Deutschlandfunk – Sport am Wochenende
Von Thomas Purschke
Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer hat zu DDR-Zeiten als Stasi-Mitarbeiter Sportkameraden und Angestellte seines damaligen Klubs SC Karl-Marx-Stadt denunziert und ausspioniert. Jetzt darf er wieder mit Bundesmitteln gefördert werden. Diese Empfehlung verkündete der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) vergangene Woche. Damit unterlaufe der DOSB die Werte des Sports, sagen Kritiker.
Der seit Dezember 2013 amtierende DOSB-Präsident, Alfons Hörmann, hatte sich schon seit Monaten für eine finanzielle Förderung mit Bundesmitteln von Eiskunstlauf-Trainer Ingo Steuer eingesetzt. Da Steuer andernfalls zudem mehrfach mit einem Wechsel ins Ausland drohte, hatte der DOSB nun also seine Stasi-Kommission bemüht, um über die Personalie Ingo Steuer erneut zu befinden. Der 47-jährige Trainer Steuer führte das Chemnitzer Eislaufpaar Aljona Savchenko und Robin Szolkowy zu 5 WM-Titeln und zweimal zu Olympia-Bronze und sorgte damit in den letzten Jahren für die einzigen Medaillen bei Olympia und WM für die Deutsche Eislauf-Union. Mit der Finanzierung von Steuer als Trainer will der medaillengierige DOSB auch die Paarlauf-Weltmeisterin Aljona Savchenko zukünftig weiter in Deutschland halten, die nun mit ihrem neuen Partner Bruno Massot aus Frankreich eine weitere Medaille bei den Winterspielen 2018 anstrebt.
Der Chef der DOSB-Stasi-Kommission, der Jurist und ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Hansjörg Geiger, begründete die Entscheidung zugunsten von Steuer mit zwei Aspekten, ohne auf Details einzugehen. Zitat:
"Der Aspekt der 'inzwischen eingetretenen Verhaltensänderung' berücksichtigt die öffentlichen Bekundungen von Herrn Steuer in den letzten Jahren, insbesondere aber auch seine glaubwürdigen Einlassungen in der jüngsten Anhörung vor dem Gremium. Der Aspekt 'Zeitablauf von 25 Jahren' greift den in einem Rechtsstaat wichtigen Gedanken der Resozialisierung auf, dem das Bundesverfassungsgericht selbst bei schwersten Straftaten hohes Gewicht beimisst. Strafrechtliche Verjährungsfristen wären von wenigsten Ausnahmen abgesehen längst abgelaufen."
Deckname: Torsten
Doch abgesehen davon, dass es im konkreten Fall gar nicht um Strafrecht, sondern vielmehr um den Wertekanon des Sports geht, lassen sich zur angeblichen Verhaltensänderung Ingo Steuers erhebliche Einwände anführen. Zur Erinnerung: Ingo Steuer hatte fast 5 Jahre lang, von Januar 1985 bis zum 10. November 1989, also einen Tag nach dem Mauerfall, als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes unter dem Decknamen "Torsten" gewirkt. Dabei hatte er zahlreiche Sportkameraden und Angestellte seines damaligen Klubs SC Karl-Marx-Stadt übel denunziert und ausspioniert.
110 Spitzelberichte liegen vor. Steuer berichtete auch über intimste Beziehungen sowie Westverbindungen von Athleten, wofür er insgesamt laut Aktenlage an die 4400 DDR-Mark von der Stasi erhielt. Als dies alles im Jahr 2006 bekannt wurde, folgte Steuers Entlassung aus der Bundeswehr wegen arglistiger Täuschung, weil er bei der Einstellung Jahre zuvor seine Stasi-Tätigkeit strikt geleugnet hatte. Von Steuer bespitzelte Sportler kritisieren, dass er sich bei ihnen nie glaubwürdig oder persönlich entschuldigt habe. In seinem 2014 erschienenen Buch "Eiszeiten" stellte er seine Stasi- und Doping-Vergangenheit verharmlosend dar. Zitat:
"Mit meinen Auskünften hätten Menschen in Bedrängnis kommen können."
Das Bundesinnenministerium entschied 2006, dass der Ex-Stasi-Zuträger Steuer als Trainer fortan nicht mehr mit Bundesmitteln bezahlt werden dürfe. Auch die DOSB-Stasi-Kommission war früher unter Vorsitz der CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien dieser Ansicht. Daraufhin finanzierten Steuer bis heute seine Sportler und Sponsoren weiter. Der jetzige DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der schon früher als Chef des Deutschen Skiverbandes Stasi- und DDR-Doping-Täter protegiert hatte, teilte nun zum Fall Steuer mit:
"Wir denken, dass diese Entscheidung mit der Vorbildwirkung des Sports sehr wohl zu verbinden ist. Schon 2007 hat der heutige Bundespräsident Joachim Gauck und damalige Vorsitzende unserer unabhängigen Stasi-Kommission gesagt: 'Es darf nicht sein, dass ehemalige IMs das ganze Leben mit dem Stempel des Verrats herumlaufen.'"
Das letzte Wort liegt beim Bundesinnenministerium
Alfons Hörmann gibt noch zu verstehen: Der aktuellen Entscheidung pro Steuer sei eine lange Zeit der Strafe vorausgegangen. Man könne nicht ständig Rehabilitation, Integration und Fairness proklamieren und dann sagen: Wenn einer so einen Fehler wie Steuer begangen habe, dann dürfe er nie mehr eine zweite Chance bekommen. Steuer habe sich weiterentwickelt.
Festzustellen ist jedoch immer wieder, dass auch im Fall Steuer bei den Funktionären meist nur die Täter-Perspektive berücksichtigt wurde. Mit zahlreichen Opfern, die einst von Ingo Steuer bespitzelt wurden, haben auch die Vertreter der jetzigen Stasi-Kommission bisher nicht geredet. Die Sport-Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Monika Lazar erklärt dazu:
"Ingo Steuer hat damals seine Vertrauensposition missbraucht und private Informationen über seine Schützlinge als IM an die Stasi weitergeleitet. Ihn jetzt wieder in Verantwortung zu bringen, hat nichts mit Rehabilitation zu tun, sondern mit dem Schielen des deutschen Sports auf die Medaillenchancen. Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die unter dem DDR-Unrecht im damaligen Spitzensport gelitten haben. Jetzt ist das Bundesinnenministerium in der Pflicht zu entscheiden: Verquere Medaillenhoffnung oder Anstand?"
Kritik an der DOSB-Empfehlung kam auch von der "Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft" und dem "Doping-Opfer Hilfeverein". Fest steht: Die Deutsche Eislauf-Union würde Steuer gerne mit Bundesmitteln finanzieren. Das letzte Wort aber liegt beim Bundesinnenministerium. Ein Termin für die Entscheidung steht noch nicht fest.
Quelle: www.deutschlandfunk.de/causa-steuer-im-eiskunstlauf-wenn-ehemalige-stasi-spitzel