Der Antrag war oft verschoben worden und wurde nicht nur deshalb längst mit Spannung im Stadtrat erwartet. Der eigentliche Grund war wohl eher, dass es eine Art links-grüne Zerreißprobe unter den Augen derer zu werden drohte, denen schon beim Wort „Connewitz“ der wohlige Angstgrusel den Rücken runterrennt. Und die sich andererseits schon darauf freuten, quasi innerlinke Bekenntnisse Pro und Contra eines Schriftzuges namens „No Cops No Nazis“ an der Wand des Streetballplatzes am Connewitzer Kreuz zu erleben. In der Debatte wurden dann alle bedient.
Ganz kurz war Torsten Bonew (CDU) als Stadtkämmerer nach eigener Aussage davor, eine „Graffitisteuer“ zu erwägen, angesichts des kleinen, aber vorhandenen touristischen Nutzens, den Stadträtin Juliane Nagel dem Kult gewordenen Schriftzug „No Cops No Nazis“ am Vierteleingang zu Connewitz zusprach. Längst gibt es von dem Motiv T-Shirts, Schlüsselanhänger und somit sogar einen Nutzen.Doch bevor man sich in den Weiten der Debatte um Kunst, Nichtkunst, Diskriminierung von Polizeibeamten und der demokratisch möglichen Kritik an Polizist/-innen verlor, hatte Monika Lazar (Grüne) den eigentlichen Antrag von ihr, Thomas Kumbernuß (Die PARTEI), Christopher Zenker (SPD) und Marco Götze (Linke) in den Stadtrat eingebracht.
Der Wunsch der aus vier Parteien bestehenden Allianz: Endlich eine vernünftige Lösung für das Hin und Her aus Bemalung durch nächtliche Sprayer und Übermalung durch das tagaktive Ordnungsamt Leipzig zu beenden.
Die Ausgangslage
Der Kern der Idee der Vier: „Die Stadt Leipzig wird beauftragt, mit den Schulen, die sich in der Nähe befinden, Apollonia-von-Wiedebach-Oberschule, Louise-Otto-Peters-Gymnasium, Kant-Gymnasium, Gespräche zu führen und den jeweils zuständigen Lehrer/-innen bzw. den passenden Arbeitsgruppen der Schule die künstlerische Gestaltung der Wand des Basketball-Platzes am Connewitzer Kreuz anzubieten. Dabei können auch aktuelle globale politische Diskussionen wie die ‚Fridays for Future’ oder die ‚Black lives Matter’-Bewegung, aber auch lokale Themen aufgegriffen werden.“
Bei der Findung der richtigen Schule und im weiteren Verlauf soll auch der Stadtbezirksbeirat Süd eingebunden werden.
Nicht ganz unpfiffig griff Juliane Nagel (Linke, MdL) die Idee der Befriedung quasi von der anderen Seite her auf und stellte einen eigenen Antrag. Dieser wiederum sah vor, dass man (statt weiterer Kosten der Übermalungen über die bisherigen rund 12.000 Euro hinaus) zu haben, einfach 5.000 Euro in die Hand nehmen könne, um von Künstler/-innen aus Connewitz „die 2014 erstmals errichtete Wandmalerei mit dem Schriftzug „No Cops – No Nazis – Antifa Area“ wiederherstellen zu lassen.“
Den Nutzen für Merchandising und Tourismus mitgedacht, beantragte die Landtagsabgeordnete und Stadträtin zusätzlich weiteres Geld zur ab und zu notwendigen Erneuerung des „Kunstwerkes“ und eine Prüfung der Stadt, „die ursprünglich geplanten Bestandteile des Ensembles – eine Tischtennisplatte und eine Kletterwand – am Standort zu realisieren.“
Woraufhin heute Monika Lazar ebenfalls geschickt die Beantragung von Tischtennisplatte und Kletterwand mit in den eigenen Antrag übernahm.
„Showdown“ im Livestream
Wer das Wort „Showdown“ auch immer in Bezug zu diesem Thema gesetzt hatte, man hörte es bereits vor der Debatte von mehreren Seiten und in der Aussprache nutzte es Juliane Nagel, die auf das Augenzwinkern in ihrem Antrag hinwies. Und offenbar eher hoffte, beide Anträge würden abgelehnt.
Doch bis zur Abstimmung kam dann erst mal jeder auf seine Kosten.
Thomas Kumbernuß fühlte sich getroffen von dem Vorwurf Nagels, er und die anderen drei Antragsteller würden nun quasi Kinder vorschieben, um die Wand zu legalisieren, während Nagel darauf hinwies, dass diese Debatte niemandem nütze – außer denen, die schon seit Jahren Connewitz diskreditieren.
Laut Christopher Zenker seien aber durchaus auch Kinder und Jugendliche in der Lage, sich kreativ mit aktuellen politischen Themen auseinanderzusetzen und so die Wand halt anders bunt zu gestalten. Zwar lud Juliane Nagel dann als Versöhnungsgeste Kumbernuß auf ein Gespräch über das Thema zum virtuellen Kaffee ein, aber andere nahmen die Einladung an.
Bei dem Redebeitrag von AfD-Stadtrat Markus Beyer kam – wie zur Bestätigung Nagels Befürchtung – kurz die ganze Wut auf irgendwie alles durch, was er in seiner Jugendkultur verpasst hat, um – wie auch anschließend Karsten Albrecht und Sven Morlok – die Polizei regelrecht zu glorifizieren und im Schriftzug „No Cops. No Nazis.“ selbst eine Gleichsetzung von Polizei UND Nazis zu vermuten.
Und da war es auch schon, das Wort Diskriminierung von Polizeibeamten, was Michael Neuhaus (Linke) seiner Parteikollegin Nagel zur Seite springen und den Satz sagen ließ: „Polizisten werden nicht in Uniformen geboren“, nachdem er natürliche Unterschiede in Haut- und Haarfarbe sowie Körpergröße und -fülle als leidige Gründe für Diskriminierungen benannt hatte.
Er würde nun aufgrund der Debatte doch Juliane Nagel zustimmen, so Neuhaus, andere hatten darauf weniger Lust.
Abstimmung und Nachspiel
Trotz Showdown waren also die Colts im Holster geblieben, alle überlebten den lange erwarteten Tag der Abrechnung. Eben diese führte Jürgen Kasek flotter als gedacht herbei, indem er den Antrag stellte, nun die Debatte zu schließen, sich nicht weiter über Polizeidiskriminierung zu unterhalten und in der Abstimmung zu befinden, ob nun Kinder oder Nachtarbeiter die Wand zukünftig verschönern sollen.
Juliane Nagels Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, während die Stadtverwaltung anschließend laut Antrag von Lazar, Kumbernuß, Zenker und Götze mit knapper Mehrheit beauftragt wurde, bis zum Ende des Jahres das Konzept, die Kooperationen mit den oder der Schule(n) zustande und die Tischtennisplatte samt Kletterwand auf den Weg zu bringen. So sollen also zukünftig Kids ihre politischen Themen an der Wand ausleben, mal sehen, ob in der Nacht weitere Kommentare hinzukommen und so ein altersübergreifender Dialog entsteht.
Doch den Schlusspunkt setzte die sichtlich erregte Stadträtin Andrea Niermann (CDU). Sie musste noch nach der Abstimmung unbedingt mitteilen, dass sie das Agieren von Juliane Nagel („als Landtagsabgeordnete!“) als „undemokratisch“ ansehe. Zudem bewege sich Nagel „nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit ihrem Verhalten hier“.
Das war zwar in der Debatte nicht zu erkennen, aber wie gesagt: Jeder hatte offenbar seine ganz eigene Freude an der nun abgeschlossenen Auseinandersetzung. Jetzt sind die kreativen Kinder und Jugendlichen der Gegend am Zug. Ob sie auf die Idee kommen „No Cops. No Nazis.“ an die Wand zu malen, ist offen.
((Die Debatte vom 24. März 2021 im Stadtrat - Video: Livestream der Stadt Leipzig))
Autor: Michael Freitag