Stimmungsmache dürfen wir nicht tolerieren

Pressebericht, tagesspiegel.de, 13.12.2015

Die eine ist in der Türkei geboren, die andere in der DDR. Zwei Grünen-Politikerinnen warnen vor einem Flächenbrand und wollen Ausgrenzung nicht hinnehmen. Ein Gastbeitrag.

Grünen-Politikerinnen über Flüchtlinge

Vor dem Hintergrund gleißender Flammen ist ein menschliches Rückgrat abgebildet. Links davon sieht man ein raumgreifendes Geschwür, das Unheil und Tod symbolisiert. Dieses Gemälde von Katharina Sieverding im Reichstagsgebäude weist uns Abgeordnete jeden Tag aufs Neue darauf hin, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern immer wieder gegen Bedrohungen verteidigt und aktiv gestaltet werden muss.

Die Flammen stehen sowohl für den Reichstagsbrand als auch den Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten. Das Rückgrat stellt den Bezug her zu denjenigen Abgeordneten, die damals Haltung bewiesen, indem sie sich dem Terror nicht beugten, und dafür letztlich mit dem Leben bezahlten. Das Gemälde mahnt uns Abgeordnete, nicht zu vergessen und Verantwortung zu übernehmen, um für unsere Verfassung einzustehen - jene Verfassung, in der die Werte Einigkeit und Recht und Freiheit festgeschrieben sind, und zwar für alle Menschen, nicht nur alle „Deutschen“.

Wir sind zwei Abgeordnete mit sehr unterschiedlichen Biografien und Deutschlanderfahrungen. Dennoch eint uns das Anliegen, diese Mahnung ernst zu nehmen und für genau diese Werte bedingungslos einzustehen.

Eine von uns wurde in der Türkei geboren und wanderte nach Deutschland ein. 1990 hat sie die Deutsche Wiedervereinigung als Schülerin von Süddeutschland aus im Fernsehen verfolgt und sich zugehörig gefühlt, als es hieß: „Wir sind das Volk“. Die rassistischen Progrome in Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen brachten diese Identifikation stark ins Wanken. Während die anderen ein Volk wurden, signalisierten ihr diese gewalttätigen Ausschreitungen: „DU gehörst nicht dazu!“ Dennoch war dieses Land längst ihre Heimat geworden, in der sie sozialisiert wurde, lebte und liebte. Deshalb wollte sie keine Ausgrenzung dulden und arbeitete entschlossen darauf hin, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Und schließlich führte ihr Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte sie sogar in die Politik.

Die andere, geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, engagierte sich schon in den 1980er Jahren gegen Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung. Bei den historischen Montagsdemos im Herbst 1989 in Leipzig war sie eine von vielen, die mutig auf die Straße gingen und bei der Friedlichen Revolution erste Schritte in Richtung Demokratie machten. Schon Anfang der 1990er Jahre erstarkten jedoch auch in Ostdeutschland rechtsextreme Kräfte. Während in verschiedenen Regionen Deutschlands Asylbewerberunterkünfte brannten, wurde Sachsen zum „Testgebiet“ der NPD, die mit Parolen zündelte. Seit damals kämpft sie gegen Rechtsextremismus und Rassismus, indem sie die Zivilgesellschaft vielfältig unterstützt. Der konsequente Einsatz für Minderheiten gehört zu den wesentlichen Gründen, warum sie gerade bei Bündnis 90/Die Grünen politisch aktiv ist.

Faule Asylkompromisse wie 1993 dürfen sich nicht wiederholen

Ausgrenzung und Abwertung nicht hinnehmen zu wollen, verbindet uns. Heute gehören wir beide dem Deutschen Bundestag an. Gemeinsam stehen wir ein für ein demokratisches und solidarisches Miteinander. Dabei lassen wir uns nicht entmutigen, auch wenn das Feuer, wie in dem Gemälde, mal sichtbar lodernd, mal unmerklich schwelend seine Zerstörungskraft entfaltet.

Gerade heute ist Rückgrat erneut besonders gefragt, denn wieder brennen Unterkünfte, wieder werden Flüchtlinge eingeschüchtert und angegriffen. Statt selbst durch rechtspopulistische Äußerungen das Feuer mit zu schüren, muss die Politik Menschen in Not eine realistische Perspektive eröffnen, in Deutschland Schutz zu suchen. Faule Asylkompromisse, wie damals 1993, dürfen sich nicht wiederholen. Wir brauchen einen konsequent menschenrechtsorientierten Umgang mit Geflüchteten.
Auch Politiker der Volksparteien säen Zwietracht

Leider wurde in den vergangenen Jahren viel Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Behörden zerstört. So hinterließen die Taten des NSU, dessen unentschuldbarer Hass viele Leben kostete und Familien zerstörte, ebenso verbrannte Erde wie die Ignoranz und Unfähigkeit staatlicher Institutionen, die diese Verbrechen viel früher hätten aufdecken und ahnden müssen.

Die Gefahr eines Flächenbrandes geht auch von den Botschaften auf den Demonstrationen von Pegida und ähnlichen Organisationen aus. Das muss man in Freital, Heidenau und vielen anderen Orten, wo Menschen gegen die Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlingen mobilisieren, leider feststellen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo in Deutschland versucht wird, Zwietracht zu säen, Ressentiments zu bedienen und sogenannte Fremde oder Andersdenkende konkret zu bedrohen. Etliche Politikerinnen und Politiker aus Volksparteien geben fatalerweise der Versuchung nach, mit Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten diese Brandstifter-Stimmen für sich zu gewinnen. So gießen sie Öl in das Feuer, das sie eigentlich zu löschen verpflichtet sind.

Fast immer kostet es Mut, Zivilcourage zu zeigen. Und in der Auseinandersetzung mit Engstirnigkeit ist ein langer Atem gefragt. Das müssen wir in jüngster Zeit wieder bitter erleben. Ausgrenzung und Hetze gegen Flüchtlinge werden wieder einmal in aller Offenheit ausgelebt. Aber es gibt auch die vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich davon nicht einschüchtern lassen und ihren Beitrag zu einem gesellschaftlichen Klima ohne Angst leisten. Ihnen gebührt Respekt – und ganz praktische Unterstützung.

Menschlichkeit, Toleranz und Zivilcourage lassen sich nicht verordnen. Wir können aber glaubhaft dafür werben, mit gutem Beispiel vorangehen und diejenigen unterstützen, die im Alltag und vor Ort für Demokratie und Menschenrechte streiten. Es gibt auch Bundesprogramme, mit denen das bereits erfolgreich geschieht. Allerdings sind diese finanziell unzureichend ausgestattet und bieten keine hinreichende Planungssicherheit. Initiativen, die gegen Ausgrenzung arbeiten, müssen die enormen Herausforderungen mit minimalen materiellen Ressourcen meistern. Doch selbst größten Idealismus kann man überstrapazieren. Die Bundesregierung tut aktuell genau das. Deshalb fordern wir beide seit vielen Jahren eine Umgestaltung und Verstetigung der Bundesförderung gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

Ekin Deligöz (44) ist stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. Die türkischstämmige Politikerin hat ihren Wahlkreis in Bayern. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (48) ist in Leipzig geboren und lebt auch heute in der sächsischen Messestadt.


[Quelle: tagesspiegel.de]