Das vorläufige Ende des braunen Spuks in Wunsiedel:
Politische Botschaften zwischen bunten Ballons und Bratwürsten
Ein friedlicher Feier-Tag gegen Rechts
Frankenpost vom 21.08.2006
VON HARALD JÄCKEL
Bunt statt braun und in trefflicher Feierlaune präsentierte sich Wunsiedel am Samstag zum Tag der Demokratie. Prominente Politiker, regionale Größen und ein Marsch mit 500 Menschen und 3500 Luftballons prägten das Bild der Stadt. Eine Stadt, deren aktive Bürger maßgeblichen Anteil daran haben, dass die geplanten Nazi-Großaufmärsche zum Heß-Gedenken bereits zum zweiten Mal in Folge verboten wurden.
/WUNSIEDEL /– „Wir haben den Neonazis und den linken Krakeelern die Herrschaft über die Straße genommen.“ Beifall brandet auf, als Bürgermeister Karl-Willi Beck von der Großbühne auf dem Markplatz die frohe Botschaft verkündet. Farbenfroh hat sich zuvor der lange Zug der rund 500 Marschteilnehmer – begleitet von 60 schweren Maschinen des Anti-Nazi-Motorradclubs „Kuhle Wampe“ – durch die Straßen geschlängelt.
Mit 3500 Luftballons über ihren Köpfen setzen die Marschierer ein deutliches Zeichen und das Motto „Wunsiedel ist bunt, nicht braun“ treffsicher um. Neben Bürgermeister Beck marschieren in der ersten Reihe mit Landrat Dr. Peter Seißer und zweitem Bürgermeister Matthias Popp – gleichzeitig Sprecher der rührigen und mitveranstaltenden Bürgerinitiative (BI) – Schlüsselfiguren des Wunsiedler Widerstands.
Lob und Forderung
Gute Figur machen sechs hübsche junge Frauen, die knapp bekleidet und auf der nackten Haut bunt bemalt den Zug anführen. Apropos jung: Die heimische Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus präsentiert sich erneut mit vielen kreativen Ideen neben der BI als Säule des demokratischen Aufbegehrens.
Dieses couragierte Aufbegehren wird von den vielen Rednern auf der Meile der Demokratie und der späteren Kundgebung immer wieder gelobt, aber auch wortkräftig eingefordert.
SPD-Bayernchef Ludwig Stiegler meint beim Gang durch die Budenstraße angesichts der erstmals aufgebauten Verpflegungsstände gut gelaunt, dass sich die Veranstaltung von der letztjährigen Fastenmeile zur Meile der Völlerei gemausert hat.
Räume besetzen
Vor seiner viel beklatschten Rede frönt Stiegler seiner Vorliebe für fränkische Bratwürste und kokettiert mit seinem sichtbaren Abnehm-Erfolg: „Ich halte mich zwar an Diät, aber nicht ideologisch. Wenn mich der Herrgott in Versuchung führt, dann folge ich.“ Viele Zuhörer folgen Stieglers Argumentation, dass das Ringen um den Rechtsstaat und gegen Rechts eine Alltags-Aufgabe ist, in deren Lösungsbemühungen man nicht nachlassen darf. Stiegler: „Alle aufrechten Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, gegen die braune Unkultur zu kämpfen. Wir werden den öffentlichen Raum besetzen.“
Zu einer Besetzungsaktion der besonderen Art kommt es in einer Wunsiedler Buchhandlung, die gleich neben dem Stand der Grünen Jugend Oberfranken die rechten Hetz-Zeitschriften „Nationalzeitung“ und „Junge Freiheit“ feil bietet. Nach einer längeren Diskussion mit der Verkäuferin setzt Omid Nouripour – Mitglied im Bundesvorstand der Grünen – ein praktisches Zeichen demokratischen Widerstands. Er kauft alle Exemplare der rechten Druckmittel auf und wirft sie in den Papierkorb.
Dort landen nach Meinung vieler Redner vom Samstag auch die juristischen Bemühungen der Rechten gegen den auf Wunsiedler Druck – hier glänzte Landrat Seißer als gewiefter Jurist – ergänzten Volksverhetzungsparagraphen im Versammlungsrecht. Der erst hatte das fröhliche Feiern ermöglicht, weil er eine Verbotsgrundlage für die Heß-Großkundgebungen der Nazis bildet. In die Feiern am Samstag sind auch die beiden Kirchen engagiert eingebunden. Vor der großen Friedensdemo hatten sich rund 300 Gläubige zu einem Open-Air-Gottesdienst versammelt.
Später gibt es ein dickes Lob für den Wunsiedler Widerstand aus berufenem Mund: Der parlamentarische Innen-Staatssekretär Dr. Christoph Bergner dankt den Bürgern im Namen der Bundesregierung. Als Vertreter der bayerischen Staatsregierung mahnt Oberfrankens Regierungspräsident Hans Angerer, deutlich Flagge gegen „den dummen, aber gefährlichen Rechtsextremismus“ zu zeigen.
Im Keim erstickt
Weniger Flagge als in den Jahren zuvor muss die Polizei zeigen. Präsidiums-Sprecher Wilfried Dörfler nennt denn auch die komplette Veranstaltung „absolut friedlich“. Zehn Personen aus der regionalen rechten Szene werden vorläufig in Gewahrsam genommen. Darunter drei Männer und eine Frau, die im Großraum Wunsiedel Aufkleber mit der Aufschrift „Rudolf-Heß-Straße“ geklebt hatten.
Schnell endet ein kleiner brauner Spuk am späten Nachmittag im nahen Ortsteil Schönbrunn: Dort wollen 23 auswärtige Neonazis eine alternative Heß-Gedenkfeier halten, die von Einsatzkräften im Keim erstickt und beendet wird. In Wunsiedel endet der Tag der Demokratie am Marktplatz mit dem viel beachteten Auftritt des Nazi-Aussteigers Matthias Adrian. Zum letzten Programmpunkt des friedlichen Feier-Tages geht es dann richtig ab: Beim Jugendinitiative-Konzert „Aufstehn gegen Nazis“ sorgen vier Bands und 250 begeisterte Zuhörer in der Fichtelgebirgshalle für einen tollen Schlussakkord.
Groß und klein zeigten sich bunt statt braun: Mit einem riesigen Plakat machten die Grünen gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten klar, was sie von Nazis halten.
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Dieser Artikel ist in folgender/n Ausgabe/n erschienen:
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