Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 18.05.2015
- Protokoll -
Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 18.05.2015 von 11.30 – 15.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].
Das gesellschaftliche Klima hat sich zum Negativen verändert, konstatiert Monika Lazar bei der Begrüßung. So werden nicht nur rechtspopulistische Vorurteile zunehmend offensiv und öffentlich vertreten, sondern auch demokratische Akteure in immer absurderer Weise staatlicherseits verdächtigt. Als aktuelle Beispiele nannte sie die juristischen Ermittlungen in Sachsen gegen sich selbst wegen Legida-kritischer Äußerungen auf einer Pressekonferenz und gegen den grünen Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel aufgrund eines angeblichen Böllerwurfes bei einer Gegendemonstration. Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen und zielen letztlich nur auf die Diskreditierung zivilgesellschaftlichen Engagements [Pressemitteilung zum Thema lesen].
Die asyl- und islamfeindlichen Parolen von AfD sowie Pegida und deren Ablegern wurden in den vergangenen Monaten heiß diskutiert. Dabei gab es in Politik, Medien und Gesellschaft ein breites Meinungsspektrum. Nicht zu Wort kamen jedoch die eigentlich Betroffenen – die potenziellen und tatsächlichen Opfer rechtspopulistischer Hetze. Dazu gehören insbesondere Flüchtlinge und Menschen mit muslimischem Hintergrund. Judith Rahner, die in der Amadeu Antonio Stiftung das Projekt „"ju:an" - Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit“ begleitet, rückte diese Menschen in den Mittelpunkt ihrer [Präsentation]. Sie berichtete, wie besorgt viele muslimische Familien wegen der verbreiteten rassistischen Vorurteile, die ihre gesellschaftliche Partizipation (z.B. im Berufsleben) sehr erschweren, sind. Hinzu kommt, dass nicht zwischen Islam und militanten Djihadisten unterschieden wird. Durch diese Homogenisierung sehen sich alle Muslime einem Generalverdacht ausgesetzt und unter permanenten Rechtfertigungsdruck gesetzt. Den Ansatz, staatliche „Sonderprogramme für Muslime“ aufzulegen oder „Islam-Beauftragte“ einzusetzen, hält Rahner für ungenügend. Vielmehr vonnöten wäre ein Monitoring über das Ausmaß des antimuslimischen Rassismus, der selbst in Bildungskontexten zu beobachten ist. Die Auseinandersetzung mit dieser Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit muss als Querschnittsaufgabe betrieben werden. Eine stereotype Kulturalisierung gesellschaftlicher Konflikte darf nicht länger hingenommen werden. Menschen mit Diskriminierungserfahrungen brauchen Empowerment und das Erleben, eine Bereicherung für die Gesellschaft zu sein.
Doch die AfD vermittelt genau das Gegenteil: Sie warnt vor einer „Islamisierung des Abendlandes“ und grenzt damit Muslime pauschal aus. Alexander Häusler, tätig an der Fachhochschule Düsseldorf, hat die Partei in einer Studie beleuchtet und stellt fest: Bisher ist sie vor allem ein Protestvehikel gewesen, bildet vielfach rechtspopulistische Einstellungen der Bevölkerung ab und betreibt rechten Kulturkampf [Studie lesen]. Obwohl sie ihre ersten Erfolge mit Eurokritik erzielte, tritt sie heute in allererster Linie als Anti-Zuwanderungspartei in Erscheinung.
Unklar ist, wie die AfD sich durch ihre Arbeit in den verschiedenen Parlamenten entwickelt. Die Heinrich-Böll-Stiftung plant dazu gemeinsam mit der Fachhochschule Düsseldorf eine weiterführende Studie. Aktuell sieht Häusler drei Flügel in der AfD, die innerparteilich für Konflikte und Deutungskämpfe sorgen: den nationalkonservativen, den wirtschaftsliberalen und den offen neurechten Flügel. Die Fronten sind verhärtet, es werden widerstreitende Resolutionen in Umlauf gebracht. Ob der Richtungsstreit auf dem AfD-Parteitag im Juni in einem Führungswechsel kulminiert oder die Partei sich weiterhin öffentlich selbst demontiert, bleibt abzuwarten.
Offensichtlich sind auf jeden Fall große inhaltliche Schnittmengen zwischen der AfD sowie Pegida und deren Ablegern vorhanden. Neben einer ablehnenden Haltung gegenüber Einwanderung spielt auch Grundsatzkritik an der demokratischen Politik und den Medien („Lügenpresse“) eine Rolle. Die transportierten Positionen werden von der Einstellungsforschung seit Jahren dargestellt und erstaunen Fachkundige somit nicht. Ein Anstieg des Rechtspopulismus ist in ganz Europa zu verzeichnen. Dass nun auch in Deutschland das „rechte Wutbürgertum“ offen dafür auf die Straße geht, ist allerdings in dieser Form ein Novum. Neu ist auch, dass bei Pegida und ihren Ablegern konformistische und nonkonformistische Rechte zusammenkommen und gemeinsam demonstrieren. Bündnis 90/Die Grünen sind die Partei, in der die wenigsten Sympathisierenden zu finden sind. Ihrerseits stellen sie mit ihrer Politik für universelle Menschenrechte und eine pluralistische Gesellschaft das größte Feindbild der Rechtspopulisten dar. Damit können die Bündnisgrünen besonders glaubwürdig und entschieden jeglichem Rassismus entgegentreten.
Ob das auch bedeutet, sämtliche Gespräche mit AnhängerInnen von Pegida, Legida und Co. kategorisch abzulehnen, diskutierten wir mit Stephan Bickhardt und Gesine Oltmanns, die zum Kreis der InitiatorInnen der Leipziger Legida-Dialoge gehören.
Gesine Oltmanns, die bereits in der Bürgerrechtsbewegung der DDR aktiv war, merkt an: „In Sachsen wird wieder auf der Straße über Politik diskutiert.“ Dies sei jedoch das einzig Positive, was über diese Prozesse gesagt werden kann. Die Diskurse verliefen häufig verbal und/oder körperlich aggressiv, sowohl seitens der Demonstrierenden und Gegendemonstrierenden als auch der Polizei. Sie habe so intensive Auseinandersetzungen zuvor letztmalig im Herbst 1989 erlebt. Legida versuchte dabei, die Symbolik des DDR-Widerstands zu missbrauchen, z.B. durch Sammlung auf dem Leipziger Ring und das Konzept der Montagsdemos. Dies aktivierte zahlreiche Gegendemonstrierende, bei der ersten Gegenaktion waren ca. 30.000 Menschen anwesend. Später schrumpfte sowohl Legida als auch No-Legida immer mehr. Tief beeindruckt zeigte sich Oltmanns von der besonderen Ausdauer der jungen Gegendemonstrierenden. Am Ende bestand der Gegenprotest fast ausschließlich aus Jugendlichen, die jedoch von der Polizei häufig unangemessen behandelt und nicht hinreichend geschützt wurden. Aus den Erfahrungen auf der Straße erwuchs das Bedürfnis nach Diskursen, die in anderem Rahmen geführt werden konnten.
Da DemonstrantInnen von Pegida und Co. selbst immer wieder darauf beharren, keine Nazis zu sein, stellt sich die Frage: Wo verläuft die Grenzlinie zwischen legitimer Gesellschaftskritik, über die man diskutieren sollte, und rassistischer Stimmungsmache?
Stephan Bickhardt formulierte die Antwort dahingehend, dass Dialog dort Sinn macht, wo Menschen Ängste ausdrücken oder ihnen Informationen fehlen. Die Grenze sei erreicht, wenn Rassismus offen ausgedrückt und dafür Anhängerschaft gesucht wird. Hier tragen die ModeratorInnen eine hohe Verantwortung. Die „Legida-Dialoge“ fanden in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre statt. Teilweise kam es zu schwer erträglichen Äußerungen, insbesondere auch gegen Asylsuchende. Diesen wurde die europäische Idee der Freiheit und eine Haltung des Verständnisses für diejenigen, die deshalb hierher kommen wollen, entgegengesetzt [Papier Für ein Europa freier Bürger lesen]. Bickhardt beklagte die unzureichende Informationspolitik und fehlende Einbeziehung der Bevölkerung in Sachsen hinsichtlich der Unterbringung von Asylsuchenden.
Insofern zeigte er bis zu einem gewissen Grad auch Verständnis für die Ängste der Menschen vor Ort und mahnte Geduld und weitere niedrigschwellige Dialogangebote an. Auch künftig gelte es, der Bevölkerung das Grundrecht auf Asyl als freiheitliches Prinzip verständlicher zu machen.
Bickhardts Einschätzung nach hat die Doppelstrategie (Gegendemonstrationen und Dialoge) letztlich zum Abflachen von Legida geführt.
Nach den Impulsreferaten wurden die Strategien diskutiert. Es kamen zusätzliche Denkanstöße und Berichte. So wurde betont, dass es nicht nur für die „Wutbürger“ der weißen Mehrheitsgesellschaft Dialogforen geben soll, sondern vor allem für die eigentlich Betroffenen – die Flüchtlinge und Asylsuchenden. Diese Menschen müssen vor rassistischer Hetze geschützt werden. Dafür solle aber ein gesonderter Raum geschaffen werden, um sie nicht den rechtspopulistischen Positionierungen auszusetzen. Teilweise wurde der Ansatz der Legida-Dialoge grundsätzlich abgelehnt, weil er die Gefahr berge, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu normalisieren. Den InitiatorInnen war diese Gefahr durchaus bewusst, weshalb sie strenge Regeln der Gesprächsführung festgelegt hatten. Dialog darf nicht dazu führen, ausgrenzenden Forderungen noch mehr Resonanzraum zu geben. Die Rolle der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung wurde in diesem Zusammenhang kritisiert. Der Chef der Landeszentrale, Frank Richter, hatte Pegida-VertreterInnen Räumlichkeiten für Pressekonferenzen zur Verfügung und damit den Eindruck erweckt, ihre Aktivitäten als Teil der politischen Bildung zu billigen und offiziell zu unterstützen.
Wichtig ist stets die Beachtung regionaler Ausprägungen. So finden sich in Sachsen im Umfeld von Pegida in Dresden viele BürgerInnen, die vor allem ein Ventil für ihre Frustrationen suchen und möglicherweise durch Argumente zum Überprüfen ihrer Positionen bewegt werden können. Schon bei Legida in Leipzig gab es deutlich rechte Tendenzen, sowohl bei den Rednern als auch bei den TeilnehmerInnen. In Dortmund besteht hingegen das Klientel nur aus einschlägigen Neonazis, mit denen demokratischer Dialog keinen Sinn machen würde.
Obwohl die Demonstrationen von Pegida, Legida und Co. den Zulauf verloren haben, besteht das Problem des Rassismus fort. Dialoge bleiben aber ein „Tropfen auf den heißen Stein“, wenn die Demokratie insgesamt nicht gut funktioniert. Hier muss die demokratische Politik ihre Aufgabe besser als bisher erfüllen. Die politische Kultur in Deutschland leidet darunter, dass vor Ort kein Austausch stattfindet („Zuschauerdemokratie“). Stattdessen braucht es ein konstruktives Ringen um gemeinsame demokratische Positionen für eine pluralistische Gesellschaft. Dort, wo rechtspopulistische Gruppen vermeintlich „mehr Demokratie“ einfordern, müssen sie gestellt und ihre dahinter liegenden Ziele benannt werden. Das eigene grüne Konzept von direkter Demokratie muss dem entgegengestellt und weiterentwickelt werden [Grünes Beschlusspapier "Direkte Demokratie" lesen].
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