Stand: Februar 2010
Monika Lazar, sächsische Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der grünen Bundestagsfraktion:
Wenn es um die Zukunft der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus geht, wirft die zuständige Familienministerin Köhler mit Nebelkerzen um sich. Wollte Köhler zunächst die bestehenden Programme ohne zusätzliches Geld auf Linksextremismus und islamischen Extremismus ausweiten, zauberte sie angesichts des aufflammenden Protests in Öffentlichkeit und Bundestag plötzlich zwei neue Millionen aus dem Hut. Deren Herkunft „aus nicht verbrauchten Haushaltsmitteln“ hat sie bis heute nicht schlüssig erklärt.
An den Problemen vorbeigeplant
Rund 20.000 Straftaten begingen extrem Rechte laut Bundeskriminalamt im Jahr 2009, darunter mehr als 1.000 Gewalttaten. Immer wieder werden Opfer schwer verletzt und traumatisiert. Neonazis töteten seit der Deutschen Einheit ca. 140 Menschen, nur weil sie nicht ihrem abstrusen Weltbild entsprachen. Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung angesichts solcher Fakten einem angeblich gefährlichen Linksextremismus nun verstärkt den Kampf ansagt, zeugt von Realitätsverlust. Das Anzünden von Autos besitzt zweifellos strafrechtliche Relevanz und mag im Einzelfall auch politisch links motiviert sein. Daraus eine Bedrohung für unsere Demokratie zu konstruieren, ist jedoch absurd. Daher geht eine Förderung von Initiativen gegen Linksextremismus, wie Frau Köhler sie plant, an den Problemen in Deutschland vorbei.
Völlig unklar ist auch, welche Initiativen gegen Linksextremismus die Ministerin eigentlich fördern will. Das Thema steht schon lange auf der Unionsagenda. Bereits seit 2007 bemüht sich das von der Bundesregierung 2000 gegründete „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“, Projekte gegen Linksextremismus zu identifizieren. Dies geschah auf Betreiben von Frau Köhler, die im Beirat des Bündnisses ihre ganz persönliche Mission verfolgt hat. Zwei Mitarbeiter führten über mehrere Monate hinweg umfangreiche Recherchen durch – ohne Erfolg. Nicht einmal Frau Köhler selbst konnte konstruktive Hinweise liefern. Wenn jedoch erst ein Förderprogramm gegen Linksextremismus aus dem Boden gestampft ist, wird sich dies aufgrund der finanziellen Anreize sicher ändern. Vielleicht beantragen schon bald „engagierte“ Neonazis Fördermittel, um ein Ausstiegsprogramm für Linksextreme aufzulegen – und dabei gleich neue Anhänger für die eigene Sache zu rekrutieren.
Keine Verharmlosung von Rechtsextremismus!
Mit ihrer unbedachten Politik bestätigt Frau Köhler die extrem Rechten in ihrer Hetze gegen vermeintlich Linksextreme und verschafft Nazi-Positionen mehr Gehör. Sie begünstigt eine Diffamierung und Kriminalisierung engagierter Anti-Nazi-Initiativen, indem sie diese staatlicherseits unter Generalverdacht stellt. Förderung sollen Projekte nur erhalten, wenn sie eine Regelüberprüfung beim Verfassungsschutz durchlaufen haben. Damit verzögert und erschwert die Ministerin die Arbeit zivilgesellschaftlicher Projekte und lässt potenzielle und tatsächliche Opfer im Stich. Solche Signale aus der Bundesregierung sind grundfalsch. Wir brauchen demokratische Vorbilder mit einem klaren Profil gegen Rechtsextremismus. Denn schon heute reichen rechtsextreme Einstellungen in die Mitte der Gesellschaft hinein. Rund jeder vierte Deutsche stimmt ausländerfeindlichen Aussagen zu. Die rassistische Vorstellung einer „Überfremdung“ teilen bundesweit fast 40 Prozent der Befragten, wie die FES-Studie „Vom Rand zur Mitte“ ergab.
Ein konturenloser Ansatz gegen jeden Extremismus verharmlost Rechtsextremismus, dessen historische Wurzeln im Dritten Reich liegen. Seine schrecklichen Verbrechen, auf die Nazis bis heute stolz sind, können mit nichts verglichen werden und dürfen sich nie wiederholen. Da muss es alarmieren, wenn der Antisemitismus in Deutschland laut der Heitmeyer-Studie 2009 wieder wächst. Offen antisemitisch zeigten sich rund 15 Prozent der Befragten. Fast 70 Prozent ärgern sich darüber, „dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden“ – und vertreten damit exakt die NPD-Parole „Schluss mit dem Schuldkult“. Das zeigt: Manche Nazi-Positionen sind bereits mehrheitsfähig und werden daher als normal wahrgenommen. Wir müssen extrem rechter Propaganda Widerstand entgegensetzen – konsequent und kontinuierlich.
Kern der Nazi-Ideologie ist eine angebliche Ungleichwertigkeit, die biologisch begründet wird. Daraus abgeleitet sprechen Rechtsextreme vielen Gruppen die allgemeinen Menschenrechte ab. Es gilt daher, die Menschenrechte besonders zu betonen und zu stärken. Die rechtliche Gleichheit und Würde aller Menschen muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Auf diesen Werten basiert unser Grundgesetz, das wir verteidigen müssen. Neonazis werden jede Chance ergreifen, um unser demokratisches System zu schwächen. Ihr Ziel ist letztlich die Abschaffung der Demokratie. Darauf arbeiten sie aggressiv, organisiert und vernetzt hin. Solche strategischen Aktivitäten findet man in Deutschland weder in linksextremen noch in islamistischen Gruppen.
Grüne Forderungen
Wir fordern die Bundesregierung auf,
- sich mit Demokratiedefiziten und menschenfeindlichen, rechtsextremen Einstellungen in der gesamten Gesellschaft verstärkt auseinanderzusetzen und diese nicht als ausschließliches Problem „extremer Ränder“ zu verharmlosen,
- eine gesamtgesellschaftliche Demokratieoffensive voranzubringen, in der Menschenrechtsorientierung und ihre Verankerung in der Bürgergesellschaft eine zentrale Rolle spielen,
- auf Prävention gegen Rechtsextremismus zu setzen, z. B. Chancengleichheit in der Bildung für alle Jugendlichen zu schaffen, damit diese Zukunftsperspektiven haben und Nazis nicht auf den Leim gehen,
- mehr echte Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung zu schaffen, um einer verbreiteten Enttäuschung und Abkehr von der Demokratie entgegenzuwirken,
- sich unmissverständlich gegen Rechtsextremismus zu positionieren und zivilgesellschaftliche Anti-Nazi-Initiativen nicht unter Generalverdacht zu stellen,
- gewachsene Strukturen gegen Rechtsextremismus auch künftig zu unterstützen und Perspektiven für die nachhaltige Entwicklung kommunaler Projekte (z.B. Lokale Aktionspläne, deren Förderung 2010 ausläuft) aufzuzeigen,
- überschüssige Mittel aus dem Bundeshaushalt in die Stärkung der Demokratie und für spezifische Handlungsansätze gegen Rechtsextremismus zu investieren, gerade in Problemregionen, in denen bisher keine Förderung stattfindet.