Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/22890, 29.09.2020
Antrag der Abgeordneten Claudia Müller, Annalena Baerbock, Katrin Göring-Eckardt, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Monika Lazar, Steffi Lemke, Stefan Gelbhaar, Stephan Kühn (Dresden), Kai Gehring, Beate Müller-Gemmeke, Filiz Polat, Ulle Schauws, Ekin Deligöz, Sven-Christian Kindler, Markus Kurth, Sven Lehmann, Stefan Schmidt, Luise Amtsberg, Lisa Badum, Matthias Gastel, Erhard Grundl, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Christian Kühn (Tübingen), Tabea Rößner, Margit Stumpp, Markus Tressel, Beate Walter-Rosenheimer, Gerhard Zickenheiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Friedliche Revolution hat Deutschland in seiner jetzigen Form erst ermöglicht. Der Mut der Menschen in der DDR für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung auf die Straßen zu gehen, ist einmalig in der deutschen Geschichte und international hoch anerkannt.
Aus „Wir sind das Volk“ wurde im Jahre 1990 „Wir sind ein Volk“, Ausdruck des mehrheitlichen Wunsches der ostdeutschen Bevölkerung nach der deutschen Einheit und der damit verbunden geglaubten Stabilität.
Für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gab es keinerlei Blaupause oder Präzedenzfall. Aus zwei Systemen sollte eins werden.
Die dafür erforderlichen Anpassungen des Rechts-, Wirtschafts- und Sozialsystems wurden mit zwei Staatsverträgen und schließlich dem Beitritt am 3. Oktober vollzogen. Die Einheit Deutschlands war hergestellt, aber der Einigungsprozess, ein beispielloser Transformationsprozess, der alle gesellschaftlichen Bereiche erfasste, sollte damit erst beginnen. In diesem Prozess haben wir in den vergangenen 30 Jahren Großartiges in unserem Land erreicht, aber er hat in Ost wie West auch große Leistungen erfordert. Gerade von den Menschen in Ostdeutschland, deren gewohnter Alltag sich binnen kürzester Zeit rapide veränderte und deren Biographien oftmals Brüche und tiefe Einschnitte erhielten, verlangte dieser Prozess viel.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es noch immer viele regionale Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, ein Gefälle im Durchschnittseinkommen zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland, ebenso wie eine unausgewogene Beteiligung und Teilhabe der verschiedenen regionalen Gruppierungen und nationalen sowie gesellschaftlichen Minderheiten in Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen der Gesellschaft.
Deutschlands Gesellschaft heute ist vielfältig in vielerlei Hinsicht. Die Eliten unseres Landes bilden diesen Schatz der Diversität derzeit jedoch nur ungenügend ab, nur 1,7 Prozent der Spitzenpositionen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur werden von Ostdeutschen besetzt.
Noch schlechter fällt die Bilanz für Menschen mit Migrationsgeschichte und für die nationale Minderheit der deutschen Sinti und Roma aus. Sie sind eklatant unterrepräsentiert in Deutschlands Parlamenten sowie in den Führungsebenen unseres Landes.
Gemäß dem Ruf der DemonstrantInnen 1989/1990 – „Wir sind ein Volk“ – ehrt der Prozess des Zusammenwachsens unseres Landes, dass Herkunft und persönlicher Hintergrund nicht über gesellschaftlichen Aufstieg und berufliche Karrieren entscheiden dürfen. Dort, wo Bevölkerungsteile nicht angemessen ihre eigenen Interessen vertreten oder entsprechend repräsentiert werden, muss durch Gesetzgebung nachgesteuert werden.
Auch 30 Jahre nach der deutschen Einigung unterscheiden sich die kollektiven Erinnerungen und Interpretationen zwischen Ost- und Westdeutschland hinsichtlich der deutschen Teilung und der friedlichen Revolution... [lesen]