"Einkommen ist nicht der alleinige Antrieb für Arbeit"

Interview, Webblog Initiative Grundeinkommen Leipzig, 14.06.2015

Monika Lazar ist Bundestagsabgeordnete bei den Grünen und hat ihren Heimatwahlkreis in Leipzig. Ihr Büro findet sich im Haus der Demokratie, quasi Tür an Tür mit der Grundeinkommensinitiative.

Für den Blog hat sie uns ein kleines Interview gegeben, in dem sie einen Bogen von ausufernder Bürokratie über intrinsische Motivation bis zur Eurokrise spannt.


Frau Lazar, können Sie sich kurz vorstellen?


Monika Lazar, Leipziger Bundestagsabgeordnete
Ich bin 1967 in Leipzig geboren, in Markkleeberg aufgewachsen, habe in Leipzig an der Handelshochschule bis 1990 studiert, danach in der elterlichen Bäckerei gearbeitet und noch den Abschluss einer Bäckerin gemacht.

Politisiert wurde ich in den 80er Jahren vor allem durch die schlimme Umwelstsituation im Südraum Leipzig. Bei den Montagsdemostrationen im Herbst 1989 in Leipzig war ich dabei und fand 1990 schnell den Weg zu den Grünen. Ich befasste mich zuerst mit grüner Kommunalpolitik. So nach und nach mischte ich mich auch auf anderen Ebenen bei Bündnis 90/Die Grünen ein und nun bin ich seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Hier gehört der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung zu meinen politischen Schwerpunkten. Ich ermutige Menschen, sich aktiv in die Demokratie einzubringen und fordere eine verlässliche Förderung für zivilgesellschaftliche Initiativen. Besonders vertrete ich auch soziale Anliegen. Faire Löhne, gute Jobs und bessere Bedingungen für Hartz-IV-Empfänger sind dringend nötig. Ebenso wichtig ist Geschlechtergerechtigkeit.


Was spricht aus Ihrer Sicht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Welche Probleme löst es?

Aktuell gibt es in Deutschland ein unübersichtliches Durcheinander verschiedener Hilfeleistungen. Allein das Sozialgesetzbuch umfasst zwölf Teile und inzwischen deutlich über 1.500 eng beschriebene Seiten Gesetzestext. Auf jede aktuelle Entwicklung in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt wird mit neuen Regelungen und Nachjustierungen reagiert. Das Ergebnis ist ein selbst für Experten kaum noch durchschaubares Normenchaos. Dies hat zur Folge, dass die Sozialbürokratie ausufert, viele Anspruchsberechtigte die Ansprüche gar nicht kennen und das ganze System von zahlreichen offensichtlichen Ungerechtigkeiten geprägt ist, die kaum mehr auszuräumen sind. Ist an einer Stelle eine Ungerechtigkeit vom Gesetzgeber bereinigt, tut sich an anderer Stelle eine neue auf. Leider sind es insbesondere die Schwächsten der Gesellschaft, die so durch das Raster fallen und in Armut leben.

Die Einführung eines Grundeinkommens entkoppelt Arbeit und Einkommen und schafft soziale Sicherheit unabhängig vom Primat des Arbeitsmarktes. Nicht jede gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderung müsste sofort mit einer Gesetzesänderung beantwortet werden. Wichtig ist, dass ein Grundeinkommen wirklich bedingungslos und individuell gewährt wird. Nur dann kann es auf diese Weise wirken.


Heute können Menschen ohne Einkommen in Deutschland Hartz IV beantragen. Reicht das nicht schon aus?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt materielle Sicherheit und baut Existenzängste ab. Es verhindert Stigmatisierung und Ausgrenzung, schafft unwürdige Bedürftigkeitsprüfungen ab und verringert die Sozialbürokratie und somit erheblich Verwaltungskosten. Ein individuelles Grundeinkommen stärkt zudem die Autonomie und Selbstbestimmung und baut finanzielle Abhängigkeiten ab. All dies kann Hartz IV mit dem Instrumentarium der Sanktionen und dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft nicht leisten. Durch unklare und ungerechte Zuverdienst- und Anrechnungsregelungen behindert Hartz IV die Eigeninitiative der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft statt diese zu fördern. Nur ein bedingungsloses, individuelle Grundeinkommen mit einfachen Zuverdienstmöglichkeiten ist transparent, klar und ermöglicht damit Teilhabe, Sicherheit und Eigeninitiative.


Was würde sich für Sie persönlich ändern, wenn das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden würde?

Wenn ich noch Bundestagsabgeordnete wäre, sicher nichts. Wenn ich wieder anderweitig berufstätig wäre, wäre ich entspannter und würde mir genauer überlegen, welche Arbeit ich übernehmen würde und wieviel Stunden ich arbeiten möchte.


Kritiker befürchten, dass ein Grundeinkommen a) nicht bezahlbar ist und b) die Menschen davon abhalten würde, arbeiten zu gehen. Können Sie diese Argumente verstehen?

Natürlich sind diese Argumente zunächst einmal nachvollziehbar. Wir kennen es nicht anders als dass Einkommen mit Arbeit und häufig mit einem gewissen, zumindest selbst auferlegten Zwang verbunden ist. Dies heißt jedoch nicht, dass diese Verknüpfung zwangsläufig ist. An Menschen, die bereits genug Vermögen haben, um bis an ihr Lebensende keinerlei finanzielle Sorgen mehr haben zu müssen, kann man das gut beobachten. Fast alle diese Menschen gehen weiter einer Arbeit nach. Einkommen ist nicht der alleinige Antrieb für Arbeit. Auf der anderen Seite wird auch sehr viel Arbeit ohne Einkommen geleistet. Kinder werden versorgt und erzogen, ältere Verwandte gepflegt, Vereine gegründet, Ehrenamt ausgeübt. Es mag sein, dass die Menschen stärker die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit hinterfragen. Ist meine Arbeit nützlich für die Gesellschaft, die Menschen, die Umwelt. Dies würde ich jedoch eher als positiven Aspekt begreifen.

Zur Finanzierbarkeit gibt es verschiedene Modelle über die Einkommenssteuer oder über Verbrauchssteuern. Beide Modelle sind bereits wissenschaftlich durchgerechnet worden und haben jeweils Vor- und Nachteile. Aber natürlich bleibt es ein gewisses Wagnis, wenn man Neuland betritt. Die Vorteile des Grundeinkommens, wie etwa die Einsparung von Verwaltungskosten, zeigen sich zudem erst auf längere Sicht. Deshalb ist es möglicherweise überlegenswert, sich dem allgemeinen bedingungslosen Grundeinkommen schrittweise zu nähern. Dies kann über eine langsame Steigerung des Betrages bei gleichzeitigem Zurückfahren anderer Leistungen geschehen oder auch über eine Einführung für Teilbereiche, wie etwa die von den Grünen vorgeschlagenen Modelle der Kindergrundsicherung oder der Garantierente.


Glauben Sie, dass das Grundeinkommen in naher Zukunft noch stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerät? Wenn ja, was stimmt Sie zuversichtlich?

In letzter Zeit begegnet mir die Thematik wieder häufiger in verschiedenen Kontexten. Zudem erlebe ich die Menschen offener für solche Überlegungen. Die Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre und die immer noch anhaltende Krise der Eurozone zeigen, dass das bisherige Sozialsystem in Deutschland und in Europa nur unzureichende Antworten auf die aktuellen Herausforderungen findet. Auch der demographische Wandel und die ungeklärte Frage, wie die Pflege älterer Menschen in Zukunft funktionieren soll, wird Druck ausüben und neue Antworten geradezu erzwingen.

Allerdings bin ich bezüglich der parlamentarischen Mehrheiten im Bundestag skeptisch und sehe da kurzfristig keinen Erfolg, da die Idee fast nur bei Grünen und in der Linkspartei diskutiert wird, aber selbst dort noch nicht mehrheitsfähig ist. Man muss eben auch hier einen langen Atem haben.

Oder das Grundeinkommen wird in einem anderen Land eingeführt, die Erfahrungen damit sind positiv. Dann könnte auch die Debatte inklusive politischer Mehrheiten in Bewegung kommen.


Vielen Dank und alles Gute!

 

Quelle: www.bge-initiative-leipzig.blogspot.de