MUT GEGEN RECHTE GEWALT - 28.09.2006
''Das wäre auch eine Sache der Kanzlerin''
Die Kritik mehrt sich am neu geplanten Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus
Von Holger Kulick
''Das
Bundesfamilienministerium hat die bestehende Projektförderung gegen
Rechtsradikalismus zu einem maßgeschneiderten Programm zusammengefasst"
verspricht derzeit die Homepage der Bundesregierung. Und: "Die noch
existierenden Programme, die Ende 2006 nach sechs Jahren auslaufen,
werden noch bis Ende Juni 2007 weiterfinanziert". Hat der Bund also
alles im Griff nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern?
Der Optimismus täuscht, warnen Experten und Parteien. Jetzt auch der
Bielefelder Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und die SPD.
Vorgeschichte. Anfang September trafen sich eine Reihe Vertreter der bislang
erfolgreichsten bundesdeutschen Initiativeprojekte gegen
Rechtsextremismus zu einem Gespräch mit dem zuständigen Fachbeamten aus
dem Familienministerium, Sven-Olaf Obst. Er ist zuständig ist für die
Erarbeitung eines neuen Bundesprogramms gegen
Extremismus. Das Gespräch fand unter dem Dach der Grünen statt,
einladende war deren Bundestagsabgeordnete Monika Lazar. Mit dabei
waren vor allem Vertreter von Opferberatungsstellen und Mobilen
Beratungsteams für Schulen, Kommunen, Medien und andere Institutionen,
alles flächendeckend in ihren jeweiligen Bundesländern arbeitende
Initiativen. Sie alle haben derzeit ein Problem - keine
Zukunftsperspektive mehr. Denn für sie sieht das neu entwickelte
Programm künftig keine Förderung mehr vor, sie waren einmal
Modellprojekte, die inzwischen hervorragend funktionieren, der
Bund darf in einem solchen Fall aber nicht mehr weiter finanzieren,
allenfalls die Länder. Aber die ließen sich aus Geldmangel und
Desinteresse bislang kaum in die Pflicht nehmen.
Im Gesprächskreis der Grünen-
Abgeordneten Monika Lazar (m.)
Anfang September.
Rund
ein halbes jahr hatte das Familienministerium den Entwurf des
neuen Maßnahmeplans in unterschiedlichen Gremien zur Diskussion
gestellt, sei es dem 'Rat gegen Rassismus' im
Innenministerium oder in Gremien der Ländervertreter. Die Sorge der
Strukturprojekte wurde dabei nie gelöst. So respektierte Einreichtungen
wie 'Lobbi-MV' in Mecklenburg-Vorpommern, MOBIT in Thüringen, die Aktion Zivilcourage im sächsischen Pirna, Schule ohne Rassismus, die Aussteigerinitiative Exit-Deutschland, das mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Berlin mbr oder die Opferperspektive Brandenburg fingen bereits an, erste Kündigungen zu schreiben, denn zum
31.12.2006 laufen die bisherigen CIVITAS- und ENTIMON-Projekte aus.
Letzter Hoffnungsanker war das Treffen mit Dr. Obst Anfang September,
doch der verkündete: AUS. Für diese Projekte war keine Zukunft mehr
vorgesehen und fast noch schlimmer, die Übergangszeit bis zum
Inkrafttreten neuer Fördermaßnahmen für andere, neue Projekte
erstreckte sich bis voraussichtlich Mitte nächsten Jahres.
Initiativvertreter beim Treffen
Anfang September in Berlin
Somit droht
im ersten Halbjahr 2007 ein Vakuum bei der Bekämpfung von
Rechtsextremismus. Missmutig schüttelten die Initiativ-Vertreter
anschließend den Kopf und scherzten: "Nur wenn die NPD bei den Wahlen
in Mecklenburg-Vorpommern über 5 Prozent kommt, ändert
sich etwas an unserer Lage. Erst dann wird die Öffentlichkeit
wach". Genauso kam es.
Kaum war klar, dass die NPD 7,3 Prozent
bei den Wahlen In Mecklenburg-Vorpommern erreicht hat (bei
den Erstwählern sogar 17%), kündigte die Bundesfamilienministerin
noch am Wahlsonntag ihr neues Programm zur Extremismusbekämpfung an,
nun betitelt 'Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus'. Es werde
"den aktuellen Entwicklungen angepasst und effektiver sein, als die
bisherigen Programme CIVITAS und ENTIMON". Doch das drohenden Vakuum
blieb außen vor. Am Montag danach fiel dieses Versäumnis der
Behörde offensichtlich auf und eine Sprecherin versprach, dass dies
noch geändert werde - auf welcher haushaltsrechtlichen Grundlage auch
immer, verriet das Ministerium nicht.
Im Plenum des Bundestags
bei der Aktuellen Stunde
Für den 20.9. beantragten die irritierten Grünen und die Linkspartei nunmehr eine
aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema Rechtsextremimusbekämpfung, die
Ministerin selbst nahm nicht teil, nur ihr Staatssekretär Hermann Kues
versicherte, dass es tatsächlich "keine Förderlücke" geben soll.
Details nannte er nicht. Auch die Homepage der Bundesregierung verspricht seitdem eine Weiterfinanzierung "bis
Ende Juni 2007". Mehr aber nicht. Mehrere Unionsredner ließen sich bei
der Debatte nicht nehmen, zu betonnen, dass die alten Maßnahmen so
erfolgreich ja auch nicht gewesen sein könnten - warum sonst hätten
immer mehr Wähler NPD gewählt? Doch es zeigte sich auch Positives im
Plenarsaal - eine allseits gewachsene Sensibilität.
Rechtsextremisten seien "radikalisierter, professionalisierter und
verjüngt", analysierte der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy und sein
Parteikollege Wolfgang Thierse warnte davor, Rechtsaußenwähler als
Protestwähler abzutun: "In Deutschland kann und muss man wissen, was es
heißt, Nazis zu wählen!" Monika Lazar von den Grünen forderte
schließlich fünf Millionen Euro zusätzlich zu den bislang eingeplanten
19 Mio zum Erhalt der bewährten Strukturprojekte und ein
gleichberechtigtes Antragsrecht für freie Träger und Kommunen. Denn das
neue Förderprogramm schreibt dieses Recht in seiner wichtigsten Säule
bislang nur den Kommunen oder Gebietskörperschaften zu.
Pressekonferenz im Bundestag mit
Anetta Kahane (m.), Vorsitzende der
Berliner Amadeu Antonio Stiftung
Dies
wurde anderntags auf einer Pressekonferenz im Bundestag mit der
Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Renate Künast, und Vertretern
mehrerer Initiativprojekte untermauert, darunter Anetta Kahane,
die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin.
Sie mahnte wörtlich:
"Im Grunde
brauchen wir nicht kleine Aktionsprogramme, sondern eine wirkliche
Innovationsstrategie um Regionen zurückzuerobern. Das wäre auch eine
Sache der Kanzlerin und des Kabinetts. Aber wenn man sieht, mit welchen
Krisen die sich derzeit alle beschäftigen, da wird die Frage von
Dempokratiedefizit oder Verlust ganzer Regionen eher als peripher
betrachet. Es fehlt dort der Wille, sich einmal mit Wissenschaftlern
und Praktikern hinzusetzen und über Perspektiven solcher Regionen
nachzudenken und ganz klar zu reden. Stattdessen wir immer noch
bagetellisiert und gesagt, die NPD wird sich im Parlament schon
abwirtschaften. Nein, sie wird sich noch weiter in Kommunen verankern,
für die läuft alles nach Plan."
Wahlwerbung der Jusos in der SPD
In diesem Sinne hat nun, am 25. 9. auch der SPD-Parteirat eine Erklärung zum Thema verabschiedet. Ausgehend vom Wahlergebnis
in Mecklenburg-Vorpommern, das in dem Beschluss als "offener Angriff
auf die Demokratie" bezeichnet wird, heißt es (auszugsweise):
"....
In einer Zeit, in der Rechtsextremisten zur offenen Konfrontation
übergehen und sich immer enger vernetzen, droht den Kräften, die ihnen
Einhalt gebieten, aus bürokratischen Gründen das Aus. Das
SPD-Parteipräsidium fordert Bundesministerin Ursula von der Leyen
dringend auf, die Menschen, die sich unter oft schwierigsten
Bedingungen für unsere demokratischen Grundwerte einsetzen, nicht im
Stich zu lassen. Wie förderungswürdige Projekte ohne große
Finanzierungslücke weiter unterstützt werden können, hat die
SPD-Bundestagsfraktion in einem überzeugenden Konzept dargelegt.
Wir
brauchen eine langfristige Förderung von überregional wirksamen
Strukturen, die in den betroffenen Regionen mobil beraten,
(potentiellen) Opfern helfen und die vorhandene Kompetenz der Arbeit
für Demokratie und Toleranz sichern. Zivilcourage von Bürgerinnen und
Bürgern muss weiter fachkundig unterstützt werden. Dafür muss eine
eigenständige Förderung gesichert werden. Es ist begrüßenswert, die
Kommunen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus stärker
einzubeziehen. Allerdings darf die weitere Förderung der laufenden
Projekte nicht von kommunalen Gremien abhängig gemacht werden."
Am 26.9. hat der Bielefelder Soziologe Prof. Wilhelm Heitmeyer Position auf Spiegel Online bezogen und dementiert, e rhabe der
Bundesregierung Rückendeckung für ihr umstrittens neues Programm
gegen Rechts gegeben. Wörtlich heßt es:
"...Heitmeyer: Keiner unserer Wissenschaftler hat irgendwo in unseren
Evaluationsberichten vorgeschlagen, diese sogenannten
"Strukturprojekte" nicht weiterzuführen. Natürlich gab es auch
kritische Befunde - manchmal traten Projekte zu konfrontativ gegenüber
potenziellen Mitstreitern in der Verwaltung oder der Bürgerschaft auf.
Aber das war vor allem in der Anfangsphase, inzwischen haben sie
dazugelernt und sich weiterentwickelt. Dort ist über Jahre Kompetenz
gewachsen, und es wäre verheerend für den Kampf gegen
Rechtsextremismus, wenn die verloren ginge. Wichtig dabei ist
Kontinuität. Der Staatssekretär im Familienministerium, Hermann Kues,
schrieb kürzlich in einer Pressemitteilung, er sehe den Kampf gegen
Rechtsextremismus als Daueraufgabe - dann bedarf es aber auch einer
Dauerförderung, die übrigens auch weiterhin von unabhängigen Instituten
evaluiert werden muss.
SPIEGEL ONLINE:
Das Haus von der Leyen argumentiert, einzelne Projekte dürfe man nur
modellhaft fördern und nicht dauerhaft, das schreibe die
Bundeshaushaltsordnung vor.
Heitmeyer: Dann muss
man eben die Haushaltsordnung ändern! Es wäre doch fatal, wenn die
bürokratische Organisation einer Gesellschaft deren politische
Strategie bestimmt. Der zweite Ausweg wäre, dass die Bundesländer die
Förderung der Strukturprojekte übernehmen. Jedenfalls muss man sich
etwas einfallen lassen, wenn man tatsächlich willens ist, das Problem
des Rechtsextremismus anzugehen. Mir ist wirklich schleierhaft, wie man
argumentieren kann, die Strukturprojekte nicht weiterzufördern..."
Das ganze Gespräch: >klick
FORTSETZUNG FOLGT...
Zu einer Erklärung mehrerer Initiativen gegen Rechtsextremismus: >klick
Zur Lage, ein Kommentar von Bernd Wagner, (EXIT) >klick
© www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 24.9.2006
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