BERLIN. "Da stecken die Herrschaften vom DOSB und aus der Politik bei den Winterspielen von Pyeongchang im Deutschen Haus die Köpfe zusammen, und zwei Wochen später heißt es, dass die 200 000 Euro, die dem Verein Athleten Deutschland zugesagt waren, an den DOSB gehen", schimpft Felix Neureuther. "Wenn Alfons Hörmann wirklich wollte, dass die Athleten unterstützt werden, dann sollte er etwas dafür tun und dies nicht verhindern."
Den Skirennfahrer, Gewinner von 13 Weltcup-Rennen, bringt die Unsicherheit bei der Finanzierung des Vereins Athleten Deutschland in Rage - wie viele Sportlerinnen und Sportler. Gegenüber Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) und Politik drängen sie - unter ihnen die vier Olympiasieger Lena Schöneborn und Kristina Vogel, Fabian Hambüchen und Robert Harting - darauf, eine unabhängige Vertretung der Hauptpersonen im Spitzensport zu ermöglichen. "Athleten sind Nutzobjekte in diesem System", klagt Neureuther. "Ich habe den Eindruck, dass der DOSB und sein Präsident fürchten, die Macht zu verlieren, über Sportlerinnen und Sportler zu bestimmen."
Neureuther spielt mit seiner Beobachtung aus Pyeongchang auf die Nähe zwischen DOSB-Präsident Hörmann und dem Parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer an, beide Bayern, beide Mitglieder der CSU. Mayer besuchte in seiner Eigenschaft als Mitglied des Sportausschusses des Deutschen Bundestages im Februar die Olympischen Winterspiele. Seit März ist er auf Regierungsseite der starke Mann im Sport. Für Irritation sorgte, als er wie Hörmann die scheinbar paradoxe Forderung aufstellte, dass die Athletenvertretung unabhängig sein solle, zugleich aber unter das Dach des DOSB gehöre. Auf Anfrage teilt Mayer mit: "Ich habe in Pyeongchang mit dem Präsidenten des DOSB, Herrn Alfons Hörmann, nicht über den Verein Athleten Deutschland e.V. beziehungsweise dessen Förderung gesprochen." Der DOSB ließ ebenfalls wissen, dass es ein Gespräch der beiden zum Verein Athleten Deutschland in Pyeongchang definitiv nicht gegeben habe. Der Vorwurf, Machtverlust verhindern zu wollen, sei absurd. Eine Sprecherin verwies auf ein Interview des Sport-Informations-Dienstes. "Eine wie auch immer geartete Professionalisierung und Stärkung der Athletenkommission halte ich für unabdingbar, wertvoll und wichtig", sagt Hörmann darin. " Wir müssen mit dem BMI klären, wie wir das umsetzen. Wir haben uns bis zum heutigen Tag nicht an Mitteln der Athleten bedient und werden es auch künftig nicht tun."
Athletenvertreter einer Vielzahl von Verbänden haben den Verein gegründet. Eine Geschäftsstelle mit Jurist und Sprecher soll ihre Interessen vertreten. Der Bund wollte die Unternehmung mit 225 000 Euro pro Jahr finanzieren. Auf die Umfrage dieser Zeitung gibt es Erklärungen wie die von Judoka Laura Vargas Koch. Um Fragen zum Anti-Doping- Kampf und zu Themen wie Krankenversicherung und Rente für Sportler, die nicht bei der Polizei oder Bundeswehr beschäftigt sind, gerecht zu werden, brauche es eine professionelle und unabhängige Athletenvertretung, sagt die Olympia-Dritte von Rio. "Diese würde uns Sportlern in den von Funktionären dominierten Organisationen eine eigene Stimme geben."
Auch ein hohes Maß an Misstrauen, Ungeduld und Wut spricht aus den Äußerungen der Athleten. "Das Machtgefälle zu Lasten der Athleten ist nicht mehr hinzunehmen", findet Robert Harting, der Diskus-Olympiasieger von London 2012. "Athleten sind zum Söldnertum gezwungen. Mehrere Fördersysteme wirken gleichzeitig auf den Athleten mit Verhaltensvorgabe ein." Der Fachverband verweise zum Beispiel auf die Bundeswehr und diese umgekehrt auf den Verband. So gelinge es praktisch jeder Institution, Druck auf Athleten auszuüben.
Hartings Forderung greift weit. "Zu einer Spitzensportreform gehört neben mehr Geld - zu Recht, wie ich empfinde - auch die Reform des DOSB. Die Frage über seine Existenzberechtigung sollte ebenso gestellt werden", fordert er. "Der DOSB ist nach wie vor daran interessiert, diese Existenzberechtigung zu sichern, indem er alle Parteien von sich abhängig denkt und diese auch so behandelt. Dazu gehört auch die Athletenvertretung. Es muss Schluss sein mit dem Gedanken, dass Vetternwirtschaft ein gutes Instrument für den sportlichen Erfolg dieses Landes bedeutet."
Fabian Hambüchen, Turn-Olympiasieger von Rio 2016, sieht in der Vertretung mittels Athleten Deutschland "das Ende der Bevormundung, mehr Eigenverantwortung und Unabhängigkeit". Die sei für die Athleten enorm wichtig, sagt er. "Die Gelder sind notwendig, und den Athleten kann zugetraut werden, dass sie gut mit diesen umgehen werden." Auf Anfrage der Grünen-Abgeordneten Monika Lazar hat das Bundesinnenministerium bestätigt, dass die Aussicht auf keinerlei Steigerung der Spitzensportförderung in diesem Jahr auch Athleten Deutschland betreffe. Es seien keine Mittel für den Haushalt 2018 eingestellt. Monika Lazar warf dem Parlamentarischen Staatssekretär Mayer vor, sein Versprechen gebrochen zu haben.
"Diesen plötzlichen Richtungswechsel der Doch-nicht-Finanzierung kann ich nicht verstehen", klagt Lena Schöneborn, Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf von Peking 2008. "Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass eine unabhängige Vertretung der Kaderathleten ein guter Schritt ist, die Qualität unserer Interessenvertretung zu steigern. Die finanzielle Unabhängigkeit sorgt für eine mögliche Kommunikation auf Augenhöhe der Aktiven mit Vertretern des DOSB, der Politik und der Wirtschaft."
Kristina Vogel, Rad-Olympiasiegerin von London 2012 und Rio 2016, wird grundsätzlich. "Der Einzelne ist schwach, doch die Gemeinschaft ist stark, um faire Bedingungen aushandeln zu können. Bisher besaß die Berufsgruppe Leistungssport keine solche Interessenvertretung. Mit den Athleten Deutschland soll sich dies ändern", sagt sie. "Ich bin der Meinung, dass man schlecht argumentieren kann, wenn die Interessenvertretung nicht selbstbestimmt und unabhängig arbeiten kann oder sogar darf."
Auch Hannes Ocik, Silbermedaillengewinner von Rio im Deutschland- Achter, beklagt das Hin und Her. "Abgeordnete und Ministerium waren entschlossen, den Verein zu unterstützen, der die besten deutschen Sportlerinnen und Sportler vertritt - wir reden von Medaillengewinnern bei Olympischen Spielen. Jetzt soll die Politik auch dazu stehen", fordert er. "Die Summe, um die es geht, ist doch ein Witz im Vergleich zu dem, was in diesem Land sonst so alles gefördert wird. Wir brauchen diesen Verein, damit wir eine starke Stimme bekommen und vom DOSB endlich ernst genommen werden."
Konstantin Schad hat buchstäblich am eigenen Leib erlebt, was Abhängigkeit für Athleten bedeuten kann: In Pyeongchang schickten die Organisatoren ihn und die anderen Snowboarder auf eine lebensgefährliche Cross-Strecke; bei schweren Stürzen verletzten sich viele Athleten schwer. "Wir wollen in Athleten Deutschland ein Vorreitermodell schaffen, dass es verhindert, dass Athleten zum Beispiel genötigt sind, unter solchen Bedingungen anzutreten, und in einer wahnsinnigen Abhängigkeit gegenüber den Verbänden und deren Fördersystemen nicht die Möglichkeit haben, ihre ehrliche Meinung zu äußern", sagt Schad, Vorsitzender der Athletenkommission im Ski-Weltverband.
"Ich habe leider weder von der Politik noch vom DOSB ein für mich schlüssiges Argument gehört, warum die Athletenvertretung nicht komplett unabhängig und professionell werden soll", sagt Marc Zwiebler, neunmaliger deutscher Badminton-Meister und Europameister von 2012. "Als einzig mögliche Erklärungen fallen mir ein, dass dies entweder den Athleten nicht zugetraut wird oder dass Verband und Politik Angst vor Macht- und Kontrollverlust haben. Dies wäre bedenklich, schließlich werden immer mündige Athleten beschworen; sie sollten die Hauptakteure sein."
Max Hartung, Europameister im Säbelfechten und Vertreter der Athletenkommission im Präsidium des DOSB, scheint entschlossen. "Der DOSB pokert und spielt auf Zeit, aber diese Bewegung ist nicht aufzuhalten", sagt er. "Wir werden in Deutschland den Anfang machen und erstmals echte Mitbestimmung der Athletinnen und Athleten in der Sportwelt durchsetzen."
Autor: Michael Reinsch
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