René Lau ist Strafverteidiger und Mitglied der AG Fananwälte.
Herr Lau, am Wochenende berichtete die „junge Welt“, dass deutsche Polizeibehörden trotz Geisterspielen weiter Daten über Fußballfans sammeln. 1056 Personen sind demnach von März bis Dezember neu in der „Datei Gewalttäter Sport“ erfasst worden. Wie erklären Sie sich die Meldung?
Ich habe dafür keine Erklärung. Bis zum Mai 2020 hätte ich noch nachvollziehen können, dass Daten über die besuchten Spiele zu Jahresbeginn noch eingehen. Doch in der Auskunft vom Bundesinnenministerium steht, dass selbst in der Sommerpause neue Einträge hinzukamen. Ich wünsche mir, dass seitens der Parlamentarier jetzt noch mal nachgefragt wird: Was wurde dort erhoben?
Wird es diese Nachfragen geben?
Ich stehe in Kontakt mit Monika Lazar von den Grünen, die bereits die erste Anfrage gestellt hatte. Da wird und da muss auch nachgehakt werden. Denn wem die Absurdität der „Datei Gewalttäter Sport“ bis jetzt noch nicht klar war, der dürfte sie bei der jüngsten Meldung nun endlich erkennen. Diese Datei muss endlich auf rechtsstaatliche Beine gestellt werden.
Die Auskünfte der Behörden zu den Erhebungen sind bisher eher dünn. Was könnte entscheidend gewesen sein für die neuen Einträge? Kam es trotz der Geisterspiele zu Kämpfen außerhalb der Stadien, den sogenannten „Ackermatches“?
Möglich. Aber im Normalfall erfährt die Polizei von diesen Auseinandersetzungen nicht viel – und fast nie, wer daran teilgenommen hat. Der Kernkritikpunkt an der Datei ist ohnehin, dass jeder Fan ohne rechtskräftige Verurteilung aufgenommen werden kann. Es reicht eine Polizeikontrolle und Sie gelten mitunter jahrelang als Gewalttäter Sport. Und Sie erfahren in der Regel davon auch nichts. Die Polizei hat völlig freie Hand bei der Einspeisung. Diese Verbunddatei kann von allen Dienststellen des Landes eingesehen und bespielt werden.
„Linke und Grüne in Berlin sind für die Abschaffung der Datei, doch die SPD verweigert sich noch.“
Rene Lau
Was raten Sie Fans, die sich fragen, ob sie im vergangenen Jahr womöglich zu Unrecht in dieser Datei gelandet sind?
Ich rate immer: nachfragen. Ein Zweizeiler mit einer Kopie des Personalausweises an die ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze, die Red.) genügt, meist bekommt man dort auch zügig eine Antwort. Allerdings: Wenn jemand rechtlich gegen die Eintragung vorgehen will, muss er sich immer an die zuständige Polizeibehörde wenden, die den Fall erfasst hat. Sprich: Ein Berliner müsste sich an die Polizei in Stuttgart wenden, wenn er dort eingetragen wurde.
Fanszenen und Anwälte kritisieren die Datei und die Intransparenz schon seit Jahren. Was können Sie mit Ihrem Engagement überhaupt bewirken?
Wir bieten zum einen rechtliche Beratung. Zum anderen können wir immer weiter versuchen, die Gegenseite zum Nachdenken zu bewegen. Die Öffentlichkeit scheint sensibilisiert. In Berlin hat der rot-rot-grüne Senat in seinem Koalitionsvertrag eine Initiative zur Abschaffung der Datei festgeschrieben. Doch passiert ist noch nicht viel. Die Legislaturperiode endet im Herbst. Linke und Grüne sind sehr an der Umsetzung interessiert, doch die SPD verweigert sich noch.
Sie haben Mandanten begleitet, die gegen die Aufnahme in die Datei geklagt haben. Wie sehen Sie generell dabei die Erfolgsaussichten?
Lassen Sie es mich so sagen: In den vergangenen zehn Jahren habe ich eine mittlere, zweistellige Zahl an Klagen betreut. In keinem einzigen Fall wurde die Klage abgewiesen. Wenn es keinen vollen Erfolg gab, dann zumindest einen Teilerfolg.
Das heißt?
Wenn eine Person mehrere Einträge hatte, wurden zumindest einzelne gelöscht.
Beschneidet die Datei den Datenschutz?
Das ist nicht das Thema, die Polizei kann leider ihre Dateien füttern, wie sie will. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Der Punkt aus meiner Sicht ist: Wie verhältnismäßig ist eine Eintragung? Ich fordere seit Jahren, dass jeder Betroffene auch informiert wird. Doch diese Transparenz bleibt aus. Außerdem bestehen Fristen zur Löschung der Daten, an die sich aber im Endeffekt niemand gebunden fühlt.
Nicht jeder Fan kommt zu Unrecht in diese Datei. Doch: Können Sie zum Abschluss ein Beispiel geben, welche Folgen die Eintragung für Betroffene haben kann?
Ich hatte mal einen Mandanten, der mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in die Türkei in den Urlaub fliegen wollte. Am Flughafen in Deutschland wurde er von der Polizei aufgehalten. „Wo wollen Sie hin?“, lautete die Frage. „Wonach sieht es denn aus? Ich mache mit meiner Familie Urlaub“, entgegnetet der Mandant. Er bekam zu hören: „Sie wissen aber schon, dass in Istanbul am Wochenende ein Derby steigt.“ Dabei wollte er gar nicht nach Istanbul – und war mit seiner Familie unterwegs. Das wirkt alles absurd und kann einfach nicht richtig sein.
Autor: Ron Ulrich
[Quelle: https://11freunde.de/artikel/jetzt-versteht-auch-der-letzte-wie-absurd-das-ist/3203395]