Persönliche Erklärung von Beate Müller-Gemmeke und Monika Lazar gemäß § 31 GO-BT
zur Abstimmung des Gesetzes der Bundesregierung über
Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung – RV Leistungsverbesserungsgesetz (Drucksache 18/909)
am 23.05.2014
Eine Reform muss sicherstellen, dass bei der Rente die Verschiedenheit der Lebens- und Erwerbsbiografien und ebenso die unterschiedlichen Belastungen in der Arbeitswelt besser als bisher berücksichtigt werden. Denn es macht einen Unterschied, ob jemand lange Zeit am Bau, in der Altenpflege oder Universitätslehre tätig war und ob jemand mit 15 Jahren oder erst mit 28 Jahren in das Berufsleben eingestiegen ist. Vor dem Hintergrund der Rente mit 67 sind deshalb flexible Übergänge in die Rente notwendig. Die Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren geht insofern in die richtige Richtung und ebenso die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und beim Reha-Budget. Bei der Ausgestaltung aber haben wir Kritikpunkte. Nicht zustimmungsfähig ist für uns aber insbesondere die Finanzierung der Mütterrente, denn angesichts der demografischen Herausforderung hat für uns die Stabilisierung des Rentensystems und ein angemessen hohes Rentenniveau oberste Priorität.
Die Richtung des Gesetzes mit der Rente ab 63 stimmt – die Ausgestaltung und die Finanzierung der Mütterrente aber kritisieren wir. Deshalb können wir weder ablehnen noch zustimmen. In der Konsequenz werden wir uns enthalten.
Die Kosten für die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten in Höhe von rund 6,7 Mrd. Euro jährlich wird die Große Koalition nahezu komplett aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Rentenversicherung finanzieren. Das können wir nur als unverantwortlich und falsch bezeichnen. Denn wenn Leistungen keine Beitragseinnahmen gegenüber stehen, lassen sich die dauerhaft höheren Ausgaben nur vorübergehend mit den Rücklagen der Rentenversicherung decken. Die aufgebauten Reserven sind in kürzester Zeit verbraucht. In der Folge steigen die Beiträge stark und gleichzeitig sinkt das Rentenniveau insbesondere zu Lasten von Familien mit niedrigem Einkommen. Für uns ist es eine zentrale Frage der Generationengerechtigkeit, dass auch die heutigen Versicherten eine realistische Aussicht auf ein angemessenes Rentenniveau haben und vor Altersarmut geschützt werden. Zudem zahlen alle Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung über höhere Rentenbeiträge und geringere Renten für die verbesserten Leistungen. Die in berufsständischen Versorgungswerken versicherten Ärztinnen und Ärzte oder Abgeordnete müssen sich indes nicht an der Finanzierung beteiligen. Wenn sie Kinder erziehen, erhalten sie aber ebenfalls diese Leistungen der Rentenversicherung. Das ist nicht gerecht. Deshalb müssen Leistungen des Familienausgleichs als gesamtgesellschaftliche Aufgabe unabdingbar solidarisch durch Steuermittel finanziert werden.
Das Erreichen einer abschlagsfreien Rente kann nicht unterschiedslos für alle ausgestaltet werden. Deshalb stehen wir uneingeschränkt zur Rente ab 63 Jahren. Wer 45 Jahre das Rentensystem gestützt hat, soll verdientermaßen ohne Abschläge in den Ruhestand gehen können. Die Rente ab 63 Jahren der Großen Koalition ist aber eine Mogelpackung. Sie gilt nur für bestimmte Jahrgänge und steigt schon nach zwei Jahre kontinuierlich wieder auf 65 Jahre. Ungerecht ist auch, dass nicht alle Zeiten von Arbeitslosigkeit gleichermaßen angerechnet werden. Vor allem die vom Wirtschaftsflügel der CDU verhandelte sogenannte rollierende Stichtagsregelung, dass die letzten beiden Jahre der Arbeitslosigkeit nicht auf die 45 Beitragsjahre angerechnet werden, schafft neue Ungerechtigkeiten. Damit werden Personen, die 61 Jahre alt sind und unfreiwillig arbeitslos werden, benachteiligt. Das widerspricht nicht nur der Intention des Gesetzes, der rollierende Stichtag birgt zudem verfassungsrechtliche Risiken.
Für Personen, die in besonderem Maße unter den Herausforderungen eines höheren Renteneintrittsalters leiden, greift die Rente ab 63 Jahren vor allem zu kurz. Angestellte in der Holz- und Kunststoffverarbeitung müssen im Durchschnitt bereits mit 59 Jahren aus dem Erwerbsleben scheiden – oft unfreiwillig. Maurer bereits mit 61 Jahren. Notwendig sind flexiblere Übergänge in die Rente, denn die Arbeitsbelastung ist individuell und auch entlang der verschiedenen Branchen und Berufsgruppen sehr unterschiedlich. Deshalb muss eine solidarische Rentenversicherung die individuelle Leistungsfähigkeit und gesundheitliche Belastbarkeit berücksichtigen und flexible Übergangslösungen in den Ruhestand ermöglichen – beispielsweise eine vorgezogene Teilrente ab 60 Jahre. Hier fehlt der Großen Koalition aber der politische Gestaltungswille. Notwendig wären insbesondere weitgehende Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Hier verlängert die Große Koalition zwar die Zurechnungszeiten um zwei Jahre. Das reicht aber nicht aus. Gerecht wäre generell eine Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge, denn wer arbeitsbedingt krank wird und nicht mehr arbeiten kann, hat dennoch ein würdevolles Leben verdient.
Wir kritisieren an vielen Stellen das Gesetz im Detail, dennoch ist es ein erster Schritt die unterschiedlichen Lebens- und Erwerbsbiografien bei der Rente besser zu berücksichtigen. Eine Zustimmung ist aber für uns nicht möglich aufgrund der äußerst problematischen Finanzierung. Denn damit gibt es nur begrenzt Gestaltungsspielraum für weitere notwendige Maßnahmen gegen Altersarmut – beispielsweise für die Einführung einer Garantierente. Die größte Herausforderung sehen wir insbesondere in der Stabilisierung des Rentensystems, damit das Vertrauen in die Rente über die Generationen hinweg bestehen bleibt. Notwendig wäre eine Demografie-Reserve, um ein angemessenes Rentenniveau zu garantieren, denn alle Menschen haben das Recht auf ein Leben in Würde im Alter.