In Ringschlachten

Pressebericht, Junge Welt, 19.10.2020

Nazikampfsportler trainieren für »Tag X«. Regierung sieht keinen Handlungsbedarf. Grünenpolitikerin fordert Konsequenzen gegen Bundeswehr-Angehörige bei rechten Extremsportevents

Das Auftreten ist martialisch, die Gesinnung extrem rechts: Neonazistische Kampfsportler haben längst eine eigene Subkultur etabliert. Unter dem Titel »Rechtsextreme Instrumentalisierung des Kampfsports« stellte die sportpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Monika Lazar, eine kleine Anfrage an die Regierung. Die Antworten des zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) vom 12. Oktober liegen jW vor. Verschwurbelt heißt es in einer Passage der 33 Seiten umfassenden Auskunft: »Ein sportpolitischer Regelungsbedarf wird nicht gesehen«.

Fragestellerin Lazar machen die lapidaren Ausführungen des Ministeriums von Horst Seehofer (CSU) »stutzig«. Extremkampfsport sei zwar nicht per se rechtsextrem, »aber einer Unterwanderung der Szene muss Einhalt geboten werden«, so Lazar am Sonntag gegenüber jW. Es hat Folgen, dass das Bundeskabinett »weiterhin keinen Handlungsbedarf sieht«: »Jeder Rechtsextremist kann ein ›Mixed Martial Arts‹-Studio eröffnen, es gibt quasi keine Prävention in diesem Bereich«, sagte Lazar. Hier müsse die Sportpolitik dringend eingreifen, forderte die Grünen-Politikerin.

Antifaschistische Initiativen wie »Runter von der Matte« weisen bereits seit längerem auf eine wachsende Nazikampfsportszene hierzulande und in anderen europäischen Ländern hin. Einem partiell konspirativ agierenden Milieu, dessen »Kampftage« von Hunderten Interessierten besucht werden. »Seit über fünf Jahren organisieren sich Neonazis offensiv in professionelleren Strukturen«, erklärte die Initiative bereits Ende Juli. Mit ihren Events würden die Macher für rechtes Gedankengut offene »Personen ansprechen und rekrutieren« – nicht nur lokal, sondern gleichfalls international. Über die eigens für den »Freefight« kreierten und vertriebenen Kleidungsmarken entstehe eine Art popkultureller Dresscode.

Ein Ausschluss extrem rechter MMA-Kämpfer aus dem Veranstaltungsprogramm reiche nicht, heißt es bei »Runter von der Matte«. Statt simple »Extremismusklauseln« zu propagieren, müssten sich die Verbände stärker einbringen, allen voran die konkurrierenden namens German Amateur MMA Federation ­(GAMMAF) und German MMA Federation ­(GEMMAF). Die Organisationen hätten eine Vorbildfunktion, müssten klarer benennen, »warum Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Ring nichts zu suchen haben«.

An vorderster Front

Der Autor Robert Claus schildert in seinem jüngst erschienenen Band »Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert« unter anderem die lukrative Geschäftemacherei mit Gewaltevents wie beim »Kampf der Nibelungen« (siehe Interview und Hintergrund). Wie ernst es den Akteuren ist, zeigt beispielsweise die neonazistische Kleinpartei »Der III. Weg«. In ihrer Arbeitsgemeinschaft »Körper und Geist« zelebriert sie »männliche Wehrhaftigkeit«. Kurzum: »Die Szene macht mobil für den vielbeschworenen Tag X«, schreibt Claus. Dabei handelt es sich um eine »Chiffre« für Planspiele zu einem »politischen Umsturz«.

Klar ist, die Übungseinheiten auf der Matte dienen der Vorbereitung von Attacken auf der Straße. Zwei Beispiele: Bei den Angriffen im alternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016 oder den rassistischen Mobilisierungen im Spätsommer 2018 in Chemnitz waren rechte Kampfsportler und Hooligans in vorderster Front dabei.

Kriegerische Posen

Die kriegerischen Posen der Nazikampfsportler ziehen eine weitere Klientel an, Bundeswehr-Angehörige etwa. Das BMI räumte offiziell knapp 20 solcher »Kennverhältnisse« ein, »wobei sie in ihrer Intensität stark variieren«. Offenbar ein Versuch, die Gefahren eines derartigen Kontaktnetzes zu verharmlosen. Lazar hält hingegen diese Verbindungen für »besonders besorgniserregend«, fordert Konsequenzen für Angehörige des deutschen Militärs, die bei extrem rechten Kampfsportevents »ein- und ausgehen.« Und sie warnt: Niemand wisse, wie viele rechtsextreme Kampfsportler oder Kampfsportgruppen es aktuell gibt. »Ein Lizenzierungsverfahren für Gyms und Trainer könnte hier eine Lösung sein, um Rechtsextreme aus diesem Sport herauszuhalten«, so Lazar.

Fazit: Ignoranz und Desinteresse kennzeichnen das Regierungsverhalten. Lazar wollte wissen, welche Maßnahmen zur Prävention von extrem rechter Gewalt im Kampfsport dem Kabinett bekannt sind. Antwort: »Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor«.

Autor: Oliver Rast

[Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/388583.kampfsportszene-in-ringschlachten.html]