Berlin. Thomas de Maizière (CDU) klang dramatisch. Der Bundesinnenminister benutzte das Bild eines Erdbebens, um das ganze Ausmaß zu beschreiben. Als „Seismograf für die Stimmung“ im Land bezeichnete er den Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Ein Bereich, der „große Auswirkung auf das Zusammenleben in Deutschland“ habe – und besonders im rechtsextremen Spektrum „besorgniserregend“ angestiegen sei.
Die Statistik zur Kriminalitätsentwicklung 2016, die de Maizière gestern in Berlin vorstellte, weist für politisch motivierte Straftaten ein deutliches Plus aus. Insgesamt registrierten die Behörden für das vergangene Jahr 41 549 Straftaten mit politischem Hintergrund – 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Schon 2015 hatte es in diesem Bereich einen Anstieg von 19,2 Prozent gegeben.
Speziell bei rechten Straftaten lag der Wert 2016 so hoch wie nie seit Einrichtung des Meldedienstes im Jahr 2001. Insgesamt 23 555 Fälle bedeuteten einen Anstieg von 2,6 Prozent. Bei rechts motivierten Gewalttaten lag der Zuwachs sogar bei 14,3 Prozent (1698 Fälle). Die Zahl der linken Straftaten nahm dagegen um 2,2 Prozent auf 9389 Fälle ab.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner warnte vor rechtem Terror. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte sie, zu häufig werde bei rechten und rassistischen Gewalttaten immer noch von spontan handelnden Einzeltätern gesprochen, anstatt anzuerkennen, dass es sich nicht nur wie im Fall der aktuell vor Gericht stehenden Neonazis der „Gruppe Freital“ um Ansätze rechtsterroristischer Strukturen handele. Monika Lazar, Rechtsextremismus-Expertin der Grünen, nannte den erneuten Anstieg rechter Straftaten „bedrückend“. Für die Gewaltopfer erweise sich der Rechtsstaat zunehmend als hilflos. „Die wachsende Gewalt muss uns alle alarmieren. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer politischen Überzeugung in Deutschland nicht frei und sicher leben können“, erklärte Lazar. Rechtsmotivierte Gewalt müsse als solche klar benannt, verurteilt und konsequent strafrechtlich verfolgt werden. „Das geschieht leider häufig nicht, vielfach werden Täter nicht belangt oder Verfahren werden eingestellt. Die Opfer fühlen sich alleingelassen, die Täter spüren keine Konsequenzen.“
Zu einer drastischen Steigerung um 66,5 Prozent kam es im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität mit insgesamt 3372 Straftaten. Auch dies sei ein neuer Rekordwert. Bei den meisten politisch motivierten Straftaten handelte es sich um sogenannte Propagandadelikte (33,5 Prozent) wie Schmierereien von Parolen an Hauswänden. Zudem kam es im vergangenen Jahr in 38 Fällen zu versuchten und in drei Fällen zu vollendeten Tötungsdelikten mit insgesamt 14 Todesopfern. Davon entfielen laut de Maizière allein zwölf Tote auf den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz.
Einen neuen Höchststand erreichte auch die Hasskriminalität mit 10.751 Fällen. Auch die Zahl antisemitischer Straftaten stieg um 7,5 Prozent. Im Bereich „Islamismus/Fundamentalismus“ ging die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr um 13,7 Prozent nach oben.
Autor: Jörg Köpke