Er ist wortkarg. Stephan Mayer (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI), zeichnet für die Antworten auf kleine Anfragen verantwortlich. Die sportpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Monika Lazar, fragte wiederholt nach, wollte Weiteres über die ominöse »Datei Gewalttäter Sport« (DGS) wissen. Also jene Datenbank, die selbst während coronabedingter »Geisterspiele« aufgefüllt wird – so wurden etwa von März bis Dezember 2020 Angaben zu rund 1.000 Fußballfans neu eingespeichert (jW berichtete mehrmals). Ein Politikum. Abgeordnete, Anwälte und Anhänger zweifeln nicht nur die Speichergründe an, sondern das Prozedere insgesamt. Einige fordern die Datei zu schreddern, statt zu »reformieren«.
Lazar wollte die exakten Gründen für die aktuellen DGS-Eintragungen erfahren. In der Antwort auf ihre Anfrage vom Februar hatte das BMI verlauten lassen, dass neben »Altfällen« Personen bei »Zusammenkünften von Fan-/Störergruppen, z. B. in Verbindung mit dem organisierten Abbrand von Pyrotechnik sowie in Einzelfällen auch zu sog. Drittortauseinandersetzungen (Raufereien unter Hooligans, jW)« erfasst worden seien. Monat, Tatbestände, Bundesland und Vereinszugehörigkeit indes wurden nicht aufgeschlüsselt.
Und das dürfte so bleiben. Das Ministerium von Horst Seehofer (CSU) mauerte auch bei der jüngsten Anfrage Lazars, wie die Antworten vom 12. April, die jW exklusiv vorliegen, belegen. Die Standardfloskel des BMI: Auswertungen unter anderem zu »Zusammenkünften von Fan-/Störergruppen« gehörten »nicht zu den recherchefähigen Datenfeldern« der DGS.
Das kritisiert Angela Furmaniak von der »Arbeitsgemeinschaft Fananwälte«. Die Kriterien für eine Eintragung in diese Datei seien nicht nachvollziehbar, sagte sie am Sonnabend im jW-Gespräch. Mit der für die DGS existierenden Rechtsgrundlage könnten, so die Rechtsanwältin aus Lörrach, »die anwendenden Polizeidienststellen jede gewünschte Datenspeicherung rechtfertigen, während die Betroffenen kaum Möglichkeiten haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen«.
Zur Erinnerung: Die DGS besteht seit 1994. Mitglieder der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren hatten die Informationssammlung beschlossen, um als gewaltbereit eingestufte Fußballanhänger zentral zu erfassen. Sie wird als Verbunddatei beim Bundeskriminalamt (BKA) geführt und von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) gespeist, die an das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste der Polizei Nordrhein-Westfalen angegliedert ist. Das Problem: In der DGS sind mitnichten nur Gewalttäter aufgelistet. Eine Personalienfeststellung kann ausreichen, um in der Datei zu landen. Mit Folgen für Betroffene. Der willkürliche Eintrag der Polizei in der Datei könne mitunter zu ungerechtfertigten Behördenkontrollen bei der Einreise am Flughafen führen, sagte ein Sprecher der Fanhilfe Magdeburg am Sonnabend gegenüber jW. »Damit werden Fans stigmatisiert.«
Lazar ärgert die fehlende Auskunftsbereitschaft des BMI. »Das ist nicht akzeptabel«, sagte sie am Freitag zu jW. Die Sportpolitikerin bezweifelt, dass »›Zusammenkünfte von Störergruppen‹, ›Drittortauseinandersetzungen‹ und ›Altfälle‹ die hohe Zahl von Neueinspeicherungen erklären können«. Parlament, Öffentlichkeit und Fans würden weiterhin im dunkeln gelassen, kritisiert sie. Und die Konsequenz? »Die DGS in ihrer jetzigen Form gehört endlich grundlegend reformiert.« Eine bundesweite Benachrichtigungspflicht erfasster Fußballanhänger durch die Behörden sei »hierbei das mindeste«, sagte Lazar weiter. Sie empfehle, regelmäßig ein Auskunftsersuchen bei der ZIS zu stellen.
Deutlicher äußerten sich die Magdeburger Fanhelfer: »Wir fordern nicht nur eine Reform, sondern die Abschaffung der Datei«. Seit Jahren würden Grundrechte von Fans durch die staatliche Sammelwut ausgehebelt.
Wer fürchtet sich eigentlich vor wem?
Polizei vor Kiezkneipen- oder Waldschützern, Instagram vor linken Bloggern, Geheimdienste vor Antifaschisten? Oder eher andersherum? Die Tageszeitung junge Welt entlarvt jeden Tag die herrschenden Verhältnisse, benennt Profiteure und Unterlegene, macht Ursachen und Zusammenhänge verständlich.
Autor: Oliver Rast
[Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/400807.fu%C3%9Fball-bmi-r%C3%BChrt-beton-an.html]