Die Terroristinnen der "Rote Armee Fraktion" saßen nicht nur auf der Anklagebank in Stammheim und anderswo, sondern sie beteiligten sich auch am stundenlangen Vortrag kruder und immer gewaltfixierter Umsturzträume. Beate Zschäpe saß auf der Anklagebank und verweigerte viele viele Monate die Kommunikation. Dabei hätte sie Licht ins Dunkel des "Nationalsozialistischen Untergrund" bringen können, zu ihrer Mitverantwortung und überhaupt ihrem Anteil an den feigen Mordtaten. Bilder, aufgezeichnet durch die vom Trio angebrachten Überwachungskameras in der Zwickauer Frühlingstraße, zeigen die Terroristin in der Rolle einer Hausfrau, die vom Einkaufen kommt oder die Wäsche aus der Waschküche bringt.
Schon vor 14 Jahren beklagte Monika Lazar, langjährige Leipziger Bundestagsabgeordnete der Grünen, dass für die rechtsextreme Szene kaum wissenschaftlich belastbare, nachprüfbare Daten existieren, die die qualitative und die quantitative Partizipation von Frauen beleuchten. Stattdessen wurde ihr Anteil geschätzt damals bundesweit auf zehn Prozent, in Bayern auf 16 Prozent, in Niedersachsen auf 20 und in Thüringen auf fast 30. "Frauen betätigen sich überwiegend auf der Organisationsebene im Hintergrund, führen beispielsweise die Kassen, verwalten Adressen und verschicken Propagandamaterial", heißt in einem Dossier für die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), das Lazar damals erarbeitet hat. Sie verlangte unter anderem gezielte Ausstiegsprogramme und dass in der Extremismusforschung der Genderaspekt nicht mehr länger vernachlässigt werden dürfe.
Besser spät als nie haben Corinna Hillebrand-Brem, Sabine Schupp-Demiriz und Britt Ziolkowski jetzt für den baden-württembergischen Verfassungsschutz Pionierinnenarbeit geleistet mit einer facettenreichen Analyse der Rollenverteilung in der rechtsextremen und in der islamistischen Welt. Ausgewertet wurden Flyer, Videos oder offizielle Texte der Organisationen. Zu den Schnittmengen gehört laut den in der Studie zusammengetragenen Erkenntnissen, dass grundsätzlich Männer die einschlägigen Traktate verantworten und damit "die Position der Frauen für die extremistische Gesellschaftsutopie bestimmen". Damit einher gehe "die Prädestination" der Frauen für bestimmte Tätigkeiten.
Instrumentalisierung als Transmissionsriemen
Die Relevanz ihrer Arbeit, schreiben die Autorinnen, ergebe sich aus dem Forschungsstand: "Denn dieser offenbart, dass das Thema bislang unterbelichtet ist. Inzwischen geht das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) davon aus, dass rund ein Fünftel der Mitglieder von rechtsextremistischen und islamistischen Organisationen weiblich ist und dass Frauen in den entsprechenden Führungszirkeln noch seltener vertreten sind." Gegenübergestellt wurden der Islamische Staat (IS), die ultra-rechte Partei "Der III. Weg" und die ähnlich gestrickte "Identitäre Bewegung" (IB). Letztere ist von besonderer Bedeutung angesichts ihrer Verbindungen zur "Alternative für Deutschland" (AfD). Es sei eine besondere Gefahr, wie darüber "bis in den Bundestag, in die Mitte der Gesellschaft, dieses neorassistische, dieses neofaschistische Denken einsickert, dass es zu einer Normalisierung kommt", so der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im Mitteldeutschen Rundfunk, der von "einer Entgrenzung" spricht.
Frauen fungieren zudem auf besonders perfide Weise als Transmissionsriemen. In der LfV-Studie wird ein IB-Video zitiert, in dem Anhängerinnen die liberale Einwanderungspolitik als Wurzel des Übels anprangern: "Die Täter lauern überall, wenn wir im Park joggen, wenn wir von der Arbeit nach Hause kommen, wenn wir an der Bushaltestelle warten. Wir sind nicht sicher, weil ihr uns nicht schützt. Weil ihr euch weigert, unsere Grenzen zu sichern. […] Wegen eurer Einwanderungspolitik stehen wir bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen Gesellschaften gegenüber. […] Ihr predigt Feminismus und Frauenrechte. Dabei seid ihr die wahren Frauenfeinde." Derart schräger Polemik können die drei Autorinnen erwartungsgemäß nichts abgewinnen: Denjenigen, die sich für Feminismus und Frauenrechte einsetzen, wird pauschal unterstellt, durch ihr Tun (wissentlich) das Gegenteil zu befördern.
Mehrfach zitiert wird beispielhaft Martin Sellner, Sprecher der Identitären in Österreich, der enge und engste Kontakte zur – von 2017 bis 2019 gemeinsam mit der bürgerlichen ÖPV regierenden – FPÖ unterhält, was auch für die Kaskaden und die Reichweite extremster Vorstellungen bis in die rechte Mitte der Gesellschaft steht. Von Sellner stammt unter anderem die steile These, "dass Frauen durch linke Politik emotional erpresst würden" und sie daher aus Mitleid eher linksliberale Parteien wählen würden. Beispielsweise solle der gezielte Einsatz von Fotos von Flüchtlingskindern "den Mutterinstinkt wecken". Die Autorinnen wollen helfen, das Gesellschaftsbild dieser Ultras zu entlarven. Zugleich wird davor gewarnt, Frauen aus und in der Szene zu karikieren, etwa als "rechtsextreme Grinsekatzen". Denn: "Die bloße Gegenüberstellung zwischen femininem Auftreten und rechtsextremistischem Aktivismus scheint inhaltlich wenig zielführend, konnte doch bereits seit Jahrzehnten festgestellt werden, dass Frauen innerhalb der rechtsextremistischen Szene teilweise hochideologisiert aktiv sind und nicht nur als Begleitung ihrer männlichen Partner auftreten."
Das Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung erinnert daran, dass seit den 90er Jahren die Zahl rechtsextremer Frauengruppen beständig steigt auch die der sogenannten Mädelgruppen, dass sie aber vielfach als Mitläuferinnen auftreten und auftreten wollen. Beim bundesweit ersten Prozess nach einem brutalen Ausländermord durch deutsche Rechtsextremisten – in Stuttgart-Kemnat wurde der in einem Arbeiterwohnheim lebende Sadri Berisha 1992 von Neonazis mit Baseballschlägern zu Tode geprügelt – beklatschten Freundinnen der Täter im Gerichtssaal aufgekratzt und Aufmerksamkeit heischend die Angeklagten.
Rollenzuschreibungen nahe der Mehrheitsgesellschaft
Das passt zu dem Frauenbild, das die Partei "Der III. Weg" propagiert. Sie könnten nämlich Männer "bezaubern" oder "erheitern", zitiert die LfV-Studie aus einschlägigen Materialien, "es wäre aber töricht und kurzsichtig, das Weibliche in männliches Metier eindringen zu lassen". Und für die Politik seien aufgrund der Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern ohnehin nur Männer geeignet. "Alles in allem", erläutern die Autorinnen, habe festgestellt werden können, wie die Partei ein Geschlechterbild vertritt, das "in erster Linie die Rolle als Mutter und 'Weggefährtin' ihres Mannes" betont: "Diese 'Aufgaben' sind tief in einer rechtsextremistischen Gesamtideologie verankert, deren zentrales Ziel die Erhaltung des ethnisch deutschen Volkes ist".
Dass der Frauen Platz nicht nur in der Etappe ist, weiß und will auch der Islamische Staat. Deshalb spielen sie in dessen Feldzug durchaus unterschiedliche Rollen: als Mütter künftiger Kämpfer oder als Selbstmordattentäterinnen, als Absenderinnen und Empfängerinnen physischer Gewalt. Wie für alle untersuchten Gruppierungen gelte gerade für die Dschihadisten, stellt die LfV-Studie fest, dass es ein Spannungsfeld zwischen Qualität und Quantität gibt. Das jeweilige Rollenbild sei essentiell für die Gesellschaftsutopie dieser Bewegungen, wobei nur die Islamisten zusätzlich auf die Besonderheit einer frauenbezogenen Propaganda zur Rekrutierung setzen.
Vor allem aber wird eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit herausgearbeitet, die breit und mit Blick auf zukünftige Entwicklungen diskutiert werden müsse, weit über die DenkerInnenstuben von Extremismus-Fachleuten hinaus. "Durch den Bezug auf konservative Rollenzuschreibungen propagieren Extremisten zuweilen Vorstellungen, von denen selbst die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht weit entfernt ist", schreiben Corinna Hillebrand-Brem, Sabine Schupp-Demiriz und Britt Ziolkowski, "denn Gleichberechtigung zum Beispiel ist auch in Deutschland in vielen Bereichen noch nicht erreicht". Und weiter: "Anschlussfähig ist daher das gelebte und propagierte Patriarchat der Extremisten." Die weitreichende Einschätzung ist vorsorglich mit einer Fußnote und der aktuellen Einschätzung der Bundesregierung zum Geschlechterverhältnis versehen: "Ungleiche Chancen zeigen sich noch immer in vielen Lebensbereichen. Das betrifft Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gleichermaßen. Insbesondere die gesellschaftliche Organisation von Erwerbs- und Sorgearbeit hat großen Einfluss auf die Gleichstellung. Kurz gesagt verdienen Frauen im Schnitt weniger als Männer und leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit."
Beate Zschäpe verantwortet jedenfalls nach dem Münchener OLG-Urteil nicht nur von den beiden Männern abgeleitete, sondern eigene Tatbeiträge zu allen zehn Morden des NSU. Sie habe, heißt es unter anderem, gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Tatorte und die Opfer ausgewählt, die Abwesenheit der beiden Männer verschleiert und von vorneherein die Aufgabe übernommen, Beweismittel zu vernichten oder das vorbereitete Bekennervideo zu verschicken. Und nur diese Arbeitsteilung, "die Zusage ihres Tatbeitrags, ermöglichte die Durchführung der Taten". Womit das Gericht jedenfalls eine Rollenverteilung in keiner Weise gelten lässt: Männer gehen aus dem Haus, verrichten ihr Tagwerk, kommen am Abend wieder heim und erzählen davon.
Autorin: Johanna Henkel-Waidhofer
[Quelle: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/534/im-patriarchat-der-extremisten-7566.html]