Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode, 231. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir müssen Rassismus erkennen, beim Namen nennen und konsequent ächten.
Rassismus ist menschenfeindlich und kostet auch heute noch in Deutschland Leben. Das belegen die Erkenntnisse rund um die rechte Terrorserie der NSU, die mindestens zehn Todesopfer forderte. Es ist beschämend, dass die offenkundig rassistischen Hintergründe dieser Morde jahrelang ignoriert und verleugnet wurden.
Insgesamt haben mindestens 182 Menschen in Deutschland seit 1990 ihr Leben verloren, weil sie nicht in das rassistische Weltbild der Täter passten. Die aktuelle Strafrechtsbestimmung gegen Rassismus führt in Deutschland immer noch dazu, dass rassistisch motivierte Straftaten oft nicht als solche untersucht werden.
Wir fordern die Bundesregierung auf, eine lückenlose Aufklärung aller rassistischen Straftaten voranzutreiben. Neben der Aufarbeitung des Versagens der Sicherheitsbehörden muss entschieden und kontinuierlich gegen jegliche Form von Rassismus in Deutschland vorgegangen werden.
Rassistische Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit beschränken sich bei weitem nicht auf Neonazis, sondern sind in der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft breit verankert.
Wissenschaftliche Untersuchungen, wie die "Deutschen Zustände" der Universität Bielefeld oder „Die Mitte im Umbruch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen dies: Rassistisches Denken und eine abwertende Haltung gegenüber anders Denkenden, Lebenden und Liebenden sind leider fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft.
Viele Menschen werden weiterhin Tag für Tag aus rassistischen Gründen diskriminiert, entwürdigt und ihrer Rechte beraubt. Rassismus bedeutet für die Betroffenen konkrete Benachteiligung z.B. in der Arbeitswelt oder in der Schule.
Eine Studie der Universität Konstanz von 2010 belegt, dass Bewerberinnen und Bewerber aufgrund eines türkischen Nachnamen bei gleicher Qualifikation deutlich schlechtere Chancen haben.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet, dass sich die Fälle von ethnischer Diskriminierung in den ersten sechs Jahren ihres Bestehens verdoppelt haben. Die Bundesregierung muss endlich mit konkreten Maßnahmen gegen jede Form von Rassismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit tätig werden.
Bereits 2001 hat unter der Leitung der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte die dritte „Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz“ in Südafrika stattgefunden.
In der Abschlusserklärung hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufzustellen und konkrete Maßnahmen zu implementieren. Mit einer sechsjährigen Verspätung hat sie es erst 2007 geschafft, einen „Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ zu erarbeiten und 2008 zu verabschieden.
Die Bundesregierung hat sich nicht nur viel Zeit für die Erarbeitung des Aktionsplans gelassen, sondern es auch versäumt konkrete Ziele zu formulieren.
Der Aktionsplan enthält weder eine Analyse der aktuellen Situation in Deutschland noch konkrete Maßnahmen und Instrumente zur Bekämpfung von Rassismus. Stattdessen wird Rassismus mit Integrationsdefiziten von Migrantinnen und Migranten gerechtfertigt und dem Aktionsplan ein zu eng gefasster Rassismusbegriff zugrunde gelegt, der sich überwiegend auf rechtsextreme Handlungen beschränkt. Dies wurde bereits 2007 von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen kritisiert, geändert hat sich daran bisher nichts.
Stattdessen zeigen die Ergebnisse der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ oder die Plakataktion „Vermisst“ des Bundesinnenminister Friedrich, dass die Regierung weiterhin versucht, die Migrantinnen und Migranten selbst für ihre Diskriminierungserfahrungen verantwortlich zu machen, statt Rassismus beim Namen zu nennen und zu bekämpfen.
Mit der Implementierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind Schritte in die richtige Richtung begangen worden.
Es ist aber weiterhin weder eine umfassende Strategie noch eine ernstgemeinte Bekämpfung von Rassismus durch die aktuelle Bundesregierung festzustellen. Rassismus darf sich nicht in unserer Gesellschaft breit machen und Menschen nicht länger aufgrund von Zuschreibungen ausgegrenzt und benachteiligt werden.
Der Antrag des SPD verweist deshalb zurecht auf eine dringend notwendige Weiterentwicklung des Aktionsplans, die Bündnis 90/Die Grünen unterstützen.
Notwendig sind eine konsequente und offene Auseinandersetzung mit Rassismus sowie eine umfassende Analyse der aktuellen Situation in Deutschland und ein kontinuierliches Monitoring.
In einem zweiten Schritt gilt es, konkrete und verbindliche Maßnahmen und Instrumente zur Bekämpfung von Rassismus zu implementieren.
Ein konsequent umgesetzter Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus wäre ein wichtiges Signal, dass sich die Politik in Deutschland klar und eindeutig gegen Rassismus positioniert.
Um Rassismus und andere menschenfeindliche Haltungen erfolgreich zu bekämpfen, brauchen wir aber insbesondere eine starke Zivilgesellschaft und die Verstetigung bisher bereits erfolgreich arbeitender Strukturen.
Kontinuierliche Aufklärung, Sensibilisierung, Beratung und politische Bildung müssen ermöglicht und ausreichend finanziert werden.
Wir fordern deshalb ein Bundesprogramm gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, das mit 50 Millionen Euro jährlich ausgestattet und langfristig angelegt ist.