Untersuchungsausschüsse NSU: Was brauchen wir für eine transparente und koordinierte Aufklärung?
Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 7.5.2012
Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 7.5.2012 von 12.30 bis 16.00 Uhr im Deutschen Bundestag statt. [Einladung lesen]
Die Vorgänge rund um den rechtsextremen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) werden in drei Untersuchungsausschüssen (UA) näher beleuchtet: beim Bund, in Thüringen und in Sachsen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich nach Bekanntwerden der Vorfälle sofort für lückenlose Aufklärung und größtmögliche Transparenz, aber auch weiterführende präventive Konzepte eingesetzt. Außerdem halten wir es für erforderlich, die Arbeit der Sicherheitsbehörden grundlegend auf den Prüfstand zu stellen. Welche Konsequenzen nun gezogen werden müssen, ist im Fraktionsbeschluss„Entschlossen gegen Rechts“ nachlesbar: [Fraktionsbeschluss lesen]
Im Vorfeld der Einsetzung der UA war ein vielstimmiges Konzert von Bedenkenträgern zu hören: Zweifel, ob Akten überhaupt zur Verfügung gestellt würden, Befürchtungen, Ausschüsse könnten die Ermittlungen behindern, Panik, dass die NPD über den sächsischen UA an interne Infos gelangen würde…
Diese Welle von Abwehrreaktionen ist abgeflacht, die Sacharbeit hat begonnen.
Wolfgang Wieland, Dirk Adams und Miro Jennerjahn, die grünen Vertreter in den UA, berichteten über den aktuellen Stand und erste Erfahrungen: Die Akten wurden im Bundestag bislang zur Zufriedenheit geliefert, in aktuelle Ermittlungen greifen die UA nicht ein, da ihr Fokus auf der Aufarbeitung früherer Versäumnisse liegt, und mit der NPD werden die geübten demokratischen PolitikerInnen in Sachsen durch kluges, geeintes Agieren ganz gut fertig – es ist dort ja nicht der erste UA, an dem die Rechtsextremen beteiligt sind.
Langsam mündet die organisatorische Phase in erste inhaltliche Befassungen.
Beweisbeschlüsse, Tagesordnungen u.a. Informationen aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses im Bundestag sind [hier] einsehbar.
Untersuchungsausschuss Sachsen
Untersuchungsausschuss Thüringen
Weitere Informationen über den Untersuchungsausschuss in Thüringen von Dirk Adams: [Präsentation ansehen]
Umfangreiche inhaltliche Erkenntnisse konnten in der Kürze der Zeit noch nicht gewonnen werden, aber klar ist: Es gibt unglaublich viele Fragezeichen. Die behördliche Zusammenarbeit war offenbar erschütternd schlecht. Aus Gründen, die es noch zu analysieren gilt, wurden während der Ermittlungen richtungsweisende Ansätze von Profilern, z.B. die Vermutung eines rechtsextremen Hintergrundes (wenn auch verknüpft mit der These eines Einzeltäters), verworfen.
Eine Serie von zwölf Banküberfällen in Sachsen wurde unbegreiflicherweise nicht in einen Zusammenhang gesetzt. Diese Ignoranz der sächsischen Behörden, gemischt mit einer besonders gut ausgebauten, fest verankerten Naziszene in Sachsen, wirkt anziehend auf Rechtsextreme und erklärt vielleicht auch, weshalb die Terrorgruppe gerade Sachsen jahrelang als Ruhe- und Rückzugsraum nutzte.
Zu den Untersuchungszielen des sächsischen UA gehören deshalb Betrachtungen über die Entwicklung der rechtsextremen Szene ebenso wie ein gründlicher und kritischer Blick auf die Sicherheitsarchitektur vor Ort.
Doch auch in den anderen beteiligten Bundesländern haben die Behörden ihr Handwerkszeug nicht gelernt bzw. mangelhaft angewendet. Verbindungen, die auf richtige Spuren in die organisierte rechte Szene hätten führen können, verfolgte man nirgends konsequent weiter. So stand beispielsweise Mandy Struck, deren Identität Beate Zschäpe später teilweise annahm und die dem Trio beim Untertauchen half, zunächst auf der Liste der Ermittler. Dem Hinweis ging man jedoch nicht nach, weil Strucks Wohnort nicht zur Ermittlungstheorie passte und sie zudem eine Frau war. Jahrelang wurde die Rolle von Frauen im rechtsextremen Spektrum verkannt oder heruntergespielt. Zu dieser Problematik fassten kürzlich die grüne Bundestagsfraktion sowie der Bundesfrauenrat Beschlüsse: [Bundestagsfraktionbeschluss lesen] [Bundesfrauenratsbeschluss lesen]
Neben der Untersuchung, warum die Sicherheitsbehörden so katastrophal versagten, müssen wir vor allem fragen: Wodurch bereitet unsere Gesellschaft einen Nährboden für rechtsextremen Hass und die daraus folgende Gewalt? Auf eine wichtige Initiative aus der Zivilgesellschaft wies in diesem Zusammenhang Astrid Rothe-Beinlich hin: das öffentliche Hearing „Schweigen und Verschweigen – Rassismus, NSU und die Stille im Land“ am 2. Juni von 11.00 bis 17.00 Uhr in der Akademie der Künste in Berlin. Alle DemokratInnen, die sich mehr und deutlichere Zeichen gegen Rassismus und Gewalt in Deutschland wünschen, sind herzlich zur Mitwirkung eingeladen. Weitere Infos dazu: www.buendnis-gegen-das-schweigen.de.
Ohne eine gesellschaftliche Gesamtbetrachtung kann das Rätsel, wie die Aktivitäten des NSU jahrelang unbehindert möglich waren, nicht gelöst werden. Dirk Adams erinnerte darauf, wie lange schon Engagement gegen Rechts immer wieder als verdächtig eingestuft und zurückgedrängt wurde. Er warnte davor, sich mit der These, es habe bei den Ermittlungen nur eine Verkettung unglücklicher Umstände gegeben, zufriedenzugeben. Ganz offensichtlich spielt hier eine „Blindheit auf dem rechten Auge“, die beim Namen genannt werden muss, eine bedeutsame Rolle.
Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung verwies auf die finanzielle Misere vieler Initiativen. Während etwa die Opferberatungsstellen Mittelkürzungen hinnehmen müssen, wird der Verfassungsschutz zeitgleich personell aufgerüstet. Dies ist, nach dem Versagen der Sicherheitsbehörden, schwer nachvollziehbar.
Der bündnisgrüne Landesverband Sachsen-Anhalt fordert eine mittelfristige Abschaffung des Verfassungsschutzes: [Beschluss lesen]
Auch die sächsischen Grünen üben massive Kritik: [Beschluss lesen]
Sinnhaftigkeit und Zukunft des Verfassungsschutzes müssen ohne Tabus hinterfragt werden. Dazu gehört aber auch eine Debatte um gangbare und wünschenswerte Alternativen. Diese muss in den nächsten Monaten geführt werden.
Einigkeit herrschte, wenn es um eine deutlich bessere Mittelausstattung für die Zivilgesellschaft gegen Rechts geht. Initiativen haben das Knowhow und können vor Ort präventiv viel bewirken. Wir fordern ein 50-Millionen-Programm gegen Rechtsextremismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Es muss einen unbürokratischen Zugang zur Bundesförderung für kleine, ehrenamtliche Träger ermöglichen sowie eine nachhaltige Finanzierung bewährter Strukturen sichern. Außerdem erwarten wir die ersatzlose Streichung der „Extremismusklausel“, mit der beim Bund und in Sachsen Initiativen drangsaliert und kriminalisiert werden und die am 25. April vom Dresdner Verwaltungsgericht als rechtswidrig eingestuft wurde. Im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl ist es nötig, ein konkretes und machbares Konzept zur Zukunft der Bundesprogramme abzustimmen - grünintern, aber auch mit möglichen Koalitionspartnern ab 2013.
Darüber hinaus brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen „Masterplan gegen Rechts“ auf allen Ebenen. Rechtsextreme Haltungen müssen erkannt, benannt und argumentativ bekämpft werden. Die Sensibilisierung und aktive Auseinandersetzung damit sollte bereits in Kita und Schule beginnen. Echte Demokratieerfahrungen müssen so früh wie möglich vermittelt werden.
In der von der Amadeu Antonio Stiftung aufgelegten Broschüre „Demokratie ist (k)ein Kindergeburtstag – Handreichung für Kindertagesstätten im Umgang mit Rechtsextremismus“ wird über rechtsextreme Versuche der Unterwanderung über Kinder aufgeklärt: [Handreichung lesen].
Auch der Friedenskreis Halle e.V. hat im „Handbuch für Erzieherinnen zur Werte-, Demokratie- und Vielfaltförderung“ gute Anregungen publiziert: [Handbuch lesen].
Mehr über das Projekt selbst kann [hier] nachgelesen werden.
Das Problem der rechten Unterwanderungsversuche stellt sich auch in Vereinen. Hierzu hat die RAA Mecklenburg-Vorpommern die hilfreiche Handreichung „Im Verein – gegen Vereinnahmung“ veröffentlicht: [Handreichung lesen].
Seit einiger Zeit beobachten wir auch rechtsextreme Vorstöße in ein klassisch grünes Feld: die Ökologie. Beim nächsten Treffen werden wir uns mit dem Problem der „braunen Ökologen“ auseinandersetzen und hierzu auch externe Fachleute hören.
Interessierte können sich den nächsten Termin bereits im Kalender vormerken: Die Veranstaltung wird am 26. November 2012 von 12.30 – 16.00 Uhr im Bundestag stattfinden.