gleiche Löhne und ein einheitliches Rentensystem in Ost und West. „Gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden“, sagte er und merkte an, dass kein Leiharbeiter weniger als 8,50 Euro verdienen darf. „Die Leipziger wollen das, das wissen wir von unseren Hausbesuchen“, versicherte der Sozialdemokrat.

Streit zwischen Lazar und Krahmer

Monika Lazar (Grüne) besetzt ein Kernthema ihre Partei – die Enerige. Bis 2030 solle sie aus erneuerbaren Rohstoffen gewonnen werden. Bestehende Tagebaue reichten bis dahin aus. „Pödelwitz muss deshalb nicht abgebaggert werden“, erklärte sie und erntete heftige Kritik ihres liberalen Politikerkollegen Krahmer.

Er nannte die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als aus dem Ruder geraten. „Das ist ein Beispiel für Planwirtschaft und trifft die Achillesverse der deutschen Wirtschaft“, so der Europaabgeordnete. Wenn es nach ihm ginge, würde das EEG abgeschafft. Statt dessen setzt Krahmer weiter auf fossile Träger und schließt auch den Neubau von Kraftwerken nicht aus. „Wäre ich nicht gerade beim Friseur gewesen, mir würden die Haare zu Berge stehen“, kommentierte Tiefensee Krahmers Zukunftspläne. Der Sozialdemokrat will sich dafür einsetzen, dass bei den Bürgern die zweite Miete sinkt, durch Reduzierung der Stromsteuer und Förderung von Gebäudedämmung.

Neben der Energiepolitik stritten die Kandidaten auch beim Lieblingsthema von Thomas Feist leidenschaftlich – der Bildungspolitik. Der CDU-Mann nannte es einen Skandal, dass die Stadt Leipzig 16 Sozialarbeiterstellen an Schulen streichen will, nachdem die Anschubfinanzierung des Bundes ausläuft.

Holger Krahmer war auch bei diesem Thema im Bilde, Schüler hätten ihm Postkarten geschickt und über die Kürzungen informiert. Fast noch mehr als über die geplanten Streichungen war Krahmer allerdings über die vielen Rechtschreibfehler in der Post besorgt. „Die Kinder werden in den Schulen nicht gut auf’s Leben vorbereitet. Das merken dann später auch die Unternehmen, die keine geeigneten Leute finden“, so Krahmer. Tiefensee setzt sich deshalb für eine kostenlose Ausbildung ein – von der Kita bis zum Studium. Und wenn es nach Mike Nagler geht, müssen Kinder länger gemeinsam lernen. „Durch die frühe Spaltung nach der vierten Klasse werden schon die Lebensentwürfe festgeschrieben“, so der Parteilose, der aber für die Linke antritt und Beistand von Lazar erhielt. „Viele Kinder entwickeln sich erst später“, meinte sie.

Krahmer gegen die eigene Partei

Moderator Böhmer, der die Kandidaten immer wieder ermahnte sich zu kurz zu fassen, gab aber auch den rund 150 Gästen in der Kuppel die Gelegenheit zu Fragen. Ein Besucher wollte es genau wissen und konstruierte einen Fall: „Eine Gesetzesvorlage ihrer Fraktion hätte zur Folge, dass 500 Millionen Euro verbrannt werden. Würden Sie in diesem Fall auch mit der Opposition stimmen, wie steht es um ihr Gewissen?“

Das war eine Steilvorlage für Holger Krahmer. „Ich habe einen eigenen Kopf und setze den auch durch“, sagte er. Das gefalle in der FDP nicht jedem und sei auch ein Grund, weshalb ihn Fraktionschef Rainer Brüderle nicht in Leipzig beim Wahlkampf unterstützt habe. Mike Nagler fühlt sich als parteiloser Kandidat keiner Fraktionsdisziplin unterworfen und nur seinen Wählern gegenüber verantwortlich. Monika Lazar erklärte, schon mehrfach im Parlament gegen die eigene Fraktion votiert zu haben. Wolfgang Tiefensee und Thomas Feist wollen es zu solchen Abstimmungen gar nicht erst kommen lassen und solche Gesetzesvorlagen schon in den Vorberatungen unterbinden.

Den Lacher des Abends landete im Publikum CDU-Politiker Feist. Beim Thema demografischer Wandel und der damit verbundenen Landflucht junger Menschen, hatte er eine simple Lösung parat: „Die Mieten in den Städten müssen höher sein“, sagte er. Dadurch werde ein Umzug in ländliche Regionen wieder attraktiv.

Wie heiß der Kampf ums Mandat am Ende wirklich war, können die Leipziger am Sonntag im Neuen Rathaus verfolgen. Dort werden im Festsaal um 18.30 Uhr die ersten Ergebnisse aus Leipzig präsentiert.
 
© LVZ-Online, 18.09.2013, 22:27 Uhr