Heidelberg. Unter normalen Umständen würden die Fußballfans gerade darüber debattieren, ob der FC Bayern heute ins DFB-Pokalfinale einzieht und Bremen am Mittwoch in Frankfurt erneut einen Favoriten aus dem Rennen wirft. Nach den Beleidigungen gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp und dem im Raum stehenden Szenario, dass bei erneuten Vorfällen die Spiele abgebrochen werden, kreisen die Diskussionen hingegen um die Frage, ob die Partien überhaupt zu Ende gespielt werden. Seit dem Wochenende rasen Ultras und Verbände wie zwei ungebremste Züge aufeinander zu.
Michael Gabriel, Leiter der Koordinierungsstelle der sozialpädagogisch arbeitenden Fanprojekte (KOS), hat den Eindruck, dass die Diskussion um die Beleidigung von Hopp als "Hurensohn" den eigentlichen Grund der Proteste überlagert, an dem sich von Regensburg bis Berlin dutzende Fangruppen beteiligt haben: "Es geht bei den Protesten gegen Hopp um eine grundlegende Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs, die viele im Stadion mit den Ultras teilen. Die unangemessene Wortwahl überlagert aber dieses Anliegen." Konkreter Anlass für die koordinierten Fanproteste sei nun die Wiedereinführung der Kollektivstrafen gegen die Dortmunder Fans gewesen, die in den kommenden zwei Jahren kein Spiel in der Sinsheimer Arena besuchen dürfen.
Fans stellen sich gegen Ultras
Tatsächlich erfährt man im Online-Fanzine "Schwatzgelb.de", dass viele BVB-Fans zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt wurden, weil ihnen auf Videoaufnahmen nachgewiesen wurde, dass sie die Lippen bewegt hatten, als "Dietmar Hopp ist ein Hurensohn" skandiert wurde. Hopp hatte auf Beleidigung geklagt. Dass die Hoffenheimer Fans Leipzigs Timo Werner nach dessen Schwalbe gegen Schalke ebenfalls als "Hurensohn" besangen, habe bei der TSG hingegen niemanden interessiert. Wenn nun kein einziger Dortmundfan sein Team in Sinsheim unterstützen darf, treffe das auch viele hundert Fans, die das H-Wort nicht benutzt haben.
An diesem Punkt setzt die Solidarisierung der anderen Fanszenen ein, zumal der DFB vor zwei Jahren angekündigt hatte, er werde keine Kollektivstrafen mehr aussprechen. Der erste Teil des von den Bayernfans gezeigten Transparentes kritisierte genau das: "Alles bleibt beim Alten / Der DFB bricht sein Wort." Auch Michael Gabriel von der KOS glaubt, dass der zweite Teil mit dem H-Wort der problematische an den Protesten war: "Wer so formuliert, nimmt sich selbst die Chance, als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden."
Dass das auch viele Fans in den Kurven so sehen, haben am Wochenende auch einige Ultragruppen erfahren: In Bochum verweigerte der Rest des Stadions die Gefolgschaft, nachdem die Ultras gegen Hopp protestiert hatten. Und auch die Münchener Fangruppe, die eines der "Hurensohn"-Transparente verantwortet, betont, es handele sich "bei der Wortwahl nicht um unseren üblichen Stil, sondern um einen Bezug zu dem sanktionierten Spruchband der Dortmunder."
Dort wiederum spricht man den Verbänden und dem FC Bayern die moralische Autorität ab, sich über ein stilloses Schimpfwort aufzuregen: "Wir reden über den DFB und die DFL, die Repräsentanzen in China unterhalten. Selbst die Meldungen, dass dort der Volksstamm der Uiguren massenhaft zur ideologischen Umerziehung inhaftiert wird, hat zu keiner Protestnote geführt." Die "tief betroffenen Bayernspieler" trügen "auf ihren Ärmeln einen Sponsorenaufdruck für den Hamad International Airport in Katar." Dort herrsche das "unsägliche Kafalasystem, das arme Menschen zu Quasisklaven macht."
Ähnlich äußern sich auch andere Fanszenen, die den Verbänden vorwerfen, bei rassistischen Äußerungen die Augen zu schließen, nun aber und beim H-Wort mit einem Spielabbruch zu drohen.
Die sportpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Monika Lazar, stößt ins selbe Horn: "DFB und DFL haben mit den zahlreichen und nicht immer nachvollziehbaren Spielunterbrechungen einen Präzedenzfall geschaffen. Fortan müssen sie gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie genauso konsequent vorgehen wie gegen die Beleidigungen gegen Hopp."
Derweil hat der Schalker Sportvorstand Jochen Schneider angekündigt, heute Abend auf jede Warnphase verzichten zu wollen "Vielleicht brauchen wir einen Einstufenplan: Ein Transparent – Spielabbruch". Die Wahrscheinlichkeit, dass weder die eine noch die andere Fanszene ein Transparent zeigen wird, das Schneider missfällt, dürfte gering sein.
Autor: Christoph Ruf