Grüne Bundestagsfraktion diskutiert öffentlich über die Glaubwürdigkeitskrise des internationalen Sports
Unter dem Titel „Andere Spiele sind möglich“ hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 26. September 2014 ein öffentliches Fachgespräch mit zahlreichen interessierten Gästen durchgeführt. Das Problem, dem sich vor allem die Weltsportverbände Fifa und das Internationale Olympische Komitee (IOC) stellen müssen, lautet: die Schere zwischen der hehren Idee des Sports als Friedensstifter und der von Korruption und Ignoranz geprägten Verbandsstruktur auf internationaler Ebene wird immer größer.
Im Ergebnis heißt das: die Menschen in westlichen Demokratien wehren sich aufgrund explodierender Kosten und zu befürchtender Umweltschäden (vor allem bei Olympischen Winterspielen) gegen Sportgroßereignisse. Autokratische Herrscher wiederum nutzen die Gelegenheit zur eigenen Propaganda und der Sport unterstützt dies teilweise auch noch. Dieses Problem hat auch die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt in ihrem Grußwort skizziert.
Verbindlichkeit von Vergabekriterien
Im von mir moderierten ersten Panel, bei dem es um die Frage der Vorbereitung von Sportgroßereignissen ging, konnte ich hochkarätige Gäste begrüßen: neben dem ehemaligen DFB-Präsidenten und derzeitigen Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees Dr. Theo Zwanziger war auch der kritische Journalist und Blogger Jens Weinreich gekommen. Für den direkten fachlichen Einstieg anhand einer kurzen Präsentation haben wir Sylvia Schenk gewinnen können, welche die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland gegründet hat und die Organisation einige Jahre selbst leitete. Schenk hat auch gleich zu Anfang darauf hingewiesen, dass es in jüngster Vergangenheit eine wichtige Neuregelung innerhalb des IOC gegeben hat: künftig soll direkt im Vertrag zwischen Ausrichterstadt und IOC das Bekenntnis zur Antidiskriminierung festgehalten werden. Die große Frage aber ist dabei die Möglichkeit der Sanktionierung, wie Schenk feststellte: „Es ist ja schön, wenn z.B. in Sotschi keine Diskriminierung geduldet wird. Was aber machen wir, wenn die russische Staatsduma sechs Monate vor Beginn der Spiele auf die Idee kommt, Gesetze gegen Schwule und Lesben zu verabschieden? Entziehen wir Russland dann die Spiele?“
Wie besonders ist der Sport?
Prof. Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin hatte in seiner Keynote darauf hingewiesen, welche Macht Bilder im Zeitalter der sozialen Netzwerke hätten. Das Sportgroßereignis finde demnach eigentlich nicht im Stadion statt, wo nur einige Tausend Menschen Zeugen seien. Milliarden Menschen verfolgten die Sportgroßereignisse vermittelt durch Medien. Dadurch komme eine Unwucht in das gesamte System: der Sport, welcher immer einen besonders hohen moralischen Anspruch hat, weil er Wirklichkeit in unvergleichlicher Weise abbilden kann, wird zur Show für Fernsehen und Internet.
Diese Hauptpunkte der Diskussion zogen sich auch durch die anderen beiden Panels, in denen sowohl menschrechtliche als auch ökologische Aspekte von Sportgroßveranstaltungen kritisch zur Sprache kamen. U.a. hat der Leiter der Heinrich-Boell-Stiftung in Moskau, Jens Siegert, die Situation in Russland im Nachgang der Olympischen Winterspiele von Sotschi und im Vorlauf zur Fußball-WM 2018 beschrieben. Er geht fest davon aus, dass diese stattfinden wird. Ganz anders die Einschätzung zur WM in Katar: Theo Zwanzigers Pressestatement, wonach die WM 2022 dort nicht stattfinden würde, hat er auf unserer Veranstaltung noch einmal bekräftigt: „Egal ob im Sommer oder Winter: ich sehe nicht, dass diese WM dort stattfinden wird. Im dritten und letzten Panel hatte dann auch der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Dr. Michael Vesper die Gelegenheit, die positive Kraft des Sports herauszustellen: „Boykotte bringen gar nichts. Das hat sich in Moskau 1980 gezeigt. Damit hatte man nur den Athleten geschadet.“
Gibt es überhaupt gute und schlechte Gastgeber?
Vor allem: wie sollen wir zwischen legitimen und unrechtmäßigen Gasgeberländern unterscheiden? Diese wichtige Frage hat Dr. Miriam Saage-Maaß im zweiten Panel aufgeworfen, das von meinem Kollegen Tom Koenigs, Sprecher für Menschenrechtspolitik in der grünen Fraktion, geleitet wurde. In Russland würden LGBTI diskriminiert, das sei schlimm. Andererseits, darauf wiesen auch andere ReferentInnen hin, sei die Lage für Gehörlose in Russland deutlich besser: es ist eine aus der Sowjetunion übernommene Tradition, dass diese Behinderung weit weniger zu Diskriminierung führt als sie z.B. RollstuhlfahrerInnen erleben müssten. Saage-Maaß fragte daher: „Wo ziehen wir die Grenze? Durch die USA werden Menschen gefoltert. Trotzdem regt sich niemand auf, wenn in dem Land eine WM stattfindet.“ Sie hielt dies für den Ausdruck eines „postkolonialen Diskurses“, der in der Debatte in Deutschland immer wieder aufbrechen würde.
Gibt es noch Hoffnung?
Jetzt heißt es, Lehren zu ziehen aus den Diskussionen und konkrete Punkte in den parlamentarischen Prozess einzuspeisen. Theo Zwanziger sieht auch die Fifa hier in einer besonderen Pflicht. Angesichts des Streites um Veröffentlichung des „Garcia-Berichts“, in dem detailliert das Verhalten der Fifa-Funktionäre im Vorfeld der Doppelvergabe nach Russland und Katar auf den Prüfstand kam, sagte er: „Die Fifa hat zur Zeit ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das kann nur gelöst werden, wenn der Bericht veröffentlicht wird.“ Dafür müssten allerdings die Statuten der Fifa geändert werden. Und wie weit es mit dem Reformwillen her ist, hat Jens Weinreich veranschaulicht, als er die Fifa mit dem SED-Zentralkomitee von 1989 verglichen hat. Damals wollte man angesichts des Unmuts in der Bevölkerung in letzter Minute einlenken und zumindest so tun, als sei man zur Veränderung bereit.
Mit Hilfe der Politik kann es gelingen, den Sport aus seiner Glaubwürdigkeitskrise zu befreien. Viel Zeit bleibt dazu allerdings nicht.
[Weiterlesen: Bericht der Bundestagsfraktion]