Start der Formel E in Saudi-Arabien: Werbung für den Schurkenstaat

Pressebericht, Süddeutsche Zeitung, 14.12.2018

Die Formel E will die Rennserie der Zukunft sein. Doch ihren Saisonstart feiert sie im Öl- und Folterstaat Saudi-Arabien. Wie der Automobil-Weltverband Fia das dem Publikum erklärt? Mit dem "Briefing Document" zum "Positive Positioning". - Monika Lazar, Sport-Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion: "In diesen Tagen ein Sportevent in Saudi-Arabien zu veranstalten, ist ein fatales politisches Signal!"

Gut, ein bisschen Pech haben die Veranstalter der Formel E nun auch noch gehabt. Das hätten sie ja schlecht vorhersehen können: dass sich der US-Senat ausgerechnet am Tag vor dem Auftakt der fünften Saison darauf festlegt, dass Mohammed bin Salman, der Kronprinz von Saudi-Arabien, "verantwortlich" für den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi sei. Die vom amerikanischen Geheimdienst CIA zusammengetragenen Beweise erachtet die Kammer als ausreichend, um bin Salman des Mordes zu bezichtigen. Für alle Rennfahrer, Sponsoren und Hersteller ist es insofern eine unglückliche Situation, wenn an diesem Samstag nun also der mutmaßliche Auftraggeber eines Mordes als Gastgeber aus seiner Loge winken wird, sobald die Formel E, die Serie für Rennwagen mit Elektromotoren, zum ersten und wohl nicht letzten Mal in Ad Diriyah rollt, einem Vorort von Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad. Oder nicht?

Andererseits dürften sie in der Formel E von der Entwicklung auch nicht allzu überrascht sein. Für die zu erwartenden Fragen nach Ethik und Moral, die ihren als fröhlichen Festakt geplanten Rennauftakt in der Wüste stören könnten, hat die Formel E schon vor Wochen ein Kommunikationspapier verfasst. Eine Art Ratgeber zur rhetorischen Abwehr lästiger Journalisten: "Racing in Saudi Arabia - Briefing Document. Communications Challenges and positive Positioning". Der Klarheit halber hätte man die Handlungsanweisung auch überschreiben können mit: "So veranstalte ich ein Autorennen im Schurkenstaat - und keiner redet über die Schurken, sondern alle nur über die Autos".

Das Dokument, das der SZ vorliegt, beginnt mit einer wunderbar dezidierten Auflistung, weswegen gleich "aus einer Vielzahl von Gründen" mit der Kritik der internationalen Presse zu rechnen sei. Wunderbar ist die Sammlung, weil sie einem Eingeständnis entspricht; gleich vier Punkte ("Challenges") werden genannt.

Erstens: "Die Menschenrechtsbilanz der Regierung des Königreichs Saudi-Arabien."

Zweitens: "Die mutmaßliche Verstrickung der königlichen Familie und Regierung in den Tod von Jamal Khashoggi".

Drittens: "Die Wahrnehmung der Geschlechtersegregation und der männlichen Vormundschaft."

Viertens: "Die enge Verbandelung mit der Ölindustrie und (gemeint sind jetzt wohl "fehlende"; d. Red.) Nachweise der Nachhaltigkeit."

Obwohl hier ein fünfter Punkt vergessen wurde - der blutige Krieg, den das Land im Jemen führt -, sind das vier triftige Gründe, um ein Rennen in Saudi-Arabien gar nicht erst zu veranstalten, könnte man meinen. Für den Automobil-Weltverband Fia allerdings sind diese vier Punkte nicht so ärgerlich, als dass sie sich nicht mir vier simplen Kunstgriffen aus der Welt schaffen ließen. Und das geht, laut dem offiziellen Strategiepapier, so:

Erstens: "Die Formel E konzentriert ihre Kommunikationsbemühungen auf spannende Sporterzählungen."

Zweitens: "Sie weigert sich, in die politische Debatte hineingezogen zu werden, und lehnt es ab, sich zu politischen oder aktuellen Themen zu äußern."

Drittens: "Sie hebt das Potenzial hervor, Elektrofahrzeug-Technologie zu präsentieren und zu feiern auf dem Verbrauchermarkt in Saudi-Arabien - dem 23. größten der Welt."

Viertens: "Die Formel E positioniert sich als etwas, das eine positive Rolle in Saudi-Arabiens Zukunft spielen kann - indem das Rennen hilft, Barrieren abzubauen - z.B. Fan-Visa-Prozess."


Die Formel E teilt sich die Bühne mit dem Kronprinzen eines Unterdrückungsstaats

Ist es wirklich so einfach?

Offenbar schon. Die Formel E ist in den vergangenen Wochen zumindest ganz gut gefahren mit der Strategie. Immer wenn das aus ihrer Sicht ungeliebte Thema aufgebracht wurde - und das Thema wurde zumindest auf dem Höhepunkt des Falls Khashoggi hin und wieder aufgebracht -, wand sich Formel-E-Chef Alejandro Agag mit dieser Gebrauchsanweisung aus der Kritik. Saudi-Arabien sei das "neue Zuhause der Formel E", sagte Agag Ende Oktober, unmittelbar nach der Ermordung Kashoggis. Da war er gerade für eine sogenannte "Future-Investment-Initative-Konferenz" in Riad. Die Formel E wolle "mit dem Rennen unseren Beitrag zur Modernisierung des Landes leisten", kündigte er an. Eines Landes, das er Monate vorher sogar "als ein aufregendes und lebendiges Land" erlebt hat, das sich "immer mehr auf seine Zukunft fokussiert".

Zunächst fokussiert sich Saudi-Arabien darauf, der Formel E kolportierte 260 Millionen Euro zu überweisen. Als Gegenleistung dafür, dass Riad in den kommenden zehn Jahren die Bühne bereiten darf für die modernste Rennserie der Welt. Für eine Sportart, die für eine ganze Reihe positiver Eigenschaften steht wie Nachhaltigkeit, Emissionsfreiheit und Technologiefreundlichkeit. Eine Rennserie mithin, die nicht auf derselben Bühne stehen sollte wie der Kronprinz eines Unterdrückungsstaats, der mutmaßlich ein buntes Killerkommando, bestehend aus Geheimdienstlern, Militärs, einem Forensiker und einer Knochensäge, nach Istanbul hat schicken lassen, um im dortigen Generalkonsulat Saudi-Arabiens einen kritischen Journalisten zu zerteilen, der noch gerne geheiratet hätte. Oder ist das jetzt spitzfindig?

Die Formel E fährt da, wo gut gezahlt wird. Da folgt sie ihrem historischen und moralischen Vorbild, der Formel 1. Als die Rennklasse mit Verbrennungsmotoren 2012 in Bahrain Station machte, ein Jahr, nachdem die dortige Monarchie im Arabischen Frühling Demonstranten hatte niederknüppeln und Verhaftungswellen folgen lassen, hielt der Weltverband am Rennen fest. Die Formel 1 wolle sich ganz auf den Sport konzentrieren, verfügte Fia-Präsident Jean Todt. Ein schräges Argument. Hat nicht der Sport, da er im Gegensatz etwa zur Wirtschaft keine Funktion besitzt, die über die Unterhaltungsebene hinaus weisen würde, eine viel größere Verpflichtung, darauf zu achten, welche Botschaft er sendet? Wer mag, kann etwa Siemens vorwerfen, dass der Konzern weiter Geschäfte betreibt in Staaten, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden. Aber Siemens-Chef Joe Kaeser sagte immerhin mal eine seiner Reisen nach Saudi-Arabien ab, als sich die Welt angewidert abwendete angesichts der Barbarei im Fall Khashoggi. Das war zumindest ein Signal.

Schon richtig: Seit der Präsentation des Formel-E-Deals hat sich Saudi-Arabien gegenüber der Welt ein wenig geöffnet, wie es so schön heißt. Allerdings ist bei geschlossenen Gesellschaften sehr schnell die Rede davon, sie hätten sich geöffnet. Meist reicht, dass einer vor die Tür geht zum Rauchen. Die Tür geht kurz auf, fällt wieder zu. Sonst passiert nicht viel.

Bin Salman will sich dafür feiern lassen, dass er in diesem Jahr das Fahrverbot für Frauen aufgehoben hat. Auch wurden Kinos wiedereröffnet, die 35 Jahre geschlossen waren. Für das Rennen lockerte das Königreich jene in Punkt vier des Kommunikationskonzepts erwähnten Visa-Bestimmungen für Ausländer. Die Veranstalter erwarten 40 000 Besucher. "Dieses einmalige Ereignis hat das Potenzial, das Leben und die Wahrnehmung zu verändern, sowohl in Bezug auf den Sport als auch auf Saudi-Arabien", wirbt der Präsident des saudi-arabischen Motorsport-Verbandes, Chalid bin Sultan Al Faisal Al Saud.


Es sollen sogar Frauen im Rennwagen sitzen - und Enrique Iglesias darf singen

Und, siehe da: Im Umfeld des Rennens sollen sogar Konzerte stattfinden. Livemusik von Enrique Iglesias! In Riad! Hinzu kommt, gut festhalten, auf einem der Konzerte soll es erlaubt sein, zu tanzen. In der Öffentlichkeit! Öffentlich getanzt wird dann zum ersten Mal in der Geschichte des Landes, wie die Formel E in ihrem Strategiepapier jubelt.

Für all die Kritiker, die beim Gedanken an Sport in Riad noch immer keine Gänsehaut der Vorfreude verspüren, hat sich die Rennserie ein ultimatives Bonbon überlegt. Es gibt tatsächlich Frauen in Rennwagen zu sehen. Zumindest am Sonntag, einen Tag nach dem Rennen. Dann sind in Riad Testfahrten angesetzt; hinter den Lenkrädern sitzen Nachwuchs-Pilotinnen, auch die kürzlich schwer verunglückte Münchnerin Sophia Flörsch hätte mitfahren sollen. Eine Fahrerin aus Saudi-Arabien ist leider nicht dabei. Womöglich war die Zeit zwischen dem 24. Juni, dem Tag der Aufhebung des Fahrverbots für Frauen, und dem Rennen am 15. Dezember etwas zu kurz bemessen, um eine Frau erst zur Fahrschülerin und dann zur Rennfahrerin aufsteigen zu lassen?

Mal so gefragt: Ist es nicht schon ein bisschen dreist, wenn eine Selbstverständlichkeit, die fast überall auf der Welt keine Meldung wert gewesen wäre, als Innovation verkauft wird?

Monika Lazar, die Sport-Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, zeigt sich auf SZ-Anfrage entsetzt angesichts des Gastspiels: "In diesen Tagen ein Sportevent in Saudi-Arabien zu veranstalten, ist ein fatales politisches Signal. Es ist PR für ein repressives System, das wir nicht als normal hinnehmen dürfen", sagt Lazar - und fordert: "Die Einhaltung menschenrechtlicher Standards" solle "zur Voraussetzung von Vergabeentscheidungen im Sport" gemacht werden.

Und damit zu Audi, BMW und HWA Racelab aus dem schwäbischen Affalterbach, den drei deutschen Vertretern, die in dieser Saison Formel-E-Teams an den Start bringen, auch an diesem Samstag in Riad. Auf Anfrage, ob es nicht bedenklich sei, sich am Unterhaltungs- und Werbeprogramm für ein repressives Regime zu beteiligen, halten sich die Teamsprecher an dasselbe Skript. Offensichtlich an jenes Skript, das der Rennveranstalter als Leitfaden verschickt hat: Sie weigern sich, in die politische Debatte hineingezogen zu werden und lehnen es ab, sich zu politischen Themen zu äußern.



Lassen sich die Formel-E-Teams instrumentalisieren?


Bei BMW klingt das so: "Wir bitten um Verständnis, dass sich die BMW Group nicht zu innerstaatlichen oder bilateralen Angelegenheiten äußert." Bei Audi: "Die Vorfälle und aktuellen Entwicklungen rund um Saudi-Arabien sind ohne Zweifel von besonderer Brisanz. Nichts desto trotz vertreten wir als Sportler die Meinung, dass sich Sport immer dafür einsetzen sollte, Menschen zu verbinden. Eine politisch motivierte Instrumentalisierung des Sport lehnen wir ab - egal in welche Richtung." Und Ulrich Fritz, Teamchef von HWA, sagt: "Im Großen und Ganzen machen wir Sport, und dabei sollte es auch bleiben." Allen gemeinsam ist, dass sie übersehen (wollen?), dass der Sport unweigerlich instrumentalisiert wird, wenn sein Gastgeber ein politisch umstrittener Machthaber ist. Und lassen sich die Teams nicht allein schon mit der absurden PR-Nummer instrumentalisieren, ausgerechnet in Saudi-Arabien Frauen in Rennwagen Übungsrunden drehen zu lassen?

BMW und Audi argumentieren außerdem, sie seien als Rennteams in die Verhandlungen der Formel E mit potenziellen Veranstaltern nicht involviert. Und sie hätten sich zur Teilnahme an allen Rennen der Saison verpflichtet. Das mag schon sein. Allerdings bietet die Teilnahme an einer Großveranstaltung immer ein Feld an Handlungsmöglichkeiten. Gäbe es für BMW und Audi nicht einen klugen Mittelweg? Eine Strategie, angesiedelt irgendwo zwischen einem Boykott und der völligen devoten Hingabe, für die sich die Autobauer entschieden haben?

Sie hätten einfach nur darauf hinweisen können, dass ein widersprüchlicheres Sportereignis als der Formel-E-Auftakt in Riad schwer vorstellbar ist. Dort kreisen am Samstag die modernsten Autos der Geschichte in einem der moralisch und ethisch rückständigsten Länder der Welt. Und finanziert wird die emissionsfreie, elektrische Veranstaltung mit den Erlösen der Ölindustrie, die weltweit Verbrennungsmotoren am Laufen hält. Aber der Gedanke stand offenbar in keinem ihrer Kommunikationspapiere.

Autor: Philipp Schneider

[Quelle: www.sueddeutsche.de]