Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (BT-DRS: 17/8166)
Persönliche Erklärung der Abgeordneten Agnes Brugger, Beate Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Maria Klein-Schmeink, Ulrich Schneider, Agnes Krumwiede, Dorothea Steiner, Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Monika Lazar, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Anton Hofreiter, Lisa Paus
Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben und fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser großer Dank und unsere Wertschätzung.
Das vorliegende Mandat setzt die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und gezielten Tötungen fort. Wir stimmen gegen einen solchen Militäreinsatz, der zur Gewalteskalation beiträgt und kontraproduktiv für die Erreichung des Ziels einer Stabilisierung Afghanistans ist. Unsere Ablehnung des Mandats ist nicht gleichzusetzen mit der Forderung nach einem Sofortabzug, die wir ausdrücklich zurückweisen, da dies die Situation in Afghanistan destabilisieren würde.
Vor einem Jahrzehnt begann die Operation Enduring Freedom (OEF) und der ISAF-Einsatz in Afghanistan, an dem sich die Bundeswehr beteiligt. Sicherheit und Stabilität sind jedoch in Afghanistan nicht eingekehrt. Im Gegenteil, die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert.
Auch das vergangene Jahr war geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seiten und Taliban und andere Aufständische auf der Anderen. Zwar ist die Bedrohungslage im Süden am höchsten, jedoch auch im deutschen Einsatzgebiet im Norden Afghanistans hat sie sich weiter deutlich verschlechtert. Brutale Anschläge auf die Zivilbevölkerung
gehören zum Alltag in Afghanistan. Dem letzten Bericht der Beobachtermission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) zufolge hat sich die Zahl der zivilen Opfer 2011 in Afghanistan insgesamt nochmals um 15% erhöht. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Doch auch die Anzahl der zivilen Opfer von ISAF-Luftschlägen hat sich erhöht.
Trotz einiger Erfolge beim zivilen Aufbau, ist das Zivile dem Militärischen noch immer untergeordnet. Die UN-Mission UNAMA in Afghanistan ist im Vergleich zur NATOMission völlig unterfinanziert. Bei der Unterstützung des Aufbaus eines funktionierenden afghanischen Sicherheitsapparats kommt der Polizeiaufbau viel zu kurz. Aber auch die verschlechterte Sicherheitslage, die politische Instabilität des Karzai-Regimes und grassierende Korruption hemmen die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit und des zivilen Aufbaus in Afghanistan. Mit großer Sorge erfüllt uns die Frage, wie gesichert werden kann, dass in der Zeit nach dem Abzug 2014 das internationale Engagement für den Aufbau in Afghanistan fortgesetzt werden kann. Die Finanzierung sollte zumindest auf dem bisher erreichten Niveau gewährleistet bleiben. Die afghanische Bevölkerung muss dabei im Mittelpunkt der Zusammenarbeit
stehen. Auch die Koordination des zivilen Aufbaus muss dringend verbessert
werden. Es bedarf eines Gesamtkonzepts und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die Wirtschaftsentwicklung Afghanistans. Dabei muss sich an den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung und Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Der für die afghanische Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor muss besonders berücksichtigt werden. Auch die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems und der Ausbau von hoch- und Berufsschulen sollten künftig stärker im Vordergrund stehen.
Der Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan setzt ebenso wie der Aufbau des Sicherheitssektors funktionierende Regierungs- und Verwaltungsstrukturen voraus. Es gibt jedoch im vorliegenden Mandat keine Auskunft über den zur Verbesserung bzw. Schaffung solcher Strukturen benötigten deutschen Beitrag. Statt diese Mängel zu beheben wird sogar völlig auf eine nähere Beschreibung des zivilen Engagements Deutschlands in Afghanistan verzichtet.
Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die falsche Afghanistanpolitik der Bundesregierung. Als Mitglieder des Bundestages fühlen wir uns dazu verpflichtet, ein Mandat, das auf Eskalation statt Stabilisierung setzt und somit das Leben der Zivilbevölkerung und deutschen Einsatzkräfte gefährdet, abzulehnen.
Berlin, den 26. Januar 2012