"Die Stimmung könnte kippen"

Pressebericht/Interview, mitmischen.de, 13.06.2014

Im fußballverrücktesten Land der Welt überlagern Demonstrationen die WM-Freude. Die Abgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) reiste nach Brasilien und spricht im Interview über die Gründe der anhaltenden Proteste und die Verantwortung des Weltfußballverbandes.

Die Fußball-WM in Brasilien steht vor der Tür. Wer ist Ihr persönlicher Favorit auf den WM-Titel?

So richtig festlegen möchte ich mich noch nicht. Erst nach der Gruppenphase wird sich zeigen, wer zu den Topfavoriten gehört. In diesem Jahr sind viele gute Teams dabei und es wird sehr spannend werden. Ich glaube, dass es die deutsche Elf auf jeden Fall in das Viertelfinale schafft. Mein Traumfinale wäre natürlich Deutschland gegen Brasilien.

Sie haben selbst lange Zeit als Fußballerin bei Roter Stern Leipzig gespielt. Was begeistert Sie an dieser Sportart?

Um Fußball zu spielen, braucht es nicht viel: einen halbwegs ebenen Platz und einen Ball. Ich bin vor 15 Jahren zum Fußball gekommen. Damals suchte das Frauenteam von Roter Stern Leipzig noch ein paar Fußballerinnen. Für mich als Abgeordnete ist das Fußballspiel ein toller Ausgleich und ich freue mich immer, wenn ich es zum Training schaffe.

Kürzlich sind Sie nach Brasilien gereist. Tut die Fußball-WM dem Land gut?

Fest steht, dass das WM-Fußballfieber nach der WM-Vergabe 2007 in der brasilianischen Bevölkerung schnell in Ernüchterung und Bürgerwut umgeschlagen ist. Die Menschen verstehen nicht, dass Unmengen von Geld in den Bau und die Sanierung von Stadien gesteckt wurde. Gleichzeitig werden aber im Gesundheits- und Bildungssystem und dem öffentlichen Nahverkehr dringend staatliche Investitionen benötigt. Viele Familien mussten ihre Wohnungen für Fanmeilen, Stadien und touristisch interessante Gebiete verlassen und wohnen nun an entlegenen Orten, die eine schlechte Verkehrsanbindung zum Arbeitsplatz oder der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung haben.

Noch nie war die Kritik an der Internationalen Föderation des Verbandsfußballs (FIFA) so laut und deutlich wie in den vergangen Monaten. Was denken Sie über den Weltfußballverband?

Das Hauptproblem sehe ich vor allen Dingen darin, dass die FIFA als eine Art Fußballweltregierung den Gastgeberländern ihre Regeln diktiert und in Brasilien keine Steuern für ihre WM-Aktivitäten bezahlen muss. Umgerechnet elf Milliarden Euro hat diese WM das Land gekostet und ist damit die teuerste WM, die es jemals gegeben hat. Den Großteil der Kosten für die Ausrichtung des Turniers müssen die Steuerzahler in Brasilien übernehmen. Ich wünsche mir, dass sich bei der nächsten WM-Vergabe kein Staat mehr als Gastgeberland der FIFA zur Verfügung stellt. So könnte der Fußballverband dazu gezwungen werden, seine organisatorische und personelle Struktur grundlegend zu hinterfragen.

Glauben Sie, dass die bisherigen Großdemonstrationen während der WM anhalten und sich sogar verschärfen? Oder kommt es doch zu einer großen und friedlichen WM-Party?

Das ist schwer zu sagen. Als ich kürzlich nach Brasilien gereist bin, wurde mir erzählt, dass, solange das brasilianische Team bei der WM gewinnt, die Fußballbegeisterung und Freude im Land überwiegen. Sollte das brasilianische Team jedoch aus dem Turnier ausscheiden, kann es gut sein, dass die Stimmung kippt und sich die Proteste verstärken.

Die Proteste bei der Fußball-WM sind Gegenstand einer Kleinen Anfrage, die Sie kürzlich mit der Fraktion an die Bundesregierung gestellt haben. Welche zentralen Inhalte lagen Ihnen dabei besonders am Herzen?

Besonders wichtig war mir, welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um die brasilianischen Sicherheitsbehörden im Vorfeld und während der WM in Brasilien zu unterstützen. Als es beim Confederations Cup 2013 zu Massenprotesten der brasilianischen Bevölkerung kam, waren diese auf beiden Seiten leider nicht immer gewaltfrei. Proteste sind immer ein Zeichen von Unzufriedenheit und sie gehören zu einer Demokratie dazu, aber nur solange sie friedlich bleiben.

Welche Probleme belasten Brasilien gegenwärtig am meisten?

Neben einer angeschlagenen Wirtschaft und Menschen, die in extremer Armut leben, hat das Land vor allem mit Korruption zu kämpfen, die sich durch alle Bereiche zieht: Politik, Verwaltung, Polizei und gegenwärtig vor allem die Bauunternehmen sind betroffen. Öffentliche Gelder werden veruntreut und Finanzströme sind nur unzureichend transparent.

Brasilien ist ein WM-Sorgenkind, das Emirat Katar auf der arabischen Halbinsel ein noch größeres. Wie lautet ihre Prognose: Kommt die WM in den Wüstenstaat?

Die Zustände in Katar sind besorgniserregend. Es kann nicht sein, dass bei den Bauarbeiten Arbeiter unter sklavenähnlichen Zuständen gehalten und ausgebeutet werden. Ich begrüße es, wenn der internationale Druck immer größer wird und würde mir wünschen, dass die WM dort nicht stattfindet. Neben den menschenrechtlichen werden vor allem klimatische und ökologische Kriterien nicht erfüllt, um eine WM auszutragen.

Kann ein Turnier, das solche gigantischen Kosten verursacht, noch identitäts- und friedensstiftend sein? Hat der Fußball seine Seele verloren?

Wir müssen aufpassen, dass künftig der Kommerz nicht im Vordergrund des Fußballs steht. Es kann nicht sein, dass brasilianische Straßenhändler während der WM nicht ihre regionalen Produkte wie sonst auch vor den Stadien verkaufen dürfen, sondern nur Sponsoren der FIFA wie Coca-Cola oder McDonald's das Recht dazu haben. Der Fußball muss sein völkerverbindendes und freundschaftliches Gesicht bewahren. Fußball verbindet und auch diese WM wird das Gemeinschaftsgefühl wieder stärken, ob zu Hause auf dem Sofa mit der Familie oder beim Public Viewing.

Über Monika Lazar:
Monika Lazar, 47, ist seit 2005 Mitglied des Bundestages. Sie ist Obfrau im Sportausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss und im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist sie Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus.


[Quelle: www.mitmischen.de]