Rechtsextremismus und Sonntagsreden

Pressebericht, Politik Forum, 11.03.2016

Was ist in Sachsen los? Das fragt sich die Republik. Brandenburg zeigt, wie es besser geht.

von Bettina Röder aus: Publik-Forum 5/2016 vom 11.03.2016, Seite 22

"Wir hatten den Kanal gestrichen voll", sagt Sebastian Reißig. Damit meint der 38-Jährige die rechtsextremen Vorfälle in Sachsen. Für den gelernten Maler und Lackierer Grund genug, mit drei Freunden die Aktion Zivilcourage in Pirna ins Leben zu rufen. Das war 1998. Inzwischen ist der Verein der größte Anbieter von jugendkulturellen Veranstaltungen im gesamten Landkreis Sächsische Schweiz. Und damit eine starke zivilgesellschaftliche Kraft gegen rechts. Erledigt aber hat sich nichts. Im Gegenteil: Die Aktion Zivilcourage ist wichtiger denn je und für viele hier der letzte Strohhalm.

So war das auch bei den Ausschreitungen gegen die Flüchtlingsunterkunft im nahe gelegenen Heidenau. "Wir haben gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz einen Helferaufruf für die Flüchtlinge gestartet", sagt Reißig. Und war erstaunt: Gut eintausend Menschen haben sich in kurzer Zeit gemeldet. "Bis heute stehen Schüler, Angestellte, Arbeiter, Rentner vor seiner Tür und fragen, was sie tun können", sagt er. Für ihn ist das ein Beleg dafür, wie sehr das Thema die Gesellschaft spaltet. In Sachsen, wo offene Anfeindungen von Flüchtlingen wie kaum in einem anderen Bundesland an der Tagesordnung sind, umso mehr. Reißig wünscht sich darum, "»dass unsere Arbeit endlich Garantie für Kontinuität bekommt". Dieses "Hangeln von einem Projekt zum anderen" binde unnötig Kräfte.

Was er anspricht, ist bundesweit ein Problem: die langfristige Sicherung von Initiativen, die die Zivilgesellschaft stärken. In Sachsen ist das besonders gravierend. "Da wurde leider so ziemlich alles verschlafen, was Rassismus hätte zurückdrängen können", sagt die bündnisgrüne Bundespolitikerin Monika Lazar. Der Umgang der sächsischen CDU mit Rassismus sei "seit 25 Jahren eine Aneinanderreihung von Fehleinschätzungen, Ignoranz und Sonntagsreden", so die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus gegenüber Publik-Forum. Das Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen" habe der CDU regelrecht abgetrotzt werden müssen.

Die 48-Jährige hat hautnah erlebt, wie erste Signale übersehen wurden. Die Betriebswirtin, die nach 1990 im Bäckergeschäft ihrer Eltern in Leipzig arbeitete, erinnert sich, wie plötzlich im Osten ein Vakuum entstand. Die Menschen waren orientierungslos - und für rechte, einfache Parolen besonders zugänglich. Hinzu kam, so Lazar, dass Nazi-Kader aus Westdeutschland einen gezielten Aufbau rechtsextremer Strukturen im Osten betrieben. So wurde der Parteiverlag "Deutsche Stimme" aus Stuttgart nach Riesa und die Bundesgeschäftsstelle der "Jungen Nationaldemokraten", die Jugendorganisation der NPD, nach Dresden verlegt. Das entschuldigt nichts. Und doch: "Während die NPD Sachsen als Experimentierfeld nutzte, fehlten dort vielfach demokratische Strukturen und Gegenangebote", sagt Monika Lazar.

Auch Wolfram Hülsemann, der im benachbarten Bundesland Brandenburg jahrelang die "Mobilen Beratungsteams" im Rahmen des Regierungsprogramms Tolerantes Brandenburg geleitet hat, geht es nicht nur um Projektarbeit. Die Regierenden in Sachsen hätten in den letzten 25 Jahren die Entwicklungen falsch bewertet, sagt auch er. Insbesondere der damalige CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und seine Regierung hätten beim Aufbau der neuen Bundesländer geglaubt, allein die Suche nach Identität, das Zugehörigkeitsgefühl zu Sachsen, verhindere, dass es zu undemokratischen Entwicklungen komme. "Wir haben dagegen gesagt, dass hinter den verbrecherischen Aktionen von Rechtsextremen immer auch eine breite Einstellung in der Bevölkerung zu sehen ist", sagt Hülsemann. So hat er, wenn wieder mal etwas passierte, auf den Dörfern den Satz gehört: "Das ist nicht richtig, aber verstehen kann man's ja." Darum ist die in Sachsen propagierte Gleichsetzung von links und rechts für ihn verheerend: Weil eben rechtsextremes Gedankengut - im Unterschied zum linken - in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fällt. Darin unterscheiden sich Ost und West nur wenig. Wohl aber darin, dass rechtsextreme Einstellungen im Osten ungenierter ausgelebt werden. "Die Haltungen ähneln sich, aber das Verhalten ist anders", sagt Hülsemann.

Wenige Monate nachdem 1998 die Mobilen Beratungsteams ins Leben gerufen wurden, war in Guben der 28-jährige Algerier Omar Ben Nui zu Tode gehetzt worden. Brandenburg machte Schlagzeilen wie heute Sachsen. Unter Ministerpräsident Manfred Stolpe wurde damals das Regierungsprogramm "Tolerantes Brandenburg" aufgelegt. Für das ganze Land hat sich ein Leitgedanke daraus entwickelt. Ein Zweig waren die mobilen Beratungsteams. Mit sechs Büros sollten sie vor allem die ländliche Gegend abdecken, weil die Situation dort eine ganz andere als die in den Städten ist, wie Hülsemann sagt: Das Dorf, das oft gar nichts mehr mit Saat und Ernte zu tun und große soziale Probleme hat, sei besonders anfällig. Hinzu kam als spezielles Ost-Problem der verordnete Antifaschismus in der DDR. "Eine kritische Erzähltradition über die Nazizeit ist nie zustande gekommen", sagt der evangelische Theologe, der lange Jahre Stadtjugendpfarrer von Ostberlin war.

Und schließlich gab es die Entwertungserfahrungen, die Menschen nach 1990 gemacht haben. "Ich habe mit Jugendlichen gesprochen, die haben mir gesagt, wie furchtbar sie das finden, dass ihre Eltern arbeitslos sind. Die DDR war out. Und die Rechtsextremen boten ein Weltbild an: national und sozial." Das ist bis heute so. Es ist die einfache Antwort auf komplizierte Fragen. Den Beratungsteams gehe es darum bis heute um "Entwicklung von Demokratie als politische Wertegemeinschaft". Nicht durch Aktionismus oder mehr Polizei, sondern Gespräche. Dafür brauche man die Zivilgesellschaft. Die Regierung müsse die Rahmenbedingungen schaffen. In Brandenburg wurden Landesmittel in die Hand genommen, Netzwerke gegen Rechtsextremismus, für lebendige Demokratie aufgebaut.

Auch wenn es hier nach wie vor rechtsextremistische Angriffe gibt: "Die Rechten haben es ungleich schwerer, weil die Zivilgesellschaft wacher und vernetzter ist", sagt Hülsemann. Das wünscht sich Sebastian Reißig im sächsischen Pirna auch für sein Bundesland.

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