Diskursverschiebung nach rechts und Demokatieentfremdung aus der Perspektive der politischen Psychologie

Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 29. Mai 2017

Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 29.05. von 11.30 – 15.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt. [Einladung lesen]

Protokoll

In den vergangenen Jahren ist der Rechtspopulismus in Deutschland sichtbarer geworden, beispielsweise durch die Wahlerfolge der AfD oder die GIDA-Aktivitäten. In Diskussionen stellen Politikerinnen und Politiker häufig fest, wie schwierig bis unmöglich es ist, sich mit Rechtspopulisten konstruktiv auseinanderzusetzen. Debatten mit ihnen verlaufen meist hochemotional, regelmäßig kommt es zu unsachlichen verbalen Angriffen. Obwohl rechtspopulistische Vorschläge keine solide inhaltliche Substanz haben, erhalten sie doch viel Zustimmung.
Wir wollten wissen, welche Mechanismen dieser Dynamik zugrunde liegen und haben Prof. Thomas Kliche als Referenten eingeladen. Er lehrt und forscht im Bereich der politischen Psychologie an der Universität Magdeburg-Stendal und gab interessante Anregungen zu Fragen wie: Wodurch verschiebt sich der politische Diskurs nach rechts? Was befördert (gefühlte und tatsächliche) Desintegration in der Demokratie? Wie können demokratische Parteien in ihrer politischen Kommunikation einer Destabilsierung der Gesellschaft entgegenwirken?

Prof. Kliche stellte gleich zu Beginn seines Vortrags klar: Ein Populist hört nicht auf Argumente. Ihn mit Sachlichkeit gewinnen zu wollen, ist vergebliche Mühe. Stattdessen sollte die demokratische Politik prüfen, inwiefern sie die sog. Mitläufer ansprechen kann. "Von den Mitläufern wird das Schicksal des Landes entschieden", so Kliche. Es sei deshalb erforderlich, ganz neue Inhalte und Formate zu entwickeln, um einen Teil der Mitläuferinnen und Mitläufer anzusprechen.

Rechtspopulismus gedeiht laut Kliche auf dem Nährboden tiefer gesellschaftlicher Verwerfungen. Im Zuge des "Globalisierungsschocks 2015" gab es mehrere Probleme, die eine weitgehende Verunsicherung auslösten, etwa die griechische Schuldenkrise, die TTIP-Vorhaben, Flüchtlingsbewegungen, die Europa immer mehr erreichten, oder der Terror in Frankreich. All das weckte den Eindruck eines fatalen Kontrollverlustes – und damit verbunden ein Gefühlschaos. Zu dem Mix aus Emotionen gehörten Verunsicherung, Hilflosigkeit, Aggressivität. Der Wunsch nach simplen Deutungen und einfachen Antworten wuchs. Rechtsextreme und Rechtspopulisten nutzen diese Instabilität, um eigene Ziele zu verfolgen. Sie propagierten die Ausgrenzung von nicht zum "Volk" Gehörenden oder den Ausstieg aus internationalen Verpflichtungen als Schutzmaßnahmen und griffen diejenigen an, die sich für Mitmenschlichkeit einsetzen.
Daneben gab es ein breites Mitläufertum von Menschen, die vorrangig ihre Ruhe haben wollten.

Zum Umgang mit der Globalisierungs- und Demokratiekrise umriss Kliche drei mögliche Wege.

Erstens: ein Gesellschaftsmodell nach der Formel National + sozial = Ausgrenzung, aus dem (deutsche) Menschen Stärke und Selbstaufwertung ziehen können auf Kosten anderer (Nicht-Deutscher).

Zweitens: das Modell "Weiter so", also ein Auf-Zeit-Spielen, wie es in Zeiten der Großen Koalition üblich ist. Probleme werden verwaltet statt gelöst.

Drittens: das Modell, das es noch zu entwickeln gilt, nämlich ein solidarischer und nachhaltiger Zukunftsentwurf, der realistische Erfolgsaussichten und engagierte Umsetzungsakteure braucht.
Bündnis 90/Die Grünen sind mit einem solchen Anspruch einmal gestartet. Dort wieder anzuknüpfen wäre gerade heute ein lohnendes Ziel.

Um die Ursachen von Rechtspopulismus zu beschreiben, gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Der Referent stellte fünf Ansätze und eine Sondervariante vor.

  1. Erprobte Verantwortungsarmut: Informationen werden beiläufig und unsystematisch aufgenommen und nicht überprüft. Menschen lassen sich vom Mainstream-Gefühlsklima mitreißen. Gefühle, die früher tabuisiert waren, gelten jetzt als normal. So teilen Menschen beispielsweise die Empörung über die "Silvesternacht in Köln" und verknüpfen damit ein Generalmisstrauen gegenüber allen "Ausländern". Solche Pauschalisierungen fördern das Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen scheinbar "bedrohten" Gruppe/Nationalität.
  2. Vorhandene rechtsextreme Überzeugungen: Seit vielen Jahren ist in repräsentativen Studien solide belegt, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Mittels Haltungen wie Rassismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie, Ablehnung von Geflüchteten, Sinti und Roma oder Obdachlosen usw. wird kollektive, ausgrenzende Selbstaufwertung betrieben. In der Bevölkerung findet man solche Einstellungen zu ca. 12-18 Prozent. Früher hatten sie kein parlamentarisches Sprachrohr, das hat sich durch die AfD geändert.
  3. Die autoritäre Reaktion: Fast alle Menschen neigen dazu, sich in Krisensituationen autoritär zu verhalten. Dies gilt noch verstärkt, wenn eine strenge, repressive Erziehung stattfand, vielleicht auch mit frühen Traumata, der Herausbildung eines starken Über-Ichs und eines schwachen Ichs. Kliche nannte als Beispiel hierzu auch die typische DDR-Sozialisation (Vater Staat sorgt für alles, man muss sich nur anpassen). Das führt zu Schwarz-Weiß-Denken, konventionellen Bewertungen, Unterwürfigkeit „nach oben“ und Aggression gegen Schwächere, z.B. Minderheiten. Die Sehnsucht geht in Richtung Zugehörigkeit zu einer starken Gruppe und klare Führung.
  4. Dominanzgesellschaft: Hier wird die Welt durch die Brille von Erfolg und Unterordnung betrachtet. Man strebt an, zu den Starken, Erfolgreichen zu gehören. Die dominante Gruppe wird als machtvoll und handlungsfähig erlebt. Im Gegenzug werden andere Gruppen ausgegrenzt und möglichst unterworfen, wie es z.B. in rassistischen oder sexistischen Systemen der Fall ist. Dabei geht es auch um die Verteidigung von Privilegien und die Verweigerung, sich selbst und die eigene Identität bzw. Lebensweise zu hinterfragen.
  5. Gesellschaftliche Desintegration: Globalisierung, rascher Wandel und Individualisierung führen zu Statusangst, Handlungsunsicherheit, Vereinzelungserfahrungen und Ohnmachtsgefühlen. Es werden Orientierung, Rückhalt und (gefühlte) Gerechtigkeit gesucht. Wo ein fester Bezugsrahmen fehlt, kommt es zu Konkurrenzen und damit zu Verlierern. Jetzt, da die AfD bei den Landtagswahlen in Folge immer wieder punktete, profitieren ihre Anhänger davon, sich mit ihr als Gewinner fühlen zu können.
  6. Variante Anomie, Verzweiflung: In manchen Regionen haben sich Menschen völlig ins Privatleben zurückgezogen und vertrauen niemandem mehr. Sie streben keinerlei Zugang zur Gesellschaft an, es existieren keine zivilgesellschaftlichen Initiativen. Resignation und tiefgehender Pessimismus sind die vorherrschenden Gemütslagen. Der Populismus ist hier evtl. damit anschlussfähig, dass er voraussagt, es würde sowieso alles immer schlimmer.


Wenn die Zahl Demokratieentfremdeter immer mehr wächst und Regression zur Massenbewegung wird, kann Populismus als Gefühlsklammer fungieren. Um politische Inhalte geht es dabei nicht. Das programmatische Leitmotiv ist die Ausgrenzung, weil sie auf der Seite der Ausgrenzenden das Wir-Gefühl stärkt. So ist die AfD auch keine Programm- oder Lösungspartei, sondern gehört zur rechtsextremen sozialen Bewegung. Kliche führt anschaulich aus, wie die Populisten dabei geschickt mit "vergifteten Halbwahrheiten" agieren. Sie greifen berechtigte Problemanzeigen und Störgefühle auf und drehen sie in eine fatale, destruktive Richtung. Die richtige Erkenntnis "Es muss sich etwas ändern, wir brauchen eine langfristige Wende" missbrauchen sie für sozialdarwinistische Reinheits- und Geschlossenheitsphantasien dahingehend, dass "wir das deutsche Volk" wieder stark machen müssen, damit es nicht untergeht. Oder die Forderung nach Sicherheit und Gerechtigkeit wird dazu instrumentalisiert, dass "unser" Geld nicht an "Fremde" gegeben werden soll.

Neben den Rechtspopulisten und denen, die sich für Menschenrechte und gegen Ausgrenzung engagieren gibt es ein breites Mitläufertum. Die Mitläufer reagieren mit Alltagsbewusstsein. Das ist das Bewusstsein, in dem sich Menschen in der Regel befinden und welches geprägt ist von Einflüssen aus der Kultur und dem Umfeld, in dem man aufwuchs. Das Alltagsbewusstsein dient dem sozialen Zusammenhalt und beinhaltet viele implizite Regeln, Wertvorstellungen und Tabus.
Eindrücklich und politisch relevant schilderte Kliche, dass beispielsweise der sog. Schulz-Effekt dem alltagsbewussten Prinzip der Delegation folgt. Die verunsicherte SPD proklamiert: "Der Schulz wird es für uns richten." Sie nutzt das Konsummuster "Rette uns" und im Falle des Scheiterns kann auch die Verantwortung delegiert werden: "Schulz ist schuld".
Ein weiteres Prinzip sind Routinen. Einfach wie gewohnt geschäftig weiterzumachen kann sich tröstlich anfühlen. In einer Krise zu tun, was man immer gut konnte, nimmt das Gefühl von Hilflosigkeit, ist aber de facto eine Verschwendung von Ressourcen. Im Bereich der parlamentarischen Routine kommt es viel zu häufig vor, dass man auf Probleme mit Papieren reagiert, anstatt innezuhalten und eine Grundsatzprüfung durchzuführen.

Wie können gute politische Kommunikation und Problemlösung stattdessen gelingen? Kliche macht ganz klar: Mit besseren Kommunikationsstrategien ist es nicht getan. Zunächst müssen mindestens zwei grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden.

Entscheidung 1: Propagieren wir Nationalismus oder Internationalismus? Der Populismus will beides gegeneinander ausspielen. Wir müssen die Tatsache vertreten, dass beides ineinander verschränkt und nicht zu trennen ist.

Entscheidung 2: Wie legitim und sinnvoll ist kollektiver Egoismus, wie weit darf er gehen? Der Populismus propagiert, dass wir die eigene Gruppe schützen, ihren Wohlstand mehren und andere dafür ausgrenzen müssen. Wir sind aufgerufen, die Unantastbarkeit der Menschenrechte zu verteidigen. Es sich gut gehen zu lassen, während andere für unseren Wohlstand leiden und sterben, darf keine Option sein.

Wer das so deutlich und ohne Wegducken kommunizieren will, steht vor strategischen Dilemmata.
Der Bundestagswahlkampf steht vor der Tür und Parteien neigen dazu, zu überlegen, womit sie bei der Bevölkerung gut ankommen und wie sie sich gegen andere Parteien profilieren können. Ein Durchdenken der beiden oben angesprochenen Entscheidungen wäre hingegen ein Gemeinschaftsprojekt für alle demokratischen Parteien. Dieses Projekt braucht Mehrheiten und ist zunächst kurzfristig nicht kampagnenfähig.

Bündnis 90/Die Grünen haben vieles im Land bereits erfolgreich verändert. Sie wurden aber auch abgestraft, wenn sie ihrer Zeit voraus waren oder unpopuläre Veränderungen auch im Alltag forderten (z.B. Veggie-Day). Neben einer klaren Agenda ist daher auch eine erfolgversprechende Kommunikation wichtig. Die globale Bereitschaft zum Teilen beispielsweise wird bei vielen Menschen zunächst nicht vorhanden sein. Heutzutage wird Egoismus als legitime Form des Zusammenlebens bejaht. Das gehört hinterfragt. Teilen sollte dann aber nicht als Verlustgeschäft verkauft werden, sondern als Weg zu nachhaltiger Sicherheit und Wohlstand. Denn wenn die ganze Welt aus den Fugen gerät, schwappen die Probleme immer mehr nach Deutschland. Somit könnte man auch selbstbezogene Menschen über ihren Egoismus dazu bewegen, Gutes zu tun. Wir brauchen eine plastische Erzählung darüber, wie wir die Welt gestalten wollen, damit wir selbst wohlhabend und sicher bleiben können.

Wie soll Politik auf den Rechtspopulismus reagieren, was kann sie tun?
Zunächst gibt es kurzfristige Maßnahmen. Vielfach wird mit Normverstärkungen, etwa Gesetzesverschärfungen, reagiert. Besonders von konservativer Seite wird dieser Weg bevorzugt, die Union hat viele symbolpolitische Regelungen getroffen. In manchen Fällen ist das sinnvoll, z.B. bei der Verfolgung von Hate-speech-Verstößen im Internet. Doch das genügt nicht. Wir Grüne denken langfristig und setzen viel auf Prävention: politische Bildung, mehr Partizipation. Das ist nötig, aber wirkt nicht schnell genug für die Probleme, die akut bestehen.
Kliche schlägt eine Reihe mittelfristiger Maßnahmen vor, die darauf zielen, die Demokratie mit Leben zu füllen und Menschen zu begeistern. So empfiehlt er beispielsweise, Freiwillige (die z.B. angesichts der Not von Geflüchteten privat geholfen haben) aktiv anzusprechen, ihnen die politische Seite von Hilfsbereitschaft zu verdeutlichen und sie so zu weiterem Engagement zu ermutigen. Auch Gruppierungen mit einem hohen Misstrauen in Parteien sollte Unterstützung angeboten werden, aber nicht so, dass sie sich instrumentalisiert fühlen. Zudem braucht es eine mutige, geduldige Veränderungskommunikation über nachhaltige Solidarität und globale Veränderung.

Kliche fordert die demokratische Politik heraus mit der These: Erst ein umsetzungsfähiges großes Projekt einer solidarischen und nachhaltigen Gesellschaft, an dem viele begeistert mitwirken wollen, wird den Populismus austrocknen. Als mögliche Kernpunkte schlägt er unter anderem vor: bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgerversicherung, Kapitaltransfersteuer, gerechter Sozialstaat dank Realbesteuerung hoher Einkommen und Gewinne, ölfreie, plastiklose, fleischarme Gesellschaft.

Im Anschluss wurde eine längere, inspirierte Diskussion geführt.

Mehrere Grüne beschäftigte die Frage, wie weit man zu seinen politischen Ideen stehen soll und kann, wenn man dafür einen Verlust von Zustimmung in der Bevölkerung und vielleicht sogar hohe Einbrüche bei den Wahlergebnissen hinnehmen muss. Der Referent vertrat die Ansicht, dass die Grünen ihrer Agenda unbedingt treu bleiben, nicht einknicken oder profilloser werden sollten. Er ermutigte zu einer längerfristigen Strategie, mit der man die eigene Glaubwürdigkeit erhöht und perspektivisch mehr Zuspruch gewinnt. Außerdem äußerte er die Vermutung, dass die Grünen eher dann an Vertrauen verlieren, wenn sie zu taktisch vorgehen.

Aufgegriffen wurde auch die Analyse, dass man Populisten nicht mit Argumenten erreichen könne, da sie sehr auf Emotionen setzen. Es wurde gefragt, ob man ihnen dann ebenfalls auf einer emotionalisierten Ebene begegnen solle. Kliche riet davon ab, denn damit würde man nur weiter Öl aufs Feuer gießen. Besser wäre es, ein großes, würdevolles, emanzipatives Projekt zu finden, das die Menschen mitreißt, so dass sie positive Emotionen darauf richten und den Populismus als Gefühlsklammer nicht mehr brauchen. Als Beispiele nannte er das berühmte "I have a dream" sowie Obamas wirksames, wenn auch inhaltsleeres "Yes, we can".

Einige Grüne beschrieben aus der Parlamentsarbeit, wie sich der Diskurs mit der AfD insgesamt nach rechts verschiebt. Allein das zu verhindern und den Status quo zu halten, koste schon so viel Kraft, dass für Zukunftsvisionen oft die Ressourcen fehlten. Durch die AfD werden die Versäumnisse der demokratischen Parteien deutlicher. Es braucht Konzepte raus aus der Defensive und zur Schärfung der eigenen Agenda. Man muss bewusst wählen, wofür man seine Ressourcen einsetzen möchte.

Im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung wurde gefragt, ob Ältere grundsätzlich schwerer für neue Ideen erreichbar sind, sich eher nach früheren Zeiten sehnen (als die Welt noch überschaubarer schien). Nach Kliches Ansicht gibt es hier zwei Seiten. Ältere haben häufig mehr Angst vor Dingen, die sie gar nicht betreffen, z.B. Kriminalität (sog. Vulnerabilitätsparadox). Ältere verhalten sich auch mutiger als Jüngere, wenn sie sich sozial abgesichert fühlen. Es braucht geeignete politische Kommunikation, um sie einzubinden. Es gibt dafür keine Strategie. Stattdessen biete man jungen Leuten "Parolentraining" gegen Rechtspopulismus an. Den dort eingeübten Argumenten hört aber die rechtspopulistische Zielgruppe sowieso nicht zu. Wichtiger wäre es, die Engagierten und die noch Schweigenden zu motivieren, ihren eigenen Standpunkt von Menschlichkeit offensiver zu vertreten.

Unklarheit gab es darüber, wer denn alles ein Mitläufer sei. Wen kann man noch erreichen; bei wem sind alle Versuche vergeblich? Das könne man, so Kliche, vorher nicht wissen. Es lohnt sich, all diejenigen anzusprechen, für die man ein Thema hat, das sie interessiert. Hier sei Kreativität jenseits der üblichen Pfade gefragt. Um ins Gespräch zu kommen, genüge seiner Erfahrung nach manchmal ein gemeinsames Bier, die Einladung zu Kaffee und Kuchen oder ein kleines verbindendes Mitbringsel. Ganz pragmatisch empfiehlt Kliche: "Probieren Sie es einfach aus. Was funktioniert, ist gut. Sie können nichts falsch machen, im besten Fall gewinnen Sie das Vertrauen." Auch "vergiftete Halbwahrheiten" kann man durchaus für sich nutzen. Wenn ein Mitläufer ein reales Problem anspricht, sollte man ihm darin zunächst Recht geben: "Ja, da stimmt etwas nicht, wir müssen es ändern." Dann sind aber eigene Konzepte gefragt, die man ausgrenzenden rechtspopulistischen Antworten entgegensetzen kann.

Es wird die Überlegung geäußert, inwieweit Alltagsbewusstsein auch gute Seiten haben könnte. Ist es nicht vielleicht richtig, Kurs zu halten, sich nicht an der AfD abzuarbeiten und von ihr ablenken zu lassen? Kliche erklärt, dass es ihm darum gehe, Routinen zu hinterfragen, mit denen man erwiesenermaßen die Bevölkerung nicht erreicht. "In Papiere sollte keine unnötige Zeit hineinfließen", gibt er zu bedenken. Routinen sollten auf den Prüfstand, damit man nicht sinnlos Zeit verschwendet. Der Globalisierungsdruck wird weiter wachsen. Deshalb ist es notwendig, neue Wege zu beschreiten und nicht auf gescheiterte Routinen, sondern auf ein Zukunftsprojekt zu setzen.

Berichte aus den Ländern


Bei dem anschließenden grünen Austausch über die regionalen Aktivitäten wurde unter anderem aus mehreren Bundesländern berichtet, dass es wieder verstärkt Probleme mit Rechtsrock-Konzerten gibt, an denen teilweise mehrere Hundert Gäste teilnehmen. Die grüne Landtagsfraktion in Thüringen hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, das am 13. Juni vorgestellt wird. Bands aus Brandenburg sind ebenfalls aktiv, teilweise sogar mit Auftritten in der Schweiz.

Bei Rechtsrock-Konzerten treten auch rechtsextreme Rockergruppen, z.B. in Sachsen, in Erscheinung. Es gibt Hinweise, dass es auch gefährliche Allianzen zwischen Neonazis und Gruppierungen der organisierten Kriminalität gibt, was die Gefahr von Waffenbesorgungen erhöht.

Im Verfahren gegen die Terrorgruppe Freital kommen immer mehr Erkenntnisse darüber zutage, wie extrem fehlerhaft die Polizei agiert hat. Es handelt sich um die gleiche Art von Behördenversagen wie beim NSU. Auch die sächsische Justiz erweist sich als träge und verschleppt Verfahren, beispielsweise seit Jahren gegen die mittlerweile verbotene Hooligangruppierung "Faust des Ostens".

Viele rechtsextreme Gruppen werden wieder aktiver und unverschämter. Die Abtauchfrist nach Bekanntwerden des NSU-Skandals ist vorbei und die Sicherheitsbehörden sind nicht effektiver geworden. Daher wagen sich Neonazis wieder mehr in den Vordergrund.

In Meckenburg-Vorpommern machen Rechtspopulisten weiterhin mit gewissem Erfolg Propaganda, indem sie die Schließung von Kinder- und Geburtenstationen instrumentalisieren.
Im Landkreis Rostock wurde Sarrazin zu einem Vortrag eingeladen von einem Verein, der von einem Grünen mitbetrieben wird. Es ist zu hoffen, dass der Moderator gut geschult ist im Umgang mit rechten Wortergreifungsstrategien.

Im Berliner Abgeordnetenhaus ist die AfD sehr aktiv aufgrund ihrer hohen Anzahl von Abgeordneten. Zwischen Identitären und AfD gibt es personelle Verflechtungen. Derzeit mobilisieren die Identitären zum 17. Juni nach Berlin. Die Berliner würden sich über rege Teilnahme bei der Gegendemo freuen.

Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung weist darauf hin, dass die Stiftung auf der Anschlagsliste des Bundeswehrsoldaten Franco A. stand und sie den nötigen Beistand seitens des LKA vermissen. Die Stiftung plant, parallel zum Verfassungsschutzbericht einen eigenen Bericht mit ihren Erkenntnissen zu veröffentlichen.

Seitens der Bundestagsfraktion wird informiert, dass die Aufarbeitung der NSU-Vorgänge in der kommenden Wahlperiode weitergehen soll. Welches Format dafür geeignet ist, wird derzeit geprüft.