Berlin/Dresden. Knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall will der Bundestag am Donnerstag über den künftigen Umgang mit den geretteten Unterlagen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) entscheiden. Ein Hauptpunkt ist die geplante Überführung von Millionen geretteter Stasi-Akten, Filme, Fotos und Tonaufzeichnungen in das Bundesarchiv. Zur Hinterlassenschaft der DDR-Geheimpolizei gehören allein 111 Kilometer Schriftgut. Zudem gibt es rund 15.000 Säcke mit zerrissenen Papieren, die Stasi-Offiziere nicht mehr ganz vernichten konnten. Bislang ist das Archiv Kernstück der Stasi-Unterlagen-Behörde, die als Errungenschaft der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 gilt.
Kritiker sehen in den Plänen jedoch die Abwicklung der Behörde. Der Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar - der Tag der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Ost-Berlin 1990 - forderte das Parlament auf, einen Beschluss auszusetzen. Doch wie es aussieht, wird der Gesetzentwurf der schwarz-roten Bundesregierung eine breite Mehrheit mit Stimmen aus der Opposition finden. Einzig die AfD will die Behörde in jetziger Struktur und Umfang voll erhalten.
Vorgesehen ist, die Akten der bislang eigenständigen Behörde in die Verantwortung des Bundesarchivs zu überführen, wo eine gesonderte Abteilung geschaffen wird. Das sieht ein gemeinsames Konzept des derzeitigen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), Roland Jahn, und des Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann, vor. Es diente als Grundlage der Novelle. Die Überführung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv soll im Sommer 2021 vollzogen sein. Räumlich sollen die Unterlagen aber weiterhin auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Berliner Stadtteil Lichtenberg bleiben. In den ostdeutschen Ländern soll es künftig nur noch jeweils einen Archivstandort geben. Für Sachsen soll das Leipzig sein. Dennoch soll die Akteneinsicht weiterhin für Privatpersonen und Forschung gewährleistet sein.
Nach dem Willen der Koalition soll daneben die Stasi-Überprüfung für Mandatsträger und Angestellte im Öffentlichen Dienst verlängert werden. Demnach soll es bis Ende 2030 möglich sein, Menschen, die in "politisch oder gesellschaftlich herausgehobenen Positionen tätig sind", auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Tätigkeit zu überprüfen, wie es in der Novelle heißt. Die bisherige Frist läuft zum 31. Dezember aus. Für die Aufarbeitung der SED-Diktatur sei dies "ein wesentlicher Bestandteil". Transparenz in dieser Frage trage dazu bei, Vertrauen in die öffentlichen Institutionen herzustellen, heißt es im Gesetzentwurf. Die Überprüfung soll für alle betreffenden Personen gelten, die am 12. Januar 1990 über 18 Jahre alt waren. Allein im vergangenen Jahr wurden laut BStU 446 parlamentarische Mandatsträger auf Stasi-Tätigkeit abgefragt, im Öffentlichen Dienst waren es weitere 167 Überprüfungen.
Die Linksfraktion hat bereits angekündigt, im Bundestag gegen das Vorhaben zu stimmen. 30 Jahre nach der friedlichen Revolution sei es nicht länger gerechtfertigt, "Menschen mit DDR-Biografie unter Generalverdacht der Stasi-Mitarbeit zu stellen", sagte ihre kulturpolitische Sprecherin Simone Barrientos, der "Freien Presse". FDP und Grüne sind indes für die Verlängerung. Der Leipziger Grünen-Abgeordneten Monika Lazar geht die Novelle sogar nicht weit genug. "Es braucht eine komplette Entfristung, nicht nur einen inkonsequenten Aufschub um elf Jahre", sagt sie auf Anfrage. FDP-Kulturpolitiker Thomas Hacker betont, "Transparenz schafft Vertrauen", hierzu sei die Überprüfung auf Stasi-Tätigkeit notwendig.
Die bisherigen Möglichkeiten zur Stasi-Überprüfung werden auch vom sächsischen Landtag genutzt. Laut Parlamentssprecher Ivo Klatte sind die Abgeordneten sowohl nach dem Abgeordnetengesetz als auch nach dem Landeswahlgesetz verpflichtet, innerhalb einer Woche nach Mandatsannahme gegenüber dem Landtagspräsidenten die nötigen Angaben zur Überprüfung durch die Stasi-Unterlagenbehörde zu machen. Weitergegeben würden die Daten derjenigen, die am 3. Oktober 1990 mindestens 18 Jahre alt waren. Stadt- und Gemeinderäte pflegen derweil kein einheitliches Vorgehen. In Chemnitz verzichtet die Verwaltung laut Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) auf eine entsprechende Vorlage, Anträge aus den Fraktionen lagen bislang noch nicht vor. Der Gemeinderat im erzgebirgischen Mildenau entschied sich bereits einstimmig gegen eine Stasi-Überprüfung, weil diese 30 Jahre nach 1989 keinen Sinn ergebe. Der Stadtrat in Reichenbach hat hingegen schon eine Überprüfung seiner Mitglieder auf frühere Stasi-Tätigkeiten beschlossen, genauso wie die Gremien in Hohndorf bei Stollberg, in Theuma und Oelsnitz im Vogtland. mit dpa/us/vh/dy
Autoren: Alessandro Peduto, Tino Moritz
[Quelle: www.freiepresse.de]