Tröglitz ist in die Schlagzeilen geraten - mit Demonstrationen gegen Flüchtlinge, einem nach Drohungen zurückgetretenen Bürgermeister und einem mutmaßlich rechtsextremen Brandanschlag.
Fassungslosigkeit hat sich ausgebreitet. Doch der politische und mediale Aufschrei ist eigentlich Teil des Skandals. Denn er erweckt den Eindruck, als wäre in Deutschland etwas völlig unerwartet Schlimmes passiert. Die Wahrheit jedoch lautet: Rassistische Vorurteile und Übergriffe gegen Flüchtlinge und Asylsuchende sind in Deutschland an der Tagesordnung.
Menschen, die vor Krieg, Armut und Katastrophen fliehen und hier Zuflucht suchen, werden häufig abgelehnt und abgewertet. Das zeigt sich auf Pegida-Demonstrationen zum Schutz eines wie auch immer gearteten „Abendlandes", in politischen Asyldebatten über eine angebliche „missbräuchliche Zuwanderung in die Sozialsysteme", aber auch anhand der wachsenden Zahl von Straftaten gegen Asylsuchende und ihre Unterkünfte sowie in vielen Studien über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. All das gehört skandalisiert - und zwar nicht erst, wenn irgendwo ein Haus brennt.
Die Vorfälle in Tröglitz sind nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs
Die Brandstiftung in Tröglitz bestürzt die Menschen weit über Sachsen-Anhalt hinaus. Zu Recht, denn es geht um viel mehr als eine Sachbeschädigung in sechsstelliger Höhe und einen Imageschaden für den kleinen Ort.
Tatsächlich ist unsere gesamte Demokratie betroffen. Ihr wird der Spiegel vorgehalten. Wenn man das Gesamtbild betrachtet, erkennt man: Die Vorfälle in Tröglitz sind nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs.
Das Bundeskriminalamt zählte allein in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres in ganz Deutschland 86 Attacken auf Unterkünfte von Flüchtlingen.
Somit steht der Tröglitzer Anschlag in einer Reihe mit zahlreichen Hassverbrechen, bei denen die Täter aus Hass und Verachtung beispielsweise gegen Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe handeln. Kennzeichen solcher Hasskriminalität ist die Auswahl der Opfer aufgrund ihrer tatsächlichen oder auch nur zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe.
Die Taten richten sich nicht auf ein bestimmtes Verhalten der Opfer, sondern auf ihre gesamte Existenz und Identität. Hasskriminalität zielt damit nicht nur gegen die Menschen als Individuen, sondern insbesondere darauf, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern und sie in ihrer Freiheit, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, einzuschränken.
Gleichgültigkeit gegenüber Armut, Krieg und Ausbeutung in der Welt
Doch das Problem umfasst nicht allein die Befürwortung und Ausübung von Hasskriminalität. Es beginnt viel früher: bei der Gleichgültigkeit gegenüber Armut, Krieg und Ausbeutung in der Welt. Wohlsituierte deutsche Steuerzahler zeigen sich empört und beunruhigt von der Aussicht, „Armutsmigranten" finanzieren zu müssen.
Dabei blenden sie gänzlich egozentrisch aus, wie sehr sie selbst von wirtschaftlicher Ausbeutung und Billigproduktion in deren Ländern profitieren und auf Kosten solcher Menschen im Wohlstand leben. Doch anstatt gegen die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu protestieren und sich mit den wirtschaftlichen Profiteuren der Ausbeutung anzulegen, wenden sie sich gegen die Schwächsten der Gesellschaft: heimat- und schutzlose Flüchtlinge.
Das ist eine Schande für Deutschland, gerade auch vor dem Hintergrund der historischen Verbrechen des Nationalsozialismus. Als hätte die Geschichte nichts gelehrt, werden heute wieder Menschen aufgrund bestimmter Merkmale ausgegrenzt und angegriffen. Wieder brennen Häuser nieder. Wieder gibt es eine schweigende Masse, die sich ins Private zurückzieht, statt eine starke Zivilgesellschaft zu formieren.
Deutschland braucht ein klares politisches Ja zur Zuwanderung
Eine demokratische Zivilgesellschaft ist die einzige wirkungsvolle Struktur, um Rassismus vor Ort zurückzudrängen. Gerade in ländlichen und strukturschwachen Gebieten gibt es hierbei großen Nachholbedarf. Der ehemalige Bürgermeister hat das Handtuch geworfen, weil es eine solche Unterstützung für ihn nicht gab.
Dass sich nach dem Brandanschlag rund 300 Menschen in Tröglitz an einer Demonstration für die geplante Flüchtlingsunterkunft beteiligt haben, kann ermutigen. Doch angesichts des gesamtgesellschaftlichen Klimas bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist nun wichtig, Kommunen mit solchen Problemen nicht allein zu lassen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen und Asylsuchenden, aber auch engagierten Akteuren, zu treffen. Die gesetzlichen Möglichkeiten müssen dabei konsequenter als bisher ausgeschöpft werden.
Die Bundesregierung muss endlich einen strukturierten Dialog zwischen staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Bekämpfung von Rassismus und Gewalt voranbringen und sich deutlicher als bisher vom aktuellen rechtspopulistischen Diskurs beim Thema Flucht und Asyl distanzieren.
Deutschland braucht ein klares politisches Ja zur Zuwanderung. Sie ist eine demografische Notwendigkeit, eine kulturelle Bereicherung und eine humanitäre Pflicht.
[Quelle: www.huffingtonpost.de ]