Obwohl die Plattform erst seit Kurzem online ist, hat die Bewegung bereits Zehntausende Unterstützer, zu denen auch die Grüne Antje Vollmer, bis 2005 Vizepräsidentin des Bundestags, zählt. Laut einer Umfrage würde die von Sahra Wagenknecht ins Leben gerufene Sammelbewegung sogar jeder dritte Bundesbürger wählen. Dabei ist bislang wenig bekannt über die politischen Ziele von "Aufstehen". Am 4. September soll das Projekt offiziell starten. Dann will der Gründerkreis in Berlin weitere prominente Unterstützer präsentieren. Unter mitteldeutschen Politikern ist das Bündnis allerdings umstritten, wie eine Umfrage ergab.
Zustimmung kommt von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann. Es sei nötig, neue Wege zu beschreiten, sagt die Zwickauer Politikerin. Hier setze die Bewegung an. "Der Zuspruch, den die neue Sammlungsbewegung schon in kürzester Zeit erfahren hat, zeigt: Es gibt in unserer Gesellschaft nach Jahrzehnten neoliberalen Sozialabbaus eine Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit." Sie unterstütze die Bewegung und hoffe, dass sie in die Parteien hineinwirkt und auch bei SPD und Grünen einen Wandel anstößt, "Nur dann wird sich die gesellschaftliche Stärke linker Überzeugungen auch wieder in parlamentarischen Mehrheiten niederschlagen."
Hinter "Aufstehen" steht auch der Liebknecht-Kreis Sachsen, ein Zusammenschluss im Landesverband der Linken. "Eine Mehrheit in unserem Land will ein Ende der explodierenden sozialen Ungleichheit, Vermögenssteuern für die Reichen, einen höheren Mindestlohn, armutsfeste Renten, bezahlbare Mieten und lehnt die für das nächste Jahrzehnt geplante Verdoppelung der Rüstungsausgaben ab", heißt es in einer Erklärung im Netz. Und weiter: Eine gesellschaftliche Bewegung von unten müsse diesem derzeit vorwiegend stillen Protest eine in den politischen Auseinandersetzungen unüberhörbare Stimme geben. Es gelte wieder einmal, die "versteinerten gesellschaftlichen Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu bringen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!", wird Karl Marx zitiert.
Kritik aus Thüringen
Die Thüringer Linksfraktionschefin und Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow kann "Aufstehen" hingegen nichts abgewinnen. "Seit die Idee einer Sammlungsbewegung kursiert, frage ich mich, was Sahra damit eigentlich will." Die Linke sei schon immer eine Sammlungsbewegung gewesen, "die jenen eine Stimme gab und gibt, die keine ausreichende Vertretung in der Gesellschaft haben". Inhaltlich sei das Ganze "eine wilde Mischung aus Lafontainscher Alt-SPD, Rückzug auf den Nationalstaat und Punkten, die etwa von der Linken und Grünen bereits vertreten werden. Mir scheint das kein Erfolg versprechendes Projekt", sagt Hennig-Wellsow. Zuvor hatten schon die Vorsitzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, ihr Missfallen geäußert und den Alleingang Wagenknechts kritisiert.
"Mich stört, dass dadurch die Politikverdrossenheit nur noch weiter geschürt wird", sagt die Leipziger Bundestagsabgeordnete der Grünen, Monika Lazar. Wagenknecht und Lafontaine hätten die Bewegung ins Leben gerufen, weil sie parteiintern mit ihren Zielen gescheitert sind. "Grundsätzlich bin ich ein Anhänger von Rot-Rot-Grün, bei ,Aufstehen' bin ich aber nicht dabei. Auch weil zu viele nationalistische Töne mitklingen, etwa die propagierte Begrenzung der Zuwanderung." Und weiter: "Sollen Bewegungen dieser Art Erfolg haben, müssen sie von unten wachsen." Verwundert ist Lazar auch darüber, dass Sahra Wagenknecht überhaupt auf ein rot-rot-grünes Bündnis setze. "Bislang fiel sie nicht unbedingt als Unterstützerin eines breiten überparteilichen Bündnisses auf."
Auch der Dresdner Grüne Stephan Kühn meint, dass parteiunabhängige Bewegungen nicht durch "langjährige Parteifunktionäre, sondern von unten" entstehen sollten - so wie die Bürgerinitiative Pulse of Europa, die gegen den erstarkenden Nationalismus in Europa kämpfe. "Mein Eindruck ist, dass Wagenknecht und Lafontaine Marketing in eigener Sache betreiben, um in der Linkspartei verlorenes politisches Terrain zurückzugewinnen." Wirklich neue politische Ideen vermisst der Bundestagsabgeordnete.
"Gar nichts" halte er von der Sammlungsbewegung, meint der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller. Erstens sei sie zentral organisiert und zweitens auch noch "vom Spalter Lafontaine" . Für Müller handelt es sich um einen Etikettenschwindel: "In Wirklichkeit ist die Bewegung ein ziemlich dreister Versuch der Übernahme von SPD und Grünen durch den Wagenknechtschen Flügel der Linken, der uns nur eine mit allerhand Ressentiments angereicherte politische Kraft mit inhaltlichen Überschneidungen zur AfD bringen würde." Ziel der SPD müsse stattdessen "eine parlamentarische Mehrheit der wirklich linken, progressiven Kräfte sein, keine weitere außerparlamentarische Sammlung Enttäuschter mit fremdenfeindlich-nationalistischen Untertönen".
SPD und Grüne sehen PR-Initiative
Sachsens SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe sieht es so: Angesichts der zunehmenden Spaltung Europas und der Gesellschaft durch Nationalisten oder andere Angstmacher sei es zwar richtig, sich Gedanken über Mehrheiten für linke Politik zu machen. "Eine PR-Initiative, die nichts weiter ist als eine Imagepolitur mit reichlich Ego-Beisätzen, hat damit aber nichts zu tun." Statt aufzustehen für "Aufstehen", macht die Noch-Generalsekretärin lieber Werbung in eigener Sache: Es gebe seit 1863 eine sehr erfolgreiche Sammlungsbewegung in Deutschland, die das Leben der Menschen verbessern will: "Und die heißt SPD."
Andere mitteldeutsche Politiker, wie der Linke Sören Pellmann, wollen den 4. September abwarten und sich dann entscheiden, was sie von der Bewegung halten sollen.
Autor: Andreas Dunte