Rechte Vernetzung gegen Flüchtlinge

Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 09.11.2015

Rechte Vernetzungen gegen Flüchtlinge und Anti-Rassismus-Akteure

- Protokoll -

Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 09.11.2015 von 11.30 – 15.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].

Rechte Vernetzungen gegen Flüchtlinge und Anti-Rassismus-Akteure

Rassismus hat Hochkonjunktur in Deutschland, ganz besonders gegenüber Geflüchteten. Diese Erfahrung machen Akteure derzeit in ganz Deutschland. Wer momentan politisch tätig ist, kommt am Themenfeld Asyl und Flüchtlinge nicht vorbei. Überall im Land wird emotional diskutiert. Das haben auch rechte Kräfte bemerkt und missbrauchen Debatten gezielt, um für ihre diskriminierende Agenda zu werben.

Während der eingeladene Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz ganz kurzfristig absagen musste, stand der Autor Andreas Speit mit einem sehr sachkundigen Vortrag zur Verfügung [Präsentation Andreas Speit].

Speit wies auf zwei wichtige Entwicklungen hin. Erstens ist die Flüchtlingspolitik das zentrale Thema, welches die extremen Rechten heute trotz unterschiedlicher Gewichtungen vereint. Zweitens gibt es eine rassistische Bewegung direkt aus der Mitte der Gesellschaft. Beide Entwicklungen befeuern sich gegenseitig. Es ist eine neuartige Entgrenzung voller Tabubrüche zu verzeichnen. So haben etwa „besorgte Bürger“ kein Problem mehr, sich mit der rechtsextremen NPD hinter einem flüchtlingsfeindlichen Transparent zu vereinen. Die NPD stellt sich dabei als Sprachrohr des Volkswillens dar nach dem Motto: "Wir sagen offen, was die schweigende Mehrheit denkt – und jetzt geht sie dafür mit uns auch auf die Straße."

Die rechtspopulistische AfD biedert sich ebenfalls an. Der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke nennt die Protestierenden lobend "Mutbürger".

Fakt ist: Totlaufen werden sich die Bewegungen rund um Pegida nicht so schnell. Vielmehr sind komplexe Vernetzungen zu beobachten. Die Bandbreite derjenigen, die bei Pegida mitlaufen, ist sehr groß. Immer wieder treten ProtagonistInnenen auf, die in kein Nazi-Klischeebild passen, wie beispielsweise Tatjana Festerling.

Mischszenen sind auch andernorts entstanden, etwa bei den "Hooligans gegen Salafismus" (HoGeSa). Die neue Qualität dabei war, dass sich Hooligans zu sportfremden Themen zusammenfanden und äußerten. Mit von der Partie war auch Michael Stürzenberger, Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit", vormals CSU-Mitglied.

Flüchtlingsfeindlichkeit – häufig mit besonderen Ressentiments gegen "den Islam" verknüpft – bildet eine Klammer vieler (partei-)politischer Aktivitäten. Neben der AfD beteiligt sich "Die Rechte" mit ihren ca. 500 Mitgliedern stark an Aktionen gegen Flüchtlinge. Die Kleinpartei "Der Dritte Weg" besitzt zwar nur ca. 200 Mitglieder, erreicht aber über Online-Aktivität größeren Einfluss. Ihr Leitfaden "Kein Asylheim in meiner Nachbarschaft" stattet Rassisten mit Informationen für die öffentliche Debatte und Tipps zu Protestmöglichkeiten aus.

Eine Rolle spielt auch die sog. Identitäre Bewegung, die ein (neurechtes) Lebensgefühl etlicher junger Menschen aufzugreifen versucht. Mit dem Slogan "100% Identität, 0% Rassismus" wollen sie sich gängigen Klischees verweigern. Die "Kriegserklärung" der Identitären in Frankreich allerdings, die im Übrigen von der Bundesgeschäftsstelle der Republikaner ins Netz gestellt wurde, spricht eine sehr deutliche rassistische Sprache: https://www.youtube.com/watch?v=dkV7ZzaKM80
Ein "wahnhafter" Ableger sind die "Reichsbürger". Ihre Ideologie trägt die Züge einer in sich geschlossenen Verschwörungstheorie und beinhaltet durch das angenommene Fortbestehen des Dritten Reiches häufig rechtsextreme Überzeugungen.  

All diese Entwicklungen verändern das gesellschaftliche Klima in Deutschland.
Viele TeilnehmerInnen berichteten von Eindrücken und Ereignissen, die das belegen.

Björn Höcke wird als "massentauglich" wahrgenommen, er holt mit rechtspopulistischen Reden z.B. in Erfurt Tausende auf die Straße. Im Thüringer Landtag bringt die von ihm geführte AfD Anfragen zu Flüchtlingen ein, die teilweise schon von der Ausrichtung her diffamierend sind. So wird beispielsweise nach Krankheiten gefragt, die Flüchtlinge "einschleppen". Schnittstellen zu anderen ultrakonservativen Kräften gibt es auch bei Themen wie "Genderwahn". Die AfD um Höcke hat keine Hemmungen, mit dem Thüringer Heimatschutz, der NPD und anderen rechten Gruppen zusammenzuwirken. Aktive in Thüringen haben jetzt ein Bündnis geschlossen, um Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Alle demokratischen Parteien beteiligen sich – außer der CDU, die die AfD als einen potenziellen Koalitionspartner wohl lieber nicht offen brüskieren will.

Die offenkundig gewachsene Vernetzung von flüchtlingsfeindlichen Kräften wirft die Frage auf, ob damit eine verstärkte – ggf. auch organisierte – Gewaltbereitschaft einhergeht. Die Straftaten gegenüber Flüchtlingsunterkünfte sind definitiv dramatisch angestiegen. Bislang vertritt das Bundeskriminalamt, ebenso wie vormals beim NSU, die Einzeltäterthese. Diese scheint jedoch mehr als fragwürdig. Hat eine "Nein zum Heim"-Kampagne wirklich keinerlei Einfluss auf die Anschlagshäufigkeit? Stellt eine rechte Online-Karte aller Flüchtlingsunterkünfte tatsächlich keine Aufforderung dar, an diesen Orten "besonderen Widerstand" zu entfalten? Inwiefern sind von Pegida initiierte Blockadeaktionen im Zusammenhang mit der Anreise von Geflüchteten ein Schritt hin zu gewalttätigeren Aktionsformen? All dies bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass die Polizei bei den Ermittlungen ähnliche Fehler macht wie schon in den 1990er Jahren. Das beginnt mit der unpräzisen und widersprüchlichen Erfassung von Straftaten. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat dazu eine [Kleine Anfrage] eingereicht.

Neben der Statistik darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass es eine Wechselwirkung zwischen dem Aufhetzen zu Gewalt und dem Ausüben von Gewalt gibt. Auch die 14-köpfige AfD im Sächsischen Landtag um Frauke Petry bewegt sich bewusst in dieser Grauzone. Sie stellt die Infrastruktur und putscht mit Reden die Menschen auf. Wenn Gruppen dann von der Demo zur Flüchtlingsunterkunft weiterziehen, leugnet die AfD ihre Mitverantwortung dafür. Die Polizei schwankt in der Auseinandersetzung mit solchen Aktionen zwischen Überforderung und Unterschätzung der Situation. Dabei spielt auch die tendenziell zu geringe Personalausstattung eine Rolle.

Mit Polizeipräsenz und anderen repressiven Maßnahmen allein ließe sich das tiefliegende gesellschaftliche Problem aber ohnehin nicht lösen. Das sieht man u.a. an der NPD. Ein Verbot der NPD hätte wenig Effekt. Die Parteistruktur wäre damit zwar beseitigt, nicht aber ihre rechtsextremen Mitglieder. Schon jetzt ist bei der NPD ein Mitgliederschwund zu verzeichnen, jedoch nicht, weil ihre Mitglieder sich politisch demokratisieren, sondern weil sie zu anderen ebenso rassistischen Parteien (z.B. Der Dritte Weg oder Die Rechte) wechseln.

Speit bringt eine akute Gefahr auf den Punkt: Wir haben in Deutschland momentan die gleiche Stimmung, in der sich damals die rechtsextreme Terrorgruppe NSU radikalisiert hat. Fatal wäre, in der Auseinandersetzung damit die früheren Fehler zu wiederholen.

Leider spielt die Debatte rund um die erfolgte Verschärfung der Asylgesetze den rassistischen Stimmungsmachern in die Hände. Luise Amtsberg, die Sprecherin für Flüchtlingspolitik unserer grünen Bundestagsfraktion, beschreibt die Probleme, die der jüngste "Asylkompromiss" und weitere Vorhaben auf Bundes- und Länderebene für die Betroffenen mit sich bringen. Den finanziellen Zugeständnissen an Länder und Kommunen stehen schwerwiegende Einschnitte gegenüber. Der Zugang zu politischem Asyl wurde nochmals eingeschränkt.

Asylsuchende müssen künftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen, solange ihr Asylantrag nicht entschieden ist – Menschen aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten sogar noch länger. Mit dem Aufenthalt geht ein Arbeitsverbot einher. Die Liste der vermeintlich sicheren Herkunftsländer wurde um Albanien, Kosovo und Montenegro verlängert. Statt Geldmitteln sollen verstärkt Sachleistungen ausgegeben werden, um unterstellte "Fehlanreize" zu beseitigen. Abschiebungen müssen nicht mehr angekündigt werden, was für die Asylsuchenden ständige Unsicherheit bedeutet. Der Zugang zu Integrationskursen bleibt einschränkt, eine Chance haben nur Personen aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea, und auch diese nur begrenzt. Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge darf endlich eingeführt werden, der Umfang der Gesundheitsleistungen obliegt jedoch den Krankenkassen und Ländern, so dass Spielräume positiv oder negativ genutzt werden können. Die Länder tragen nun eine hohe Verantwortung, menschenunwürdige Maßnahmen im Rahmen der Kann- und Sollregelungen abzuwehren. Einige TeilnehmerInnen betonen, dass sie im Umgang damit eine Glaubwürdigkeitsfrage für Bündnis 90/Die Grünen sehen. Kompromisslösungen zu Lasten von Menschenrechten darf es nicht geben. Das gilt auch für diskriminierende Gesetzgebungen.

Die bisherigen Verschärfungen und Schikanen sind vielen PolitikerInnen nicht genug. Immer neue Forderungen zielen darauf ab, die Einreise von Geflüchteten weiter zu erschweren. Rufe nach einer Aussetzung des Familiennachzugs für Syrer, festen Obergrenzen (Kontingenten) für Flüchtlinge oder wie auch immer geartete "Transitzonen" haben alle ein Ziel: die Abschottung zu erhöhen. Mit solchen Forderungen reihen sich demokratische PolitikerInnen ein in den Chor der Scharfmacher von Pegida und anderen Anti-Asyl-Initiativen.

Zur Frage nach einem Winterabschiebestopp erklärt Luise Amtsberg, dass den Ländern diese Option nicht mehr offensteht. Laut "Asylkompromiss" sind nur noch Einzelfallentscheidungen möglich. Angeregt wird ein pauschales Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt, dessen Gestaltung wir in der grünen Bundestagsfraktion diskutieren werden.
Hans-Christian Ströbele schätzt pragmatisch ein, dass es in absehbarer Zeit ohnehin nicht zu massenhaften Abschiebungen kommen wird, weil die Registrierungszentren komplett überfordert seien. Die Bundesregierung habe keinen Plan und deshalb sei auch nicht mit einer strikten Umsetzung der neuen Gesetze zu rechnen.

Bündnis 90/Die Grünen wollen und werden Anwalt der Flüchtlinge bleiben. Die grüne Bundestagsfraktion hat sich in einem [Entschließungsantrag gegen die Asylrechtsverschärfungen] gewendet.

Gesetzgebung spiegelt zu großen Teilen das gesellschaftliche Klima wider. Zivilgesellschaftliche Fachleute warnen schon länger, dass öffentliche Äußerungen häufig rassistisch gefärbt sind und rechtsextreme Gruppen solche Debatten missbrauchen. Doch wieder einmal erweisen sich die staatlichen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden in Teilen als inkompetent, die Sachlage realistisch einzuschätzen.

Irene Mihalic, Sprecherin für innere Sicherheit der grünen Bundestagsfraktion, berichtete darüber, dass der Bundesverfassungsschutzpräsident Maaßen kürzlich im Innenausschuss des Bundestags erklärt habe, AfD und Pegida seien keine Beobachtungsobjekte, weil der Verfassungsschutz bei ihnen keine rechtsextreme Steuerung erkennen könne. Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière hingegen konstatierte, bei der Organisation von Pegida wären "harte Rechtsextremisten" am Werke. Wie schon in den 1990er Jahren gibt es massive Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, wobei sich die Situation heute zahlenmäßig weitaus schlimmer darstellt. Auffällig ist, dass nicht nur einschlägig bekannte Nazis, sondern auch "normale" Bürger aus der "Mitte der Gesellschaft" Straftaten verüben, zum Teil mit ausgeprägter Gewaltneigung. Hier besteht ein "Radikalisierungspotenzial" mit nicht absehbaren Folgen.

Während der Diskussion äußerten TeilnehmerInnen ihre grundsätzliche Skepsis gegen die Arbeit des Verfassungsschutzes. Es sei wenig zielführend, wenn der Verfassungsschutz Pegida und andere rechte Gruppen beobachten würde. Er habe sich in der Vergangenheit eher als Teil des Problems als der Lösung erwiesen und bis heute keine strukturellen Reformen begonnen. Anstelle den Verfassungsschutz finanziell und personell immer besser auszustatten, wäre es sinnvoller, die Zivilgesellschaft zu stärken und ihre Forschungsstellen gegen Rassismus zu fördern.

Inmitten dieser Gemengelage nimmt im Bundestag ein erneuter Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) NSU seine Arbeit auf. Der Einsetzungsbeschluss ist hier abrufbar.
Grüne Mitglieder werden Irene Mihalic und als Stellvertreterin Monika Lazar sein.
Irene Mihalic erklärt, dass die Versuche, das Thema über die regulären Bundestagsausschüsse weiterzubearbeiten, gescheitert sind. Informationen wurden nicht offengelegt, Beamte beriefen sich auf "Erinnerungslücken".
Vollständige Aufklärung ist uns ein wichtiges Anliegen, auch um das verlorene Vertrauen in die Demokratie und ihre Staatsorgane wieder zu erhöhen.
Den inhaltlichen Fokus für ihre Mitarbeit beschreibt Monika Lazar in dieser Pressemitteilung.

Notwendig bleibt auch künftig ein Bündel von Maßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen und Willkommensprojekte für Flüchtlinge. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefragt. Auf Bundesebene haben wir in den jüngsten Haushaltsverhandlungen für 2016 wieder Anträge zur Unterstützung der Arbeit gegen Rassismus gestellt. Nach jahrelangem politischem Druck konnten wir diesmal konkrete Erfolge erzielen. Die Mittel für das Bundesprogramm "Zusammenhalt durch Teilhabe" wurden um 6 Millionen erhöht, was wir bereits im vorigen Jahr beantragt hatten. Auch beim Bundesprogramm "Demokratie leben" wurden die Fördermittel um 10 Millionen Euro aufgestockt. In einer Pressemitteilung legen die zuständige Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz und Monika Lazar dar, warum es dennoch weiterhin Veränderungsbedarf gibt.