Von Hajo Obuchoff
Thomas Bach hat seine Agenda 2020 ohne Gegenstimme durch die IOC-Vollversammlung gebracht und hofft auf Signalwirkung
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ein umfassendes Reformpaket verabschiedet. Das ist gut so, Kritikern aber reicht dies nicht: Sie zweifeln, ob sich das IOC überhaupt aus sich selbst heraus ändern kann.
»Es sieht so aus, als hätten wir eine Menge an einstimmigen Votings bei den Verbesserungsvorschlägen. Entweder ist das ein gutes Zeichen oder wir sind eine Herde von Schafen.« Richard Peterkin, IOC-Mitglied aus dem winzigen Inselstaat Saint Lucia twitterte diese Worte nach der außerordentlichen IOC-Session am Montag in Monaco. Und diese Großveranstaltung des Olympischen Komitees könnte durchaus Erinnerungen an Parteitage aus längst verflossenen Zeiten und von nicht mehr existierenden Parteien hervorrufen.
Natürlich war es an der Zeit, uralte Strukturen in dieser mächtigen Organisation des Weltsports aufzubrechen, neu zu gestalten. Was einst als eine Art feudaler Männerklub begann, war ja inzwischen zu einer höchst profitablen Geldmaschine geworden, die global agiert und dabei sowohl politisch als auch wirtschaftlich eine reale Macht darstellt. Vielleicht kam mit Thomas Bach, dem Fechter aus Tauberbischofsheim, genau der Richtige an die Spitze des IOC, um diesen Kampf auszufechten.
Auf jeden Fall hatte er alles stabsmäßig vorbereitet und augenscheinlich auch genügend Fäden gesponnen, um die honorigen Mitglieder seines Vereins hinter sich zu bringen. Der Einsatz war hoch, eine Niederlage mit seiner Agenda 2020 wäre für Bach eine Katastrophe gewesen.
Aber es lief prächtig. Alle 40 Tagesordnungspunkte wurden abgenickt. »Hätten wir nur einfach gefragt, ob jemand einen Einwand hat, hätten wir um zehn nach neun wieder heimfahren können«, meinte das Schweizer IOC-Mitglied Gianfranco Kasper.
Ein zentraler Punkt der Reform ist die Änderung des Bewerberverfahrens und die Möglichkeit, bei Olympia einzelne Sportarten in anderen Städten oder gar Ländern auszutragen. »Das gibt uns mehr Handlungsspielraum«, sagte DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper in Monaco. Der frühere Grünen-Politiker wirkte in der zuständigen Arbeitsgruppe des IOC mit. Welche Sportarten im Falle einer Bewerbung von Berlin oder Hamburg von einer Verlegung betroffen sind, wollte Vesper nicht sagen: »So weit sind wir noch nicht.« Erst im März 2015 will sich der DOSB festlegen, mit welcher Stadt man ins Rennen um die Ausrichtung der Sommerspiele 2024 oder 2028 geht.
Vespers einstige grüne Politikerfreunde Monika Lazar, Obfrau im Sportausschuss des Deutschen Bundestags, und Özcan Mutlu, Sprecher für Sportpolitik, sehen die Beschlüsse kritischer. »Die Stärkung nachhaltiger Spiele und das klare Bekenntnis zur Aufnahme eines Verbots sexueller Diskriminierung in die Olympische Charta sind richtige Lehren aus Sotschi, die aber nicht weit genug gehen«, heißt es in ihrer Stellungnahme. »Reihenweise sind dem IOC in den vergangenen Jahren die Bewerberstädte abgesprungen. Ob sich hier eine Trendwende abzeichnet und die Menschen wieder für Olympia zu begeistern sind, ist noch lange nicht sicher. Zum Beispiel findet sich das Wort Menschenrechte in keinem der 40 Vorschläge wieder, obwohl das Thema spätestens seit Peking 2008 die sportpolitische Debatte dominiert hat. Die Vertreibung von Bürgerinnen und Bürgern in Sotschi und der Konflikt in der Ukraine scheinen die Reformbefürworter im IOC nicht sonderlich zu stören.«
Die Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk sieht die Reformen im IOC als Chance für Olympia und auch für eine deutsche Bewerbung. Aber der Prozess im IOC sei noch nicht abgeschlossen, meint die Leiterin der Arbeitsgruppe Sport von Transparency International Deutschland. Im ZDF sagte sie: »Es ist ein Etappensieg, aber das Rennen ist noch lang, mindestens so lang wie die Tour de France, weil die eigentliche Arbeit an vielen Punkten jetzt erst beginnt. Da muss ganz viel noch ausgearbeitet und dann umgesetzt werden, was auf internationaler Ebene nicht so einfach ist.«
Was die Olympiabewerbungen von Berlin und Hamburg in diesem Zusammenhang betrifft, sagte Schenk: »Das könnte zum Beispiel mit einer Olympiabewerbung passieren, in dem wir zeigen, wie man kostengünstig plant, aber auch transparent und glaubwürdig«. Die Hansestadt Hamburg begrüßt die Agenda 2020. »Die Beschlüsse zeigen, dass das IOC es mit Reformen wirklich ernst meint. Weg vom Gigantismus, hin zu Nachhaltigkeit, Transparenz, Kostenbewusstsein und Anpassung der Spiele an die Ausrichterstadt. Diese Reformen kommen dem Hamburger Bewerbungskonzept für Olympische und Paralympische Spiele sehr entgegen«, sagte Hamburgs Sportsenator Michael Neumann.
Ob die Berliner von der »Beschleunigten Evolution« (IOC-Funktionär Richard Pound) ergriffen werden, muss sich zeigen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sagte: »Die Beschlüsse zielen auf mehr Transparenz, Nachhaltigkeit und Augenmaß bei Olympischen und Paralympischen Spielen.« Dass Transparenz nicht an der Spitze der Agenda 2020 steht, zeigt das Vorhaben, künftig einen IOC-TV-Kanal zu betreiben. Das dürfte einer kritisch medialen Begleitung der Spiele nicht dienlich sein.
Auch Judith Demba von der Berliner NOlympia-Initiative kritisiert gegenüber dpa: »Aber es ist zu bezweifeln, dass sich ein privater Club wie das IOC überhaupt aus sich selbst reformieren kann.« So lange sich nichts am Systems des IOC ändere, »so lange wird es Bestechung und Intransparenz geben.«
Quelle:www.neues-deutschland.de/die-beschleunigte-evolution