Protokoll
Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 6.5. von 11.30 – 15.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].
Die Leipziger Autoritarismus-Studie dokumentiert seit 2002 bundesweit rechtsextreme Einstellungen. Es ist eine zweijährlich erhobene, aufsuchende Langzeitdokumentation mit gleichbleibender Methodik (repräsentative Stichproben vor Ort im eigenen Haushalt mit vertraulich auszufüllenden Fragebögen).
Im Jahr 2018 wurde die Leipziger Autoritarismus-Studie „Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft“ veröffentlicht. Sie verdeutlicht, dass rechtsextreme und autoritäre Haltungen weit verbreitet sind.
Als Referentin haben wir Julia Schuler vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig eingeladen. Sie hat an der Studie mitgearbeitet.
Rechtsextreme Einstellungen werden in der Studie anhand von sechs Dimensionen dargestellt: Befürwortung rechtsautoritärer Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Die höchsten Zustimmungsraten von allen erhielt die sog. Ausländerfeindlichkeit.
Zu den Ergebnissen im Zeitverlauf erläuterte die Referentin: Ausländerfeindlichkeit wie auch Chauvinismus stellten sich statistisch 2018 nicht höher dar als 2002. Der Antisemitismus hat seit 2002 deutlich abgenommen. Möglicherweise liegt dies aber daran, dass in der Studie vor allem klassische Aussagen von Antisemitismus erfasst werden, weniger indirekte Formen wie Israelkritik. Beim Sozialdarwinismus hat sich die Situation wiederum kaum wesentlich verändert. Zur Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur zeigt sich nur ein leichter Abfall seit 2002, ebenso bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Prinzipiell sind in Ostdeutschland über die Jahre erheblich stärkere Schwankungen der Einstellungen als in Westdeutschland zu verzeichnen.
Von manifest-geschlossenen rechtsextremen Einstellungsmustern wird in der Studie gesprochen, wenn über alle Dimensionen hinweg zugestimmt wurde. Auch hierbei lässt sich nicht belegen, dass seit 2002 die Anzahl der Rechtsextremen zugenommen hat. Die rechtsextremen Einstellungsmuster waren bereits länger vorhanden, während die Radikalisierung sich eher auf der Handlungsebene zeigte. Ebenso nahmen die Zustimmung zur Gewalt und die Gewaltbereitschaft über die Jahre zu.
Die Referentin erläuterte, welche Faktoren Einfluss auf die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen haben. Einen besonders relevanten Einfluss wies die Studie bei dem Faktor des Autoritarismus nach. Das heißt, wer zu autoritär gefärbtem Denken neigt, hat oft auch eine größere Affinität zu rechtsextremen Einstellungen. Zum autoritären Syndrom zählt die Studie drei Dimensionen: autoritäre Aggression (Unruhestifter sollen bestraft werden), autoritäre Unterwürfigkeit und Konventionalismus (im Sinne der Beibehaltung von bisher als sinnvoll wahrgenommenen Konventionen). Bei der autoritären Aggression spielt politisch eine große Rolle, wer als Unruhestifter wahrgenommen wird. Im rechtsextremen Spektrum sind das beispielsweise Musliminnen und Muslime, aber auch Sinti und Roma.
Als weiterer wichtiger Faktor kann eine Verschwörungsmentalität gelten. Jeder Dritte stimmt solchen Theorien zu oder ist zumindest dazu geneigt. Es geht hierbei nicht darum, gesellschaftliche Entwicklungen oder politisches Agieren konstruktiv zu hinterfragen, sondern auf einer ganz breiten Ebene zu misstrauen, „geheime Machenschaften“ zu unterstellen, stark zu verallgemeinern und nicht mehr in der Lage zu sein, Gegenargumente zu prüfen.
Ebenfalls von Belang ist im Bereich der Anerkennungserfahrungen die Wahrnehmung, „Bürger zweiter Klasse“ zu sein, was insbesondere bei Ostdeutschen häufig mitschwingt und die Haltung zur Demokratie und den politischen Eliten negativ bestimmt. Im Bereich der Ökonomie spielt die allgemeine wirtschaftliche Lage in Deutschland eine größere Rolle als die individuelle.
Widersprüchlich zeigt sich die Haltung zu Gleichstellung. Einerseits bejahen 80,9 Prozent der Befragten, dass es für alle Menschen gleiche Rechte geben soll. Andererseits will ein gewisser Teil bestimmten Gruppen diese Rechte dann doch aberkennen. So meinen 53,7 Prozent: Manche Gruppen sollten sich nicht wundern, dass der Staat ihre Rechte einschränkt. Und etwa ein Drittel findet, wer nicht arbeite, solle auch nicht dieselben Rechte haben.
Zusammenfassend betonte Frau Schuler, Rechtsextremismus sei schon über viele Jahre dokumentierbar. Eine „manifest-ausländerfeindliche“ Haltung findet sich bei 8,5 Prozent der Ostdeutschen und 5,4 Prozent der Westdeutschen.
Die ausführliche Studie gibt es in Buchform. Eine Onlinefassung ist hier abrufbar.
Die Powerpoint-Präsentation zum Vortrag von Frau Schuler kann hier heruntergeladen werden: [Vortrag lesen].
Im zweiten Teil der Veranstaltung gab es einen Austausch darüber, was in Bund und Ländern mit Bezug zum Rechtsextremismus gerade aktuell ist.
Dabei wurde auf verschiedene Initiativen und Dokumente hingewiesen.
Die Grüne Bundestagsfraktion brachte in den vergangenen Monaten verschiedene Kleine Anfragen zum Thema Rechtsextremismus ein, unter anderem:
Kleine Anfrage: Nicht vollstreckte Haftbefehle als Gefahr für die innere Sicherheit 2019
Kleine Anfrage Kampfsport in der rechtsextremen Szene
Kleine Anfrage Erkenntnisse zu Rechtsextremismus in Polizeibehörden
Kleine Anfrage Gefahrenpotential der Reichsbürger-Szene
Auch wurde vom Fachgespräch "Reichsbürger" – Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat, das am 18. Januar 2019 im Bundestag stattfand, berichtet. Mehr dazu kann man hier nachlesen.
Die Grüne Jugend wies auf ihren im April 2019 getroffenen Beschluss "Runter von der Matte, raus aus dem Konzertsaal! – Nazi-Strukturen aufdecken und bekämpfen" hin.