Viele Hürden im Weg

Pressebericht, Frankfurter Rundschau, 27.04.2020

Angst vor dem Absaufen: Fußballer hoffen auf Neustart, doch die Hürden sind hoch - Monika Lazar: Profifußball nicht systemrelevant, daher könne es für ihn keine Ausnahmen geben

Der große Überblick: Was und wer einem zeitigen Wiederbeginn der Saison in der Fußball-Bundesliga im Weg stehen und die restlichen Spieltage gar ganz kippen könnte.

  • Das Coronavirus hat den Fußball lahmgelegt
  • Die Bundesliga soll nach dem Willen der DFL im Mai wieder losgehen
  • Das vorgelegte Medizin-Konzept ist umstritten

Das große Bibbern: „Wenn wir die nächsten Monate nicht mehr spielen, dann säuft die ganze Bundesliga ab“, warnt Borussia Dortmunds Boss Aki Watzke bei Sky gewohnt pointiert. „Nicht zu spielen, würde die Bundesliga nicht überleben“, stöhnt Werder Bremens Chef Klaus Filbry. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) kämpft mit einem medizinischen Risikovermeidungskonzept öffentlich und in Hinterzimmer-Diplomatie wie verrückt um eine Fortsetzung der Profifußballsaison. DFL-Boss Christian Seifert, der sich zuletzt mächtig geärgert hat, dass seine Tischvorlagen an die „Bild“-Zeitung durchgesteckt wurden, weiß, welche Hürden das Konzept kippen könnten. Die Frankfurter Rundschau stellt die Hürden hintereinander auf:

Nächster Corona-Gipfel mit Merkel am 30. April

Die große Politik:  Der nächste Gipfel der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder findet am Donnerstag (30.04.) statt. „Ich gehe davon aus, dass wir dann ein Go oder ein No bekommen“, sagt Wolfsburgs Sportchef Jörg Schmadtke. Bayerns MinisterpräsidentMarkus Söder (CSU) klingt vor dem Treffen verhaltener: „Ich würde diesmal nicht allzu viel erwarten.“ Statt „Go“ oder „No“ wohl eher weiter ein „Vielleicht“. Aber ab wann?

Die kleine Politik:  Profifußball sei nicht systemrelevant, daher könne es für ihn keine Ausnahmen geben, sagt Monika Lazar, Sprecherin für Sportpolitik der Grünen. Die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag (SPD) sieht noch viele offene Fragen. „Wie transparent wird man mit möglichen positiven Testergebnissen umgehen? Akzeptiert die Öffentlichkeit mehrheitlich, dass die Politik eventuell bereit ist, an Profifußballer andere Maßstäbe anzulegen als an uns Normalbürger, die weiterhin mit Kontaktverboten leben müssen?“, fragt Freitag in der „Rheinischen Post“.

Fußball in der Corona-Krise: Spiele mit Masken nicht vorstellbar

Das Arbeitsministerium:  Hat große Entscheidungsgewalt, weil es beurteilen muss, ob der Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmer (hier: Fußballprofis, Trainer, Betreuer, Balljungen, TV-Personal) durch das DFL-Medizinkonzept ausreichend gegeben ist. In einem internen Papier formulierte Überlegungen des Referats „Arbeitsschutz“, den Geisterspielern einer Maskenpflicht zu unterziehen, sind vom Tisch. „Ich halte Spiele mit Masken nicht für vorstellbar“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Die öffentliche Meinung:  Laut Umfragen sind derzeit fast dreiviertel der Befragten für eine Fortsetzung der Spielzeit ohne Publikum. Niemand kann jedoch seriös voraussagen, ob diese Unterstützung stabil bleibt. Die Stimmung ist fragil. Es gibt auch sehr viele Menschen, die in Zeiten des Social Distancing überhaupt kein Verständnis dafür haben, dass Profifußballer sich ständig heftig atmend näher kommen, als alle anderen Bevölkerungsgruppen das dürfen. Auf Deutschlands Sportplätzen herrscht gespenstische Stille. Auch diesen Gegensatz muss die Bundesliga bedenken: dass die Spielfelder für Hobbykicker verschlossen sind. Das Erregungspotenzial scheint hoch, Seifert spürt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Profifußballs angekratzt ist wie nie.

Corona: Behörden könnten umfangreiche Quarantäne veranlassen

Die mögliche zweite Welle:  Experten warnen vor einem Rückschlag bei der Eindämmung des Virus. Sollten die Infektionszahlen überdimensional hochgehen und daraus ein möglicherweise noch strikterer Shutdown mit Ladenschließungen und dem weitgehenden Erliegen des öffentlichen Lebens erfolgen, wären auch Geisterspiele obsolet. Das hat Seifert bereits eingeräumt.

Das Quarantänerisiko:  Professor Tim Meyer, der mit seiner Task Force ein 41-seitiges medizinisches Rettungskonzept für die Bundesliga entwickelte, hat darauf hingewiesen, dass bei der nachgewiesenen Erkrankung eines Spielers oder Betreuers eine Meldepflicht des jeweiligen Klubs beim Gesundheitsamt besteht. Das örtliche Gesundheitsamt bestimmt dann den Umfang der Quarantänemaßnahmen. Meyer glaubt, durch die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen seien Mitspieler und Betreuer nicht als „Hochrisiko-Kontaktpersonen“ einzuordnen und somit bei einem Krankheitsfall nicht unmittelbar allesamt unter Quarantäne zu stellen.

Das große ABER: Behörden könnten das anders beurteilen und unter Umständen sogar Quarantäne für die jeweilige Mannschaft und die Gegner der vorangegangenen Wochen veranlassen. Dann wäre laut Meyer „eine Infektion einem Saisonabbruch gleichzusetzen“. Die Meinung der Bevölkerung ist klar: Laut Umfrage der Sportschau wollen 90 Prozent der Befragten, dass alle Kontaktpersonen des Infizierten für 14 Tage in Quarantäne gehen. „Es gibt keine absolute Sicherheit. Wir versuchen, die Risiken zu minimieren. Das ist das höchste Maß an Sicherheit, das man organisieren kann“, räumt Professorin Barbara Gärtner aus der Task Force ein.

Viele Menschen halten aufwändige Corona-Tests für nicht gerechtfertigt

Die Testkapazitäten:  Auch ein besonders heikler Punkt. 61 Prozent der Befragten finden den Aufwand von 15.000 bis 20.000 Testungen für erste und zweite Liga nicht gerechtfertigt. Die DFL wirbt für ihr Konzept mit dem Hinweis, die Labore seien bei weitem nicht ausgelastet, zudem gibt sie eine halbe Million Euro für den Ausbau der Kapazitäten im Gesundheitswesen. Kritiker finden, es müsse zunächst ein von der Politik entwickeltes Konzept für die regelmäßige Testung von Ärzten, Krankenhauspersonal, Pflegekräften, Polizisten oder Lehrern zu deren eigenen Schutz und dem der Bevölkerung geben, ehe Fußballprofis flächendeckend getestet würden, „Ich bin dagegen, dass wir zuerst diejenigen privilegieren, die am meisten Geld auf den Tisch legen“, sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).

Müssen höchste Disziplin vorleben

Die Disziplin der Spieler:  Die DFL hat erhebliche Bedenken, dass sich die Profis unter dem Brennglas der Öffentlichkeit auch im Privatleben über viele Wochen diszipliniert verhalten. Mediziner Meyer warnt: „Wir können schöne Konzepte machen, die theoretisch sicher sind, wenn aber diejenigen, die im Kern des Konzepts stehen, nicht mitspielen, dann haben wir ein Problem.“ Spieler, Trainer und Betreuer müssten höchste Disziplin vorleben. „Es ist ein Glied, das funktionieren muss. Ich kann nur an diese Gruppen appellieren, dass sie sich daran halten müssen.“ Also: keine Partys, keine Unfälle bei unerlaubten Ausflügen, keine der beliebten spontanen Familien- oder Freundesbesuche an freien Tagen im Ausland, keine Frisöre oder fremde Frauen im Hotelzimmer. Zudem, so Meyer, werden „die Spieltagsabläufe so ziemlich auf den Kopf gestellt“. Auch hier gilt: Disziplin und Distanz wahren!

Die Vorbildfunktion:  SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach empfindet einen frühen Restart als falsches Signal. „Wir müssen den jungen Leuten die Botschaft vermitteln: Haltet Abstand, tragt einen Mundschutz, das Virus ist gefährlich“, sagte er dem BR: „Alle drei Botschaften werden durch einen Bundesliga-Start konterkariert.“ So sieht es nicht nur Lauterbach, so sehen es auch manche Spieler, Trainer und Manager, die sich aber öffentlich aufgrund der höchst angespannten wirtschaftlichen Situation ihrer Arbeitgeber (und wohl auch aus Furcht vor weiteren persönlichen finanziellen Abschlägen) zurückhalten.

Die Bundesliga würde mehrere zehntausend Tests verbrauchen, die in Pflegeeinrichtungen und Schulen fehlen. Dazu würden Fantreffen Infektionsketten anstossen. Auch ist unklar, weshalb dann andere Sportarten warten müssen. Niemand braucht „Brot und Spiele“ t.co/dh5BedNWBb — Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) April 20, 2020

Fußball und Corona: Ultras können DFL-Konzept leicht kippen

Die Fans:  Ultravereinigungen könnten das ganze schöne Konzept leichter Hand kippen, wenn sie sich zu Gruppentreffen während der Geisterspiele vor den Stadion verabreden und damit die Abstandsregeln und Versammlungsverbote unterlaufen würden, entweder, um ihre Teams zu unterstützen oder um gegen Geisterspiele zu protestieren und einen Saisonabbruch herbeizuführen. Die Sorge in der DFL ist groß. „Eure Raffgier macht nicht mal vor einer Pandemie halt. Nein zu Geisterspielen“, hieß es zuletzt von protestierenden Fans. Die Gewerkschaft der Polizei hat Bedenken. „Die Stadien werden zu einem potenziellen Ziel von Fans. Das wäre verheerend“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Jörg Radek der „FAZ“.

Private Viewing:  Jene rund 500.000 Menschen, die bislang Woche für Woche die Spiele vor Ort verfolgten und, wie Millionen anderer Fans, über kein Pay-TV-Abo verfügen, dürften geneigt sein, sich zum gemeinsamen Gucken zu verabreden. Dabei liefen sie Gefahr, Abstandsregeln zu unterlaufen und Geisterspiele ad absurdum zu führen. Mögliche Gegenstrategie: Flächendeckende freie Empfangbarkeit zumindest der Sky-Konferenz sowie mindestens einzelner Topspiele. Der frühere Bundesliga-Manager Willi Lemke fände das laut „Bild“ gut. „Das hätte den unglaublich wichtigen Effekt, dass der Run auf die Wohnzimmer mit Sky-Ausstattung unterbleiben würde. Und die Leute würden vielleicht nicht zu den Stadien gehen und sich dort infizieren.“

Autoren: Jan Christian Müller, Frank Hellmann

[Quelle: https://www.fr.de/sport/fussball/corona-dfl-fussball-bundesliga-viele-huerden-neustart-13717035.html]