Fußballfans leben offenbar gefährlich, auch ohne Stadionbesuche. Denn: Die Antworten auf Ihre kürzlich an das Bundesinnenministerium, BMI, gestellte »schriftliche Frage« zur »Datei Gewalttäter Sport« haben für Aufsehen gesorgt: Allein im Zeitraum von März bis Ende Dezember 2020 hat es mehr als 1.000 Neueinspeicherungen gegeben – trotz »Geisterspielen« in den Profiligen hierzulande. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Es macht mich maximal stutzig, dass die Polizei auch während der »Geisterspiele« weiterhin Fans in die »Datei Gewalttäter Sport«, DGS, neu einspeichert. In den vergangenen Monaten gab es meines Wissens keine Vorfälle, die Neueinspeicherungen im dreistelligen Bereich pro Monat erklären können. Die aktiven Fanszenen machten vielmehr durch soziale Hilfsangebote während des Shutdowns auf sich aufmerksam.
Könnten »Altfälle« in die Statistik eingeflossen sein?
Ich kann darüber nur spekulieren. Klar, werden da auch ein paar »Altfälle« dabei gewesen sein zu Beginn der Geisterspielzeit, die dann nachträglich eingetragen wurden. Aber wieso es beispielsweise im August 2020 allein 159 Neueinspeicherungen gab und auch danach die Datenbank weiter aufgefüllt wurde, das kann ich mir nicht erklären.
Konkret: Was kritisieren Sie an der DGS?
Es fängt schon beim Namen an: Hier sind nicht nur Gewalttäterinnen und Gewalttäter gespeichert, allein eine Personalienfeststellung kann ausreichen, um dort zu landen. Wir brauchen dringend eine Reform: Betroffene müssen über die Speicherung ihrer Daten von den Behörden proaktiv informiert werden, um sich dagegen wehren zu können. Speicherungsgründe müssen auf ein absolut notwendiges Maß reduziert werden, Daten unschuldiger Fans müssen nach Verfahrenseinstellung oder Freispruch umgehend gelöscht werden.
Das sind Forderungen, die in den Kurven seit langem erhoben werden. Welche parlamentarischen Mittel haben Sie, um beim BMI Druck zu machen, beispielsweise die Hintergründe für die DGS-Neueinspeicherungen mitzuteilen?
Wir werden hier weiter unser parlamentarisches Fragerecht nutzen und nachhaken. Die Gründe für die Neueinspeicherungen während der Geisterspielzeit interessieren mich schon brennend. Hier werden wir detailliertere Auskünfte beim BMI einholen.
Fußballstadien und Fans gelten gewissermaßen als Testfeld für neue Überwachungstechnologien von Ermittlungsbehörden. Wie sehen Sie das?
Ich befürchte, das ist teilweise so. Der gesellschaftliche Diskurs über Fußballfans ist oft von Unkenntnis der Fankultur geprägt, bei Innenministerkonferenzen überbietet man sich gerne mit Law-and-Order-Forderungen. Statt dessen brauchen wir eine Versachlichung der Debatte, eine evidenzbasierte Sport- und Innenpolitik. Parallel dazu gründen sich etwa Fanhilfen, die Anhänger bei Problemen mit Polizei und Justiz unterstützen. Und sozialpädagogische Fanprojekte nehmen schon immer eine vermittelnde Rolle zwischen den Akteurinnen und Akteuren im Fußballsport ein. Ich finde, da bewegt sich längst was.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen legte jüngst ein Positionspapier vor – Tenor: Fans sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Nur, was hinderte grüne Regierungsmitglieder in Landeskabinetten bislang daran, für Grundrechte und Mindeststandards im Umgang mit Fußballfans einzutreten?
Da passiert auf Landesebene mit grüner Regierungsbeteiligung ja schon einiges. In Bremen etwa wurde ein sehr progressives Polizeigesetz beschlossen, das im September in Kraft tritt. Wenn Daten an Verbunddateien, also auch die DGS übermittelt werden, wird die betroffene Person automatisch informiert. Will die Bremer Polizei ein Stadionverbot anregen, muss sie künftig der betroffenen Person rechtliches Gehör geben, bevor sie die Daten an den Verein beziehungsweise den DFB übermitteln darf. Aber klar: Natürlich muss überall noch mehr geschehen in Sachen Fanrechte.
Autor: Oliver Rast
[Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/394795.bei-fanrechten-muss-%C3%BCberall-mehr-geschehen.html]