Protokoll zum Bund-Länder-Europa-Treffen gegen Rechtsextremismus am 15.12.2014
Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 15.12. von 10.30 – 14.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].
NSU – Aktuelles und Vorhaben
Viele Fragen rund um den NSU sind bis heute noch offen. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) konnten schon hilfreiche Beiträge leisten. So beendete der Thüringer PUA in diesem Sommer seine Arbeit und veröffentlichte einen informativen Bericht. Die neue rot-rot-grüne Koalition in Thüringen will nun zeitnah Empfehlungen aus diesem Bericht umsetzen sowie evtl. erneut einen Untersuchungsausschuss einberufen.
Auch auf Bundesebene werden Möglichkeiten zur weiteren Aufklärung diskutiert. So untersucht nun der Grüne Jerzy Montag als NSU-Sonderermittler für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) den Fall des ehemaligen V-Mannes "Corelli". Diskutiert wird auch, ob evtl. ein zweiter Untersuchungsausschuss Sinn macht, weil sich Bundesregierung und Sicherheitsbehörden regelmäßig weigern, das Parlament angemessen zu informieren und Fragen zu beantworten.
In NRW konstituierte sich am 16.12.2014 ein NSU-PUA. Sachsen-Anhalt hingegen wird vor der Landtagswahl 2016 keinen PUA einsetzen, weil der CDU-Innenminister strukturelle Verbindungen nach Sachsen-Anhalt leugnet. Sehr fragwürdig, da es eine sehr aktive Neonazi-Szene gibt und auch der V-Mann "Corelli" von dort stammte! Dass ein PUA nicht immer was bringt, zeigte Sachsen. Dort wurde per Minderheitenbeschluss durch die Opposition ein PUA durchgesetzt, der jedoch unter CDU-Vorsitz seine Arbeit eher unmotiviert und ineffizient verrichtete und abschloss. Die grüne Landtagsfraktion in Sachsen bemüht sich um einen zweiten Anlauf mit geschärftem inhaltlichem Profil.
Einen PUA gibt es auch im Berliner Abgeordnetenhaus nicht, aber einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu den Empfehlungen des PUA des Deutschen Bundestages.
Brandenburg geht die Problematik ebenfalls ohne eigenen PUA an, setzt aber besondere Akzente zur Reform der Sicherheitsbehörden. So werden alle seit 1990 begangenen rechtsextremen Morde neu überprüft, um die offizielle Statistik zu korrigieren. Bundesweit einmalig daran ist, dass die Überprüfung nicht durch die staatlichen Behörden selbst, sondern durch externe WissenschaftlerInnen erfolgt. Mehrfach wurde der Wunsch nach mehr Erfahrungsaustausch und Vernetzung zwischen den Grünen auf den verschiedenen Ebenen, die sich mit dem NSU befassen, geäußert. Dazu wollen wir als grüne Bundestagsfraktion gern beitragen.
Bündnis 90/Die Grünen fordern weiterhin mehr Transparenz, konsequente Aufklärung und einen echten Neustart bei den Sicherheitsbehörden.
Die AfD – innerhalb und außerhalb der Parlamente
Rechtsextremismus zeigt sich in vielen Facetten und sein Nährboden entsteht in unserer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir die Entwicklung der AfD ebenso wie die Aktivitäten rund um "Pegida" und Co. mit großer Aufmerksamkeit.
Die AfD stellt sich in den Parlamenten, in denen sie Mandate errungen hat, uneinheitlich dar. Je nach Führungspersonen fokussiert sie sich auf unterschiedliche Inhalte und Strategien. Im Europaparlament nimmt sie an inhaltlichen Debatten nicht teil, sondern hat bei allen Inszenierungen gegen die europäische Institution (Geschäftsordnungsdebatten) vor allem die deutsche Öffentlichkeit im Blick. In Thüringen versucht sie bei jeder Gelegenheit, sich als die "Partei des gesunden Menschenverstandes" darzustellen, die dem sogenannten "Genderwahn" entgegentritt. Außerdem setzt sie auf Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und zollt der islamophoben "Pegida" Respekt.
Was die AfD im sächsischen Landtag mit ihren immerhin 14 Abgeordneten vorhat, ist unklar. Wenn überhaupt, tritt nur Frauke Petry in Erscheinung. Ihr erster Antrag zielte auf die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Die Linksfraktion hat Probleme, sich von der Landtagsfraktion der AfD abzugrenzen und enthielt sich bei dem Antrag.
In Brandenburg zeigt sich die AfD nationalkonservativ, russlandfreundlich und vom Parlamentsbetrieb überfordert. Allzu direkten Rassismus vermeidet sie, "Kriegsflüchtlinge" sind ihr willkommen, während sie "Sozialschmarotzer" ablehnt.
Im gutbürgerlichen Mäntelchen tritt sie auch für mehr direkte Demokratie ein. Nicht nur in Landtagen, auch auf kommunaler Ebene konnte die AfD Mandate gewinnen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa ist sie in allen Kreistagen und Stadtvertretungen drin.
Doch sogar ohne Mandate übt die AfD Einfluss aus. In Schleswig-Holstein ist sie nirgends parlamentarisch verankert, hat aber Umfragewerte von 7% und damit eine "Fernwirkung" auf die CDU im Landtag, die sich nun so rechts wie möglich positioniert, damit ihr die WählerInnen nicht weglaufen.
Die Grünen im Europaparlament planen einen Online-Blog zur Beobachtung der AfD-Aktivitäten. Daran könnten sich auch Grüne aus den Ländern beteiligen. Weitere Informationen gibt Jan Philipp Albrecht.
Pegida & Co. – antimuslimischer Rassismus als Ventil
Rechtspopulistische Schnittstellen gibt es auch zu gewachsenen Bewegungen wie Pegida und ähnlichen Gruppen. Antiislamistischer Populismus ist in Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern zu beobachten. Im Europaparlament gab es bereits rechtspopulistische Vernetzungsbestrebungen, die ernst zu nehmen sind.
Wir Grüne lehnen antimuslimischen Rassismus in jeder Form ab. Zugleich wollen wir Probleme, z.B. mit gewaltbereiten Salafisten, benennen und diskutieren. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, insbesondere auch muslimischen Organisationen, müssen wir uns mit den aktuellen Befürchtungen vieler Menschen auseinandersetzen. Im Unterschied zu "Pegida" tun wir dies mit einem klaren Fokus gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und entlarven die politischen Normalisierungsversuche von Rechtspopulisten.
Zugleich müssen wir fragen, wie "Pegida" so erfolgreich werden konnte und wodurch die Hemmschwelle "normaler" BürgerInnen, gemeinsam mit Nazis zu demonstrieren, so gesunken ist. Denn Angst vor "dem Islam" ist vielfach nur ein Ventil, während die Sorgen der Menschen auf anderen Gebieten liegen, z.B. soziale Verlustängste oder Vertrauensverlust in die Politik.
Grüne Positionierungen:
Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus 2015
Wie in den Jahren zuvor hat die grüne Bundestagsfraktion für mehr Mittel gegen Rechtsextremismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Bundeshaushalt gekämpft. Im Bundesinnenministerium ist das Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" angesiedelt, für das wir eine Erhöhung von 6 auf 10 Mio. Euro jährlich forderten.
Zunächst hatte der Innenminister sich offen gezeigt und eine Prüfung in Aussicht gestellt. Leider verlief das jedoch im Sande und erwies sich als reines Lippenbekenntnis. Dies ist umso bedauerlicher, als durchaus Geld vorhanden wäre, wie an den Mittelaufwüchsen für Integration, aber auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, deutlich wurde.
Wir brachten außerdem einen Antrag zur Deradikalisierung von Islamisten über 10 Mio. Euro ein. Dieser wurde zwar abgelehnt, aber immerhin erhielt die Bundeszentrale für politische Bildung 5 Mio. Euro mehr für Bildungsmaßnahmen, u.a. gegen "religiösen Extremismus".
Mehr Geld forderten wir auch im Bundesfamilienministerium. Von ursprünglich 30,5 Mio. Euro wollten wir auf 50 Mio. Euro erhöhen. Unseren Antrag lehnte die Koalition ab, brachte aber in letzter Minute eigenen Antrag für immerhin 40,5 Mio. Euro ein und finanzierte dies durch Kürzung beim Betreuungsgeld. Die inhaltliche Aufteilung der zusätzlichen 10 Mio. Euro ist noch unklar. Wir werden das aufmerksam begleiten.
Ungelöst ist nach wie vor das Grundproblem: Wenn auch Projekte jetzt fünf und nicht mehr nur drei Jahre gefördert werden und die Finanzierung des Bundes nicht mehr nur 50%, sondern 80% beträgt – eine wirkliche Kontinuität fehlt, so lange man auf Modellprojekte setzt. Demokratieförderung braucht Stetigkeit. Hier wollen wir weiter dranbleiben.
Zusätzliche Mittel dürfen nicht nur gegen "Salafismus" ausgegeben werden. Nach wie vor fehlt eine flächendeckende Struktur an qualifizierten Opferberatungsstellen, besonders in den westdeutschen Bundesländern. Die Lokalen Aktionspläne hängen stark von der Umsetzung vor Ort ab, hier braucht es Qualitätsstandards. Es muss ausgeschlossen werden, dass in den Ländern mit Bundesmitteln Projekte (z.B. der Jugendhilfe) gefördert werden, die eigentlich in die kommunale Regelförderung gehören. Es bleibt also weiterhin grüne Aufgabe, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft dafür zu sorgen, dass die Mittel sinnvoll verwendet werden, bei den Trägern auch ankommen und faktische Kürzungen verhindert werden.