Streit um Polizeieinsätze im Fußball: Wann ist ein Risikospiel ein Risikospiel?

Pressebericht, spiegel.de, 02.04.2018

Der Rechtsstreit um Polizeieinsätze geht weiter. Wer bestimmt, was ein Risikospiel ist? Und wer entscheidet über Personalbedarf und Kosten? Eine Kleine Anfrage einer Grünen-Abgeordneten sollte das klären - stiftet aber nur mehr Verwirrung.

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hatte die Gebührenforderungen des Bundeslands Bremen an die Deutsche Fußball Liga (DFL) grundsätzlich anerkannt. Demnach müsse sich der Verband an Mehrkosten für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen beteiligen. Die DFL hat mittlerweile Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt.

Das ist der aktuelle Stand im Rechtstreit zwischen dem Land Bremen und der DFL. Mittlerweile drängt sich aber eine weitere Frage auf: Wer bestimmt, wann ein Hochrisikospiel (auch als "Hochsicherheits-", "Risiko-" oder "Rotspiel" bezeichnet) im Fußball vorliegt und welche Kriterien gelten bei der Einstufung? Wer legt den Personalbedarf fest und damit auch die Kosten der Polizeieinsätze?

Die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar will darauf eine offizielle Antwort und hat als sportpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, deren Antworten dem SPIEGEL vorliegen. Darin heißt es: "Der Begriff 'Hochrisikospiel' ist nicht legal definiert. Gemäß den DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen werden 'Spiele mit erhöhtem Risiko' und 'Spiele unter Beobachtung' unterschieden."

Die Einstufung der Spiele obliegt demnach dem jeweiligen Heimverein und den Verbänden unter Einbeziehung der Sicherheitsbehörden. In vielen Spielorten tagen dazu regelmäßig oder spieltagsbezogen Sicherheitsgremien. Einfließen sollen dabei unter anderem Anzahl und Einstufung der anreisenden Anhänger, Verhältnis der Anhänger zueinander, Erkenntnisse aus bisherigen Begegnungen, Saisonverlauf, Stadioninfrastruktur, aber auch nicht spielbezogene Erkenntnisse wie zum Beispiel parallel stattfindende Großveranstaltungen, Demonstration oder andere polizeiliche Einsatzlagen.

Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage daher auch: "Der Einsatz von Kräften der Bundespolizei erfolgt nicht aufgrund der Einstufung durch die Vereine bzw. der Fußballverbände (DFB/DFL), sondern richtet sich an einer eigenen polizeilichen Lagebewertung aus."

Mit anderen Worten: Die Entscheidung darüber, mit welchen polizeilichen Maßnahmen und Kräften operiert wird, obliegt am Ende den Sicherheitsbehörden. Und eben darin liegt eine gewisse Krux: Denn damit entscheidet letztlich die Polizei, ob ein Spiel einer - legal nicht definierten - Kategorie angehört, die in der Folge einen in der Regel mindestens sechsstelligen Gebührenbescheid auslöst. Kritiker bemängeln, dass sich die Exekutive somit selbst eine Gebührengrundlage schaffen kann.

Auch Grünen-Politikerin Lazar - die eine Kostenbeteiligung der Vereine ablehnt - kritisiert das Verfahren. "Die Einstufung von Fußballspielen als 'Spiele mit erhöhtem Risiko', wie es in den DFB-Richtlinien heißt, erfolgt bisher auch aufgrund 'allgemeiner Erfahrungen' und ist somit reichlich undurchsichtig", sagt sie und fordert: "Hier müssen die beteiligten Akteure, allen voran die Politik, mehr Transparenz schaffen, insbesondere, da sich aus der Einstufung der Spiele eine Kostenbeteiligung für die DFL und damit die Vereine ergeben kann."


Offizielle Zahlen gibt es nicht - für Experten ein "Unding"

Hinzukommt, dass es keine offizielle Statistik darüber gibt, wie viele solcher Hochrisikospiele pro Saison stattfinden - oder wie sich diese Zahl entwickelt. Lediglich für die vergangene Saison liegen bei der DFL Zahlen vor: Demnach gab es 24 "Spiele mit erhöhtem Risiko" in der 1. Bundesliga, 34 in der 2. Bundesliga und 51 in der 3. Liga.

In ihrer Antwort auf die Frage nach dem Anteil an Hochrisikospielen an der Gesamtzahl der Fußballspiele der ersten drei Ligen teilte die Bundesregierung mit: "Hierzu liegen keine Informationen vor." Ein Umstand, den der Kriminologe Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum, der sich seit geraumer Zeit mit Sicherheitsaspekten bei Fußballspielen beschäftigt, kürzlich als "Unding" und "Trauerspiel" bezeichnet hatte.

Legt man die Einsatzstunden der Polizeibeamten zugrunde, die sich (allerdings in leicht abweichender Form) auch in den Jahresberichten der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) finden lassen, ergibt sich ein uneinheitliches Bild: So war in den ersten beiden Ligen in der Saison 2013/2014 mit fast zwei Millionen Arbeitsstunden bei Landes- und Bundespolizei ein Höhepunkt erreicht, der seitdem immer unterschritten wurde. 2015/2016 fielen mit knapp 1,5 Millionen Arbeitsstunden in erster und zweiter Liga fast ein Viertel weniger an als noch zwei Jahre zuvor.

Allerdings stiegen im selben Zeitraum die Arbeitsstunden in der dritten Liga deutlich an. Laut der ZIS hat dies mit der Zusammensetzung der Liga zu tun (eine Frage wäre hier: Wie viele rivalisierende Fanlager gibt es innerhalb der Liga?). Die ZIS spricht insgesamt von einem "saisonbedingt schwankenden, jedoch insgesamt weiterhin hohen Niveau der Sicherheitsstörungen und des gewalttätigen Verhaltens". Deutlich ist aber auch: Die Einsatzstunden der Polizei, registrierte Straftaten und freiheitsentziehende Maßnahmen sind in den vergangenen Jahren nicht kontinuierlich gestiegen.


Autor: Andrej Reisin

[Quelle: www.spiegel.de]