Persönliche Erklärung gemäß § 31 GO-BT zur Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Vertrag vom 2.3.2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion
von Wolfgang Strengmann-Kuhn, Monika Lazar, Hermann Ott, Arfst Wagner und Uwe Kekeritz
Wir sind in einer dramatischen Situation. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen waren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und unzureichend waren. Der Zug der Eurorettung ging bisher an den Kernproblemen vorbei. Bei dem bisherigen Kurs wird sich die Situation weiter verschlechtern. Schlimmer noch: wir drohen vor die Wand zu fahren. Wir brauchen einen Richtungswechsel. Ohne einen Richtungswechsel ist eine Zustimmung zum Fiskalpakt ein großer Fehler und nicht zu verantworten. Auch in dem Länderratsbeschluss vom vergangenen Wochenende heißt es „Voraussetzung für eine Zustimmung zum Fiskalpakt ist, dass die Bundesregierung ihr Krisenmanagement korrigiert“. Für uns ist ein solcher Richtungswechsel nicht zu sehen. Deshalb ist unsere Einschätzung, dass der Fiskalpakt die Krise verschärft und es droht die Gefahr, dass der Euro scheitert. Dem können wir als überzeugte Europäer nicht zustimmen.
Falsche Analysen führen zu falschen Diagnosen. Deswegen wäre für einen Kurswechsel zu allererst eine Veränderung der Analyse notwendig. Die Analyse, wir hätten eine Staatsschuldenkrise, ist falsch und greift zu kurz. Die Höhe der Staatsschulden ist zweifellos ein Problem und muss angegangen werden. Aber nicht die Staatsschulden alleine sind das Problem, so hat beispielsweise Spanien eine geringere Staatsverschulung als Deutschland, sondern die Gesamtverschuldung: des Staates, der Unternehmen, der Konsumentinnen und Konsumenten und nicht zuletzt der Banken. Das ökonomische Problem ist, dass diese Gesamtverschuldung mittlerweile ein vielfaches dessen beträgt, was produziert wird – übrigens auch bei uns.
Aber das ist nur die eine Seite des Problems: Wichtig ist zu verstehen, dass jedes Mal, wenn jemand Schulden macht, auf der anderen Seite ein Guthaben entsteht, also Vermögen. Wenn wir auf der einen Seite eine zu hohe Verschuldung, eine Schuldenblase, haben, gibt es auf der anderen Seite zu viel (Finanz-)Vermögen, eine Vermögensblase. Wir haben also nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch eine Vermögenskrise. Und dieses überschüssige Vermögen ist extrem ungleich verteilt. Es ist sogar soweit, dass die Werte der Ungleichverteilung des Vermögensmögens ein ähnliches Ausmaß erreicht haben wie vor der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er/ Anfang der 30er. Auch die Diskurse über Lösungen ähneln sich. So wurde in Deutschland mit einem strikten Sparkurs die Krise verschärft – mit bekannten politischen Folgen, während die USA mit dem New Deal von Roosevelt mit den drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und nicht zuletzt einer Politik von mehr Umverteilung und sozialer Sicherheit einen Weg aus der Krise gefunden haben.
Zweitens brauchen wir sowohl einen Abbau der Schulden als auch eine Verringerung der Vermögensblase. Wenn auf der einen Seite Schulden, auf der anderen Seite Vermögen zu hoch sind, geht kein Weg daran vorbei gleichzeitig Schulden und Vermögen zu senken. Wenn die Schulden in einem Sektor abgebaut werden, aber dafür auf der anderen Seite entstehen, ändert sich an dem ökonomischen Problem nichts. Um die gleichzeitige Senkung von Schulden und Vermögen zu erreichen, sind im Grundsatz drei Wege möglich. Erstens ein Schuldenerlass wie er in Griechenland stattgefunden hat. Weitere Schuldenerlasse wären allerdings ein Problem, weil dadurch das Vertrauen in den Euro für jeweils weitere Länder sinken würde. Die Krise würde sich verstärken. Zweite Möglichkeit ist Inflation, durch die der Wert von Schulden und Vermögen gleichzeitig sinken würde. Auch das ist kein erstrebenswerter und ökonomisch riskanter Weg. Bleibt drittens: Abbau der Verschuldung durch Umverteilung. Deswegen der Grüne Vorschlag einer Vermögensabgabe, die zur Schuldentilgung verwendet werden soll. Damit sind die Grünen die einzige Partei, die einen konkreten Vorschlag zum Abbau der Schulden vorgeschlagen hat und fordern Vermögensabgaben auch in den anderen Europäischen Ländern.
Einen noch weiter gehenden Vorschlag, den die Grünen übernommen haben, hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft gemacht. Sie schlagen einen Schuldentilgungsfonds vor, mit dem über einen langen Zeitraum die Schulden getilgt werden sollen, die über dem Maastricht-Kriterium von 60% des Bruttoinlandsprodukts liegen. Idealerweise sollte dabei nach unserer Meinung die Tilgung wieder durch eine Vermögensabgabe erfolgen, weil das der ökonomisch sinnvollste Weg wäre. Dadurch würde einerseits das oben beschriebene Problem der Vermögensverteilung angegangen und andererseits ein starkes Signal für einen Abbau der Schulen gesetzt, der Vertrauen schafft.
Ein solcher langfristiger Schuldenabbaupfad ist wesentlich wichtiger als eine Begrenzung der Neuverschuldung. Durch letztere werden ja die Schulden nicht reduziert. Im Gegenteil kann sich durch eine Begrenzung der Neuverschuldung die Situation sogar verschlimmern, wenn überwiegend auf der Ausgabenseite gekürzt wird und Investitionen unterbleiben, wie das zur Zeit in Griechenland, aber auch in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren zu beobachten war. Dadurch wird der Abbau der Verschuldung verhindert und das Problem verschärft sich. Gerade in einer ökonomischen Krise ist dieser Weg fatal.
Drittens brauchen wir einen Green New Deal für Europa mit seinen drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und einen neuer sozialer Ausgleich durch Umverteilung. Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart, verschärft die Krise, die ähnliche Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Und auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Antwort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessenen Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss, also ein Green New Deal sein muss. Dazu gehört erstens endlich eine Regulierung der Finanzmärkte, der Banken und die Austrocknung von Steueroasen, was alles in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. So sind Banken immer noch „too big to fail“ und müssen schon wieder gerettet werden und reiche Griechen schaffen ihr Vermögen in die Schweiz, damit sie nicht besteuert werden können. Zweitens braucht es ein Investitionsprogramm in Infrastruktur, z.B. in Stromnetze, in Windräder, in Solaranlagen , um dadurch die Wirtschaft in den Krisenstaaten zu stärken. Drittens ist aber auch eine Politik für mehr Umverteilung notwendig. Neben der beschriebenen Vermögensumverteilung braucht es einen Aufbau bzw. eine Stärkung von Mindestsicherungsleistungen und der Sozialversicherungen und nicht einen Abbau.
Viertens braucht es Antworten auf eine wichtige Ursache für die Krise: die so genannten außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die eng mit der Verschuldungskrise zusammenhängen. Insbesondere Deutschland hat über Jahre mehr Güter exportiert als importiert, während z.B. Griechenland mehr Güter importiert als exportiert hat. Anders – und etwas vereinfacht ausgedrückt – heißt das: wir haben dauerhaft mehr produziert als wir selber konsumiert haben, während das in Griechenland umgekehrt war. Wir haben also gespart und Vermögen aufgebaut (allerdings nur bei einem Teil der Bevölkerung), während in Griechenland die Schulden gestiegen sind. Oft wird gelobt, dass wir „Exportweltmeister“ sind. Ein dauerhafter Exportüberschuss ist aber wohlfahrtsökonomisch nicht erstrebenswert. Wenn man mehr produziert als konsumiert wird, heißt das Konsumverzicht zugunsten von Sparen und Vermögensaufbau. Das macht nur Sinn, wenn irgendwann das Vermögen wieder abgebaut, wird, und dann mehr konsumiert werden kann. Völlig abstrus wird das Ganze, wenn die Schulden, durch die das Vermögen aufgebaut wurde, nicht voll oder gar nicht zurück gezahlt werden können. Die Exportüberschüsse in Deutschland sind nicht vom Himmel gefallen und sind insbesondere die Folge eine Politik für so bessere „Wettbewerbsfähigkeit“ durch geringere Löhne, um den Export zu steigern. Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und der starke Anstieg des Niedriglohnsektors hängen mit einander zusammen. Das fällt jetzt wieder auf uns zurück. Deshalb wäre die Einführung von Mindestlöhnen eine wichtige Forderung im Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt gewesen.
Unter anderem wegen der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ist eine koordinierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Europäischen Union unbedingt notwendig, um aus der Krise zu kommen und vor allem um weitere Krisen zu vermeiden. Eine gemeinsame Fiskalpolitik darf dabei nicht auf Haushaltspolitik beschränkt bleiben, sondern muss, um effektiv zu sein, auch Kompetenzen in der Steuerpolitik beinhalten. Um zu einer europäischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu kommen, sind umfangreiche institutionelle Veränderungen notwendig, die letztlich nur durch Veränderungen des Europäischen Vertrags möglich sind. Dabei ist wichtig, dass diese Veränderungen mit einer Stärkung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente einhergehen müssen. Das ist alles nicht einfach und schnell zu erreichen. Die Einberufung eines Europäischen Konvents wäre aber ein starkes ökonomisches Signal , dass sofort wirken würde, weil dadurch einer der Grundfehler bei der Einführung des Euros beseitigt würde. Noch stärker wäre das Signal, wenn deutlich gemacht würde, dass das Ziel nicht nur eine Wirtschafts- und Fiskalunion, sondern eine echte politische Union mit einer europäischen Verfassung wäre.
Fünftens muss bereits kurzfristig das Problem gelöst werden, dass die Krisenstaaten Zinsen zahlen müssen, die dazu führen, dass sie gar nicht aus der Schuldenspirale herauskommen können. Die hohen Zinsen führen dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schulden zurückgezahlt werden sinkt. Dadurch steigen die Zinsen noch weiter usw. Dieser Teufelskreis muss unterbrochen werden. Eine Möglichkeit wäre, dass wieder die EZB einspringt und Staatspapiere kauft. Besser wäre es, wenn der ESM eine Banklizenz erhält und dadurch die Staaten mit Krediten zu bezahlbaren Zinsen versorgen kann. Mittelfristig werden nur Eurobonds diesen Teufelskreis durchbrechen können und das notwendige Vertrauen herstellen können, dass die Schulden wieder zurück gezahlt werden können.
Darüber hinaus gibt verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Fiskalpakt, denn er überträgt hoheitliche Rechte dauerhaft auf ein zwischenstaatliches (und nicht demokratisches) Organ. Der Fiskalvertrag sieht keine Kündigungsmöglichkeit vor und dies bedeute gem. Artikel 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass er grundsätzlich nicht einseitig kündbar ist - es gilt der Grundsatz "pacta sunt servanda". Diese unkündbare Übertragung von Hoheitsrechten verstieße deshalb gegen die rote Linie, die das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil gezogen hat. Es ist nicht zulässig, dass zwischenstaatliche Einrichtungen permanent weitgehende Kontrollbefugnisse über den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland erlangen ohne dass dies zunächst über eine Änderung des Grundgesetzes gem. Artikel 146 GG erlaubt worden ist.
Wir sehen die Zukunft Deutschlands in einem vereinigten Europa - wir brauchen mehr Integration, nicht weniger. Allerdings muss dies ein soziales Europa sein, kein Europa der Banken und der Reichen. Nur ein solidarisches Europa wird den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein - nicht nur in Bezug auf das Finanzsystem, sondern auch zur Abwendung der Gefahren für unsere globalen Ökosysteme.
Ohne eine Schuldentilgung, die vor allem an der Einnahmeseite ansetzt und ohne Maßnahmen gegen die hohe Zinsbelastungen gefährdet der Fiskalpakt den sozialen Zusammenhalt in Europa. Schon heute sehen wir die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser rigiden Sparpolitik. Insbesondere in Defizitländern wird durch die hohen Zinsen, die diese nach wie vor bedienen müssen, in Verbindung mit den Vorgaben des Fiskalpakts, ein großer Druck auf die nationalen Regierungen und damit auch auf die Sozialsysteme ausgeübt. Sie können nur mit radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren. Der ausschließlichen Sparpolitik wurden zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit sozial verträglichen Regeln unterlegt. Letztlich wird der Fiskalpakt somit erhebliche soziale Lasten mit sich bringen, die wir nicht hinnehmen können. Massive Einsparungen bei Sozialausgaben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bildungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht zu verschulden haben.
Wir wollen ein „soziale Europa“ und stehen zu den sozialen Zielen, die sich Europa gegeben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarifautonomie und doch wird diese durch die Sparanstrengungen in Griechenland untergraben. Im Rahmen der EU 2020 Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit und Armut vereinbart. Durch den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natürlich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken – das erwarten auch wir. Aber die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer auch die Einnahmeseite in den Blick. Einsparungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich ausgestaltet werden. Die Grundwerte von Europa - soziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für uns auch in der Krise Bestand.
Ohne die genannten weiteren Maßnahmen gefährdet der Fiskalpakt unsere Vision eines sozialen Europas, er verschärft die ökonomische Krise bis hin zu einem drohenden Scheitern des Euros.
Wir lehnen deswegen den Fiskalpakt ab.