Die Bundesregierung plant offenbar keine weitere Aufarbeitung zu möglichen Menschenversuchen an Freizeitsportlern im DDR-Sport. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.
Die ARD hatte Ende Februar in einer Recherche von systematischen Experimenten an Freizeitsportlern im DDR-Sport berichtet, die es spätestens seit Beginn der Siebzigerjahre und bis kurz vor dem Mauerfall gegeben haben soll. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Eingriffen und Behandlungen sollten offenbar unmittelbar zu besseren Leistungen bei Spitzenathleten führen.
In dem Beitrag ist unter anderem von schmerzhaften Biopsien und Dopingexperimenten mit teils nicht zugelassenen Präparaten an den Amateursportlern die Rede. In der Dokumentation berichteten mehrere der damaligen sogenannten Volkssportprobanden von den Versuchen und ihren Nebenwirkungen. Die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Mecklenburg-Vorpommern, Anne Drescher, war angesichts des Zeitraums »von mehreren Hundert« Betroffenen ausgegangen.
Neben ihr hatten unter anderem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und der Verein Doping-Opfer-Hilfe zuletzt eine Aufarbeitung und Entschädigung der Betroffenen gefordert. Auch das für den Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) erteilte dem jedoch auf ARD-Anfrage eine Absage. »Eine Erforschung möglicher Experimente im Breitensport der DDR liegt nicht im Aufgabenbereich des BMI, das für die Förderung des Spitzensports in der Bundesrepublik Deutschland und die damit zusammenhängenden Fragestellungen zuständig ist«, teilte das BMI mit.
In dem Schreiben der Bundesregierung heißt es, die Bundesregierung habe erstmals durch die Medienberichterstattung von der möglichen Einbindung von Freizeitsportlern in medizinische Tests und Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Dopingpräparaten in der DDR erfahren. Darüber hinaus lägen diesbezüglich »keine weiteren belastbaren Kenntnisse vor«. Auch über die Anzahl möglicherweise betroffener Freizeitsportler hätte man keine Informationen.
Dennoch plant die Bundesregierung offenbar keine weitere Aufarbeitung des Themas. Auf die Frage, welche Maßnahmen man diesbezüglich plane, heißt es in der Antwort lediglich: »Die Bundesregierung fördert seit 2013 das Projekt ›Sport in Not‹ des Doping-Opfer-Hilfe e.V. Der Verein berät Geschädigte und Betroffene und trägt ihrem Bedarf an Hilfe und Aufarbeitung Rechnung.«
Hilfegesetze nur für Spitzensportler
Die sportpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen kritisierte die Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber dem SPIEGEL. »Hier deutet sich ein weiteres dunkles Kapitel der DDR-Sportgeschichte an, das dringend umfassend aufgearbeitet werden muss«, sagt Monika Lazar laut der Mitteilung. Es brauche wissenschaftliche Untersuchungen. »Hier ist selbstverständlich die Bundesregierung in der Pflicht. Es ist beschämend, dass sie hierzu keinerlei Maßnahmen plant.« Wenn es mehr Informationen gebe, müsse auch überlegt werden, wie Opfern der damaligen Praktiken geholfen werden könne.
Auf die Frage nach finanzieller Unterstützung Betroffener reagierte die Bundesregierung jedoch ebenfalls nur ausweichend und verwies auf die frühere Unterstützung ehemaliger vom DDR-Staatsdoping geschädigter Leistungssportler durch das erste und zweite Dopingopfer-Hilfegesetz.
Beide Hilfsfonds sind allerdings bereits ausgelaufen und konnten von Freizeitsportlern auch nicht in Anspruch genommen werden, wie die Regierung zugibt. »Der Adressatenkreis der Gesetze beschränkte sich auf Hochleistungssportler und Hochleistungsnachwuchssportler der DDR«, heißt es. So hätten Betroffene höchstens die Chance, über das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz Ansprüche geltend zu machen. Ohne gesicherte Kenntnisse und eine grundlegende Aufarbeitung dürfte das für die Betroffenen allerdings schwierig werden.