"Integration mancher Deutscher ist gescheitert"

Pressebericht, welt.de, 21.02.16

In Bautzen brennt ein Asylheim, und Augenzeugen klatschen Beifall. Sachsens Ministerpräsident hält die Beteiligten für "Verbrecher". CDU-Vize Laschet vermisst in Sachsen die deutsche Leitkultur.

Clausnitz und Bautzen. Wieder hat eine Flüchtlingsunterkunft gebrannt. Dieses Mal im sächsischen Bautzen. Die Ermittler gehen von Brandstiftung aus und mehr noch: Schaulustige behinderten die Feuerwehr bei den Löscharbeiten.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat die fremdenfeindlichen Vorfälle in Clausnitz und Bautzen als "widerlich und abscheulich" bezeichnet. In Clausnitz hatte ein aufgebrachter Mob am Donnerstagabend stundenlang einen Bus mit ankommenden Flüchtlingen blockiert. In Bautzen quittierten Schaulustige einen Brand in einem noch nicht bezogenen Flüchtlingsheim am frühen Sonntagmorgen mit Beifall und abfälligen Bemerkungen, die Löscharbeiten wurden behindert. Ermittler fanden Spuren von Brandbeschleuniger in dem Gebäude.

Die Vorfälle seien erschreckend und schockierend zugleich, sagte Tillich den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher." Die Strafverfolgungsbehörden würden konsequent ermitteln und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Solche Taten besudelten "das, was die Menschen an Mut in der friedlichen Revolution aufgebracht haben und den Fleiß beim Wiederaufbau Sachsens".

CDU-Vize Armin Laschet zeigte sich alarmiert über die Vorfälle. "In Bautzen und Clausnitz ist die Integration mancher Deutscher in unsere Leitkultur, die für Humanität, Respekt und Anstand steht, gescheitert", sagte Laschet der "Welt". Ihn ließen "die Bilder von Menschen, die johlen, wenn Häuser brennen, erschaudern. Weil alles schon einmal da war." Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) sagte, Bilder wie aus Clausnitz dürfe es nicht geben. "Das ist peinlich für Deutschland und eine Schande. Was dort passiert ist, muss aufgeklärt und aufgearbeitet werden."

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) verteidigte den Polizeieinsatz bei den fremdenfeindlichen Vorfällen in Clausnitz. "Die Polizei musste konsequent handeln und hat das getan", sagte Ulbig am Sonntagabend in Dresden. Die Ursache für den Einsatz sei ein "Mob mit menschenverachtenden Äußerungen" gewesen. Die Flüchtlinge in dem Bus seien deshalb in Sorge gewesen und hätten Angst gehabt. Die Polizei habe deswegen einschreiten müssen.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nahm die Polizei in Schutz. "Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen", sagte de Maizière am Sonntagabend im "Bericht aus Berlin" der ARD.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, warnte im Gespräch mit der "Welt": "Sachsen muss aufpassen, dass es sich nicht allmählich zu einer Art 'failed state' (gescheiterter Staat, d. Red.) in Sachen Rechtsextremismus entwickelt."

Monika Lazar, Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus und Bundestagsabgeordnete aus Sachsen, sagte: "Wir sind in Sachsen ja schon einiges gewöhnt. Aber was in den letzten Tagen in Bautzen und Clausnitz passiert ist, da ringt man nur noch um Fassung."

Es sei kein Zufall, dass es in dem Bundesland besonders viele flüchtlingsfeindliche Übergriffe gebe. "Weil sächsische Landesregierungen seit den 90er-Jahren die Lage dramatisch unterschätzen, konnte die Saat von Pegida aufgehen. Statt Rassismus zu bekämpfen, warnen in Sachsen die CDU, Verfassungsschutz und Polizei lieber vor Linksextremismus." Die sächsische Landesregierung müsse "die Kräfte im Land stärken, die sich gegen Rassismus wehren". Dazu zähle etwa eine finanzielle Stärkung des Programms "Weltoffenes Sachsen".


Hass werde offen zur Schau getragen

Auch Innenminister Ulbig verurteilte die Vorfälle in Bautzen scharf. "Was mich besonders betroffen macht, ist die Tatsache, dass mehrere betrunkene Bautzener vor Ort pöbelten", sagte Ulbig. Es sei "unerträglich, wie offen und respektlos der Hass auf Ausländer zur Schau getragen wird", fügte er hinzu. "Wir stehen vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, diesen Hass aus den Köpfen der Menschen zu bekommen."


Die neuen Feindseligkeiten gegenüber Flüchtlingen in Sachsen haben am Wochenende bundesweit Empörung ausgelöst. Politiker von SPD, Grünen und Linken forderten Konsequenzen – auch bei der Polizei.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat die fremdenfeindlichen Vorfälle in Sachsen scharf verurteilt. "Wer unverhohlen Beifall klatscht, wenn Häuser brennen, und wer Flüchtlinge zu Tode ängstigt, handelt abscheulich und widerlich", schrieb der SPD-Politiker am Sonntag auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter.

Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), erklärte: "Da läuft etwas sehr verkehrt in Sachsen." Sie äußerte sich entsetzt über die Vorfälle in Clausnitz: "Ein Mob brüllt ausländerfeindliche Parolen und verhindert die Fahrt eines Busses mit Flüchtlingen zur Unterkunft und die Polizei kündigt Ermittlungen gegen die Flüchtlinge im Bus an."


Die Grünen in Berlin wollen das Thema auf die Tagesordnung des Bundestags bringen. Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann teilte mit, dass sie eine Aktuelle Stunde beantragen wolle. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erklärte zu den Vorfällen in Clausnitz: "Angesichts dieser Bilder muss man sich fragen, ob die sächsische Landesregierung nicht dabei ist, das Gewaltmonopol zu verlieren. Das Schlimme ist, dass dieser Mob sich bei jeder Äußerung von Horst Seehofer und Co ermuntert fühlen darf."

Auch wenn die Brandursache in Bautzen noch nicht feststehe, habe das für Extremismus zuständige Operative Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Polizei die Ermittlungen bereits übernommen, weil ein fremdenfeindlicher Anschlag nicht ausgeschlossen werden könne.


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