Und gegen autoritäre Politik. Gegen genau das, was mit Typen wie Trump, Erdogan, Orban und Putin scheinbar überall eine Renaissance erlebt: mit „starken Männern“, die mit Lügen, Verleumdungen und Verächtlichmachung die Emotionen schüren und wieder mit uralten Vorurteilen suggerieren, man könne die Welt irgendwie wieder reparieren, indem man auf Minderheiten und Andersdenkende eindrischt.
Und damit erreichen sie vor allem jene, die sowieso schon verunsichert sind. Nicht nur die Demokratie selbst ist ein anspruchsvolles Ding – sie ist auch schon länger lädiert, weil sie sich immer wieder dem „Primat der Wirtschaft“ untergeordnet hat.
Vom Bild einer als heil empfundenen Vergangenheit aber lassen sich viele einfangen, besonders Menschen, die zum „autoritären Charakter“ neigen, wie es die Leipziger Forscher in ihrer Autoritarismus-Studie, die sie am Mittwoch, 7. November vorstellten, nennen.
Die Strukturmerkmale zu diesem Charakter lassen sich abfragen. Sie erzählen in der Regel von Menschen, die sich zutiefst verunsichert und machtlos fühlen und ungerecht behandelt, starke Defizite im eigenen Selbstbild haben, die gefühlte Schwäche aber verwandeln in ein Überlegenheitsgefühl gegenüber noch Schwächeren. Vermeintlichen Konkurrenten um ein sicheres Leben.
Logisch, dass am Mittwoch zwei selbstbewusste Politikerinnen der Grünen zuerst auf die Ergebnisse der Studie reagierten.
Denn in Wirklichkeit bestätigt die Studie ja auch, dass andere Parteien mit ihrer öffentlichen Anbiederung an die fremdenfeindlichen Positionen der AfD genau diese Stimmung geschürt haben, die heute gerade in Ostdeutschland herrscht.
„Die aktuellen Ergebnisse der Studie mit dem Titel ‚Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft‘ sind erschütternd. Dass die geschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeit deutlich von 20,4 auf 24,1 Prozent angestiegen ist – in Ostdeutschland sogar von 22,7 auf 30,9 Prozent – belegt auf alarmierende Weise, wie die zunehmende Verrohung der Sprache im Diskurs über Migration den gesellschaftlichen Zusammenhalt erodieren lässt“, kommentiert Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus in der Grünen-Bundestagsfraktion, die Ergebnisse der Studie.
„Wenig überraschend ist der Befund, dass Rechtsextreme in der AfD eine politische Heimat gefunden haben. Dies zeigte sich zuletzt deutlich bei den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz. Wir Demokratinnen und Demokraten müssen stärker als bisher deutlich machen, dass jene, die mit Hass und Hetze auf Stimmenfang gehen, nur scheinbare Alternativen bieten und keinerlei Lösungen für die drängendsten Fragen unserer Zeit haben.“
Da gehen wir jetzt erst einmal nicht ausführlich auf das Thema Politisches Framing ein. Denn wenn man Minderheiten – so wie es mit Muslimen, Sinti und Roma oder Nordafrikanern seit drei Jahren unausgesetzt passiert – allein in den Fokus der Stimmungsmache rückt, dann stehen sie irgendwann genau so da: als einzig wahrgenommene Verursacher all der Nöte, die man ihnen zuschreibt.
Die eigentlichen Ursachen verschwinden. Die Sündenböcke sind von den Fundamentalisten des Hasses benannt. Und alle sehen nur noch die Themen der Rechtsradikalen. Und verantwortliche Minister, die eigentlich gegen diesen geschürten Hass aktiv werden müssten, blieben entweder tatenlos – oder sie zündelten eifrig mit wie der Bundesinnenminister Horst Seehofer.
„Die Aggression gegen Sinti und Roma, Asylbewerber und Muslime nimmt laut der Studie kontinuierlich zu. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, wirksame Maßnahmen zum Schutz der besonders von Abwertung betroffenen Gruppen zu treffen“, sagt Lazar. „Die rechtsstaatlichen Möglichkeiten müssen dabei konsequenter als bisher ausgeschöpft werden. Der Bundesinnenminister, der kürzlich Migration als ‚die Mutter aller Probleme‘ bezeichnete, muss dafür in einem ersten Schritt endlich glaubhaft deutlich machen, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund sich vom Staat repräsentiert fühlen können und von ihm in Schutz genommen werden.“
Für Monika Lazar ist jetzt erst recht klar: „Es braucht eine eindeutige und offensive Distanzierung von rechtspopulistischen Diskursen, vor allem auch innerhalb der Koalition. Es gilt heute mehr denn je, humanistische Werte, Menschenrechte und Geschichtsbewusstsein in den Vordergrund zu stellen.
Darüber hinaus muss die demokratische Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen verbessert, mehr Partizipationsmöglichkeiten in Schulen, an den Unis, in Betrieben und anderen Einrichtungen geschaffen werden. Alle Demokratinnen und Demokraten sind durch die Studie aufgefordert, gemeinsam für eine lebhafte und vielfältige Demokratie zu streiten – in Deutschland und in einem gemeinsamen Europa.“
Aber dafür braucht es eben auch Politiker mit Rückgrat, die nicht windelweich werden, wenn das Geschrei der Rechtsradikalen immer unverschämter wird. Und die nicht sofort bereit sind, sämtliche Freiheiten des Grundgesetztes zur Disposition zu stellen, nur weil die Hassorgie der Radikalen immer böswilliger wird.
„Wenn fast jede und jeder Dritte ausländerfeindliche Positionen vertritt oder antisemitischen Positionen zumindest teilweise zustimmt, haben wir ein ernstes Problem. Dass Ausländerfeindlichkeit, die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur und der Sozialdarwinismus in Ostdeutschland stärker verankert sind, muss uns wachrütteln. Bildungsungerechtigkeiten und individueller Ökonomisierungsdruck gefährden unsere plurale und demokratische Gesellschaft“, geht Christin Melcher, Landesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen, auf eine der wichtigsten Ursachen für die verbreitete Unsicherheit der Bürger ein, die zum Nährboden für die menschenfeindlichen Parolen der Rechten geworden ist. Wenn sich Menschen in ihrem Leben und in ihrer Arbeit immer mehr entwertet fühlen, hat das Folgen. Auch das beschreibt die Studie.
„Die Studie zeigt auch, dass der zunehmende Eingriff des Staates in unsere Bürger- und Freiheitsrechte autoritäre Positionen befeuert, statt diese zu mindern“, stellt Melcher fest. Und damit darf sich durchaus auch die sächsische Regierung gemeint fühlen, die genauso vor der Frage ausweicht, wie sie die Demokratie im Freistaat eigentlich verteidigen will.
Dazu ist ein heruntergesparter Staatsapparat nur noch beschränkt in der Lage. Ergebnis, so Melcher: „Die Hälfte der Befragten ist unzufrieden mit der demokratischen Praxis und Teilhabe. Das bestärkt uns in unserem Kurs, endlich eine neue politische Kultur und Bildungsgerechtigkeit in unserem Land umzusetzen. Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen, Teilhabe und Partizipation auf allen Ebenen der Politik, vor allem aber die soziale Ermöglichung von politischem Engagement sind dringend notwendig. Es braucht die bildungspolitischen, ökonomischen und rechtlichen Voraussetzungen, damit sich Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung entfalten können und unsere Demokratie mit Gestaltungswillen ausgefüllt wird.“
Der „Markt“ regelt nämlich nichts dergleichen. Der bevorteilt vor allem jene, die die modernen Medien mit Brachialgewalt dazu nutzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen und mit ihren schreienden Botschaften direkt in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Aufmerksamkeitsökonomie nennt man das. Die Gesellschaft wird zum Jahrmarkt und die lautesten Schauspieler ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Genau so wie in Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“.
Aber wer liest denn heute noch? Das Geschrei aus den Netzwerken, der tägliche Horrorclown sind ja so viel interessanter …
Autor: Ralf Julke
[Quelle: www.l-iz.de]