Fußball wird aktuell nur in den drei deutschen Profiligen gespielt, allerdings seit Monaten ohne Fans. Dennoch wurde nun bekannt, dass die vom Bund geführte Datei "Gewalttäter Sport" bis zum Ende des vergangenen Jahres um mehr als 1000 Eintragungen angewachsen ist.
Leipzig. Seit beinahe einem Jahr werden Fußballspiele - wenn überhaupt - mit wenigen oder gänzlich ohne Fans angepfiffen. Ab vierter Liga abwärts ruht der Ball, inzwischen zum zweiten Mal seit Monaten. Dennoch ist die Zahl der so genannten "Gewalttäter Sport" in dieser Zeit gewachsen, und zwar deutlich. Die Polizeibehörde speicherte von März bis Dezember 2020 insgesamt 1.056 Personen neu in der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ (DGS) ein. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Leipziger Bundestagsabgeordneten Monika Lazar und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor.
200 Personen aus Sachsen
Insgesamt 22 Fragen hatte die Fraktion eingereicht. Dazu gehörten unter anderem wie viele Personen insgesamt in der Datei erfasst sind, auf Grund welcher Vergehen, aus welchen Bundesländern – aufgeschlüsselt nach Land und Verein. Im Zentrum stand natürlich die Frage, wie die Bundesregierung die hohe Zahl an Speicherungen im fraglichen Zeitraum angesichts anhaltender Geisterspiele erklärt.
In ihrer schriftlichen Antwort vom 17. Februar erklärt die Bundesregierung, dass Stand 4. Februar insgesamt 7.841 Personen in der Datei gelistet sind, 3248 zudem mit digitalem Bildmaterial. Als Gründe für die Aufnahme in die Datei gelten dabei an erster Stelle Landfriedensbruch gefolgt von Platzverweis, gefährlicher Körperverletzung und der Feststellung der Personalien. Die meisten gespeicherten Personen sind in Nordrhein-Westfalen (2923) registriert, 786 in Bayern, 764 in Niedersachsen und 506 in Baden-Württemberg. Im Osten des Landes sind mit 341 in Thüringen, 263 in Sachsen-Anhalt, 200 in Sachsen, 88 in Brandenburg sowie 55 in Mecklenburg-Vorpommern vertreten.
Der Bitte der Aufschlüsselung nach Vereinszugehörigkeit kam die Bundesregierung nicht nach. Dies könne „aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen. Bei einer Veröffentlichung der Auflistung stünde zu befürchten, dass diese von den Problemszenen als „Rangfolge“ missverstanden wird. Gewalttäter könnten hierdurch zu weiteren Störungen animiert werden, um in der so verstandenen Rangordnung aufzusteigen (Phänomen der Selbstinszenierung).“
Tatzeitpunkt deutlich vor der Eintragung
Und wie viele Menschen wurden nun von März bis Dezember 2020 in die Datei aufgenommen und vor allem warum? Die höchste Anzahl (220) erscheint in der Auflistung als „Ingewahrsam“ im März gefolgt von 163 im April, 108 im Juni und 157 im August, 81 im November. Besonders schwerer Landfriedensbruch wurde im August und November mit jeweils 46 Eintragungen aufgelistet. Aber wie konnte das trotz Geisterspielen in Serie möglich sein?
Die Bundesregierung erklärt die Neuspeicherungen mit der zeitintensiven Ermittlungsarbeit. Der Zeitpunkt der Eintragung in die Datei sei nicht identisch mit dem Tatzeitpunkt. Zudem erklärt sie: „Darüber hinaus kam es auch im Zusammenhang mit Spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit teilweise zur Zusammenkunft von Fan-/Störergruppen, zum Beispiel in Verbindung mit einem organisierten Abbrand von Pyrotechnik sowie in Einzelfällen auch zu so genannten Drittort-Auseinandersetzungen.“
"Fußballfans geben ihre Rechte nicht am Stadiontor ab"
Monika Lazar, Sportpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, empfindet die Vorgehensweise als befremdlich: „Es macht mich immer noch stutzig, dass Polizeibehörden auch während der Zeit der Geisterspiele weiterhin Fans in der umstrittenen Datei „Gewalttäter Sport“ speichern. Die Erklärung der Bundesregierung finde ich nicht überzeugend. Nach den Aussagen beispielsweise der Fananwälte wird gerade nicht jeder Einzelfall umfassend vor einer Speicherung geprüft, eher im Gegenteil.“ Lazar betont zudem die Forderung nach einer Reform, damit Fans „über die Speicherung ihrer Daten von den Behörden proaktiv informiert werden, um sich dagegen juristisch wehren zu können.“ Sie gibt zu bedenken, dass über 1600 von 7800 Fans „aktuell aufgrund einer Personalienfeststellung oder eines Platzverweises in der Datei gespeichert“ sind.
Lazar betont daher: „Für uns Grüne ist klar: Fußballfans geben ihre Rechte nicht am Stadiontor ab. Wir müssen endlich weg von der Law-and-Order-Politik gegenüber Fußballfans. Wir sehen Fans nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung. Aus den Fanszenen kommen viele gute Ideen und Projekte, die auch Politik, Vereine und Verbände besser unterstützen müssen: Beispielsweise beim Engagement gegen Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, bei der Prävention sexualisierter Gewalt im Stadion oder ganz grundsätzlich bei den nötigen Reformen des Profifußballs.“
Autorin: Britt Schlehahn