von Maja Heinrich
Regierung hält an Statistik fest / Länder prüfen Altfälle
Berlin. Wer im Bundestag an das Rednerpult tritt, hat sich meist vorher ein paar Sätze zurecht gelegt. Trotzdem räumt die Leipziger Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne) gleich zu Beginn ihrer Redezeit ein: "Mir fehlen die Worte." Der Grund dafür sind die Ausführungen des FDP-Innenpolitikers Hartfrid Wolff, welcher die offizielle Statistik der Bundesregierung zu den Opferzahlen rechter Gewalt seit der Deutschen Einheit mit scharfen Worten verteidigt.
Ausschlaggebend seien nur Gerichtsurteile. "Die Linken wollen stattdessen ein Gesinnungs-Denunziantentum, das die Linke-Szene anhand der rechtsextremen Straftaten hoffähig machen soll", sagt Wolff. Nur so kämen Medien wie Die Zeit und der Tagesspiegel sowie Opferorganisationen auf eine Zahl von über 100 Toten in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Es gehe aber darum, "die gleichen Maßstäbe auf alle Gegner unserer Verfassung anzuwenden". Lazar weist Wolffs Äußerungen als "unverantwortlich" zurück: "Sie lenken von dem Problem ab und Sie verhöhnen die Opfer", sagt sie. "Rechtspopulisten verschärfen das Problem. Und ihre Rede war ganz klar in diese Richtung gehend." Regierung und Opposition streiten seit langem über die statistische Erfassung von Todesopfern rechtsextremer Gewalt. Die Linke-Innenexpertin Petra Pau spricht von einer "gravierenden Differenz" zwischen den offiziellen Angaben der Bundesregierung und den Zahlen, die nach Recherchen von Journalisten veröffentlicht wurden. Demnach gibt es seit 1990 insgesamt 138 Todesopfer. Mit den aktuell bekanntgewordenen zehn Morden, die der Zwickauer Neonazi-Zelle vorgeworfen werden, sind es sogar 148 Opfer. Die Bundesregierung geht aktuell von 48 Todesopfern aus. "Wir haben offenbar eine gravierende Fehlstelle in der offiziellen Wahrnehmung rechtsextremer Gewalt", sagt Pau. Wenn aber die Analyse falsch sei, dann sei auch alles falsch, was darauf fuße. "Ohne zutreffenden Befund gibt es keine richtige Gegenstrategie." Die Linke fordert eine parteipolitisch unabhängige Beobachtungsstelle für die Bereiche Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus.
Innen-Staatssekretär Ole Schröder (CDU) erklärt in der Debatte, die offiziellen Stellen hätten bis zum 31. Januar dieses Jahres 47 Todesopfer gezählt. Diese Zählung werde im kommenden Jahr um die Opfer der Zwickauer Terrorzelle erweitert. Schröder betont, dass die Kriterien für die Erfassung 2001 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit den Ländern vereinbart worden seien. Ausschlaggebend ist demnach das Tatmotiv eines Täters - und nicht etwa, ob ein Täter als Rechtsextremist bekannt ist. "Unabhängig von der Statistik ist jedes Opfer rechtsextremer Gewalt eines zu viel", sagt Schröder. Es sei jedoch wichtig, "über Statistiken dieses Phänomen zu beschreiben". SPD-Politiker Sönke Rix vermisst Einsichtsfähigkeit in der Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der Linken. "Das wäre auch wichtig für die Angehörigen der Opfer gewesen." Immerhin will Sachsen-Anhalt sieben Tötungsdelikte neu überprüfen lassen, die mutmaßlich von Rechtsextremisten begangen wurden und nicht in der Statistik auftauchen. Auch Nordrhein-Westfalen hat Recherchen zu einem Dreifachmord eines Neonazis aus dem Jahr 2000 angekündigt, der ebenfalls nicht als rechtsmotiviertes Delikt geführt wird.
Hartfrid Wolff, FDP-Innenpolitiker: Die Linken wollen stattdessen ein Gesinnungs-Denunziantentum, das die Linke-Szene anhand der rechtsextremen Straftaten hoffähig machen soll.