Deutscher Bundestag, 192. Sitzung vom 19.11.2020, TOP 11, ZP 10 Bundesarchivgesetz/SED-Beauftragter
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Roland Jahn! Liebe weitere Gäste auf der Tribüne! Nach langen Beratungen sind wir nun endlich an dem Punkt, das Gesetz zu verabschieden. Zuerst möchte ich mich für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken, die gezeigt hat, dass uns das Thema wirklich am Herzen liegt. Besonders möchte ich mich bei Katrin Budde von der SPD-Fraktion bedanken. Ebenso herzlichen Dank an die Sachverständigen der Anhörung von vor zwei Wochen, von deren Empfehlungen wir noch einige Aspekte mit in den Änderungsantrag aufnehmen konnten.
Die Stasiakten haben mittlerweile eine bewegte Geschichte; einiges wurde hier ja schon vorgetragen. Vor über 31 Jahren sorgte die Friedliche Revolution für das Ende der SED-Diktatur. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stasi mussten nun fürchten, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Deshalb begannen sie bereits im November 1989 mit der Vernichtung der Akten. Erst die Besetzung der Stasizentrale und der Standorte der Kreis- und Bezirksverwaltungen stoppte das.
Nur dem Mut der Entschlossenheit der Besetzerinnen und Besetzer, der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler ist es zu verdanken, dass wir heute überhaupt über den Umgang mit den Unterlagen diskutieren können. Denn - Katrin Budde hat es ausgeführt - die Besetzungen bedeuteten eben nicht das Ende des Streits über den Umgang mit den Akten. Erst nach langen Auseinandersetzungen entschloss man sich, die Stasiunterlagenbehörde zu schaffen. Damit konnten die überwachten und verfolgten Menschen Einblick in ihre Akten nehmen. So kam das Ausmaß der paranoiden Überwachung der Gesellschaft endlich ans Licht. Es war und ist richtig und unerlässlich, den Betroffenen wenigstens im Nachhinein die Möglichkeit zur Einsichtnahme zu geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katrin Budde (SPD) und Simone Barrientos (DIE LINKE))
Was wir auch gehört haben, ist, dass es unwürdig wäre, die Akten wie normale Akten zu behandeln. Deshalb hat das Stasi-Unterlagen-Archiv wirklich wichtige Arbeit geleistet, die hier ausdrücklich gewürdigt werden soll.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN und der Abg. Katrin Budde (SPD))
Nur durch den Erhalt der Außenstellen mit und ohne Archiv kann nun die Beratungs- und Auskunftsarbeit weiter gewährleistet werden. Durch die Festschreibung der Außenstellen im Gesetz bleiben die Entscheidungen über die Existenz und die Struktur in der Hand des Bundestages, was sehr wichtig ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Anbetracht der historischen und gesellschaftlichen Relevanz der Akten wäre eine andere Regelung auch nicht tragbar. Besonders freut es mich, dass mit Cottbus auch eine neue Auskunfts- und Beratungsstelle in Brandenburg hinzukommt. Dafür haben sich insbesondere die Brandenburgerinnen und Brandenburger sehr lange eingesetzt.
Das Recht zur Einsicht in die eigene Akte soll weiterhin so niedrigschwellig wie möglich wahrzunehmen sein. Deshalb ist die Anzahl der Außenstellen sehr wichtig. Als Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist uns besonders wichtig, dass die Bildungsarbeit abgesichert bleibt. Und die Außenstellen haben sich zu wertvollen Partnerinnen und Partnern der regionalen Aufarbeitungsinitiativen entwickelt und werden nun mit dem Gesetz auf eine neue Grundlage gestellt.
Aber wir dürfen uns auch keinen Illusionen hingeben: Der Prozess des Übergangs wird weder schnell noch problemlos erfolgen. Von daher ist eine Begleitung des Prozesses nötig. Im Gesetz ist deshalb auch ein Beratungsgremium vorgesehen. In der Anhörung wurde von fast allen Sachverständigen der Wunsch geäußert, dass das Beratungsgremium länger als fünf Jahre arbeiten kann. Durch den vorliegenden Änderungsantrag wird nun die Möglichkeit eröffnet, bei Bedarf das Beratungsgremium länger arbeiten zu lassen, was ich sehr wichtig und gut finde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katrin Budde (SPD))
Auch das Amt der oder des Opferbeauftragten ist sinnvoll und wichtig. Als die Rehabilitierungsgesetze im letzten Jahr reformiert wurden, ist deutlich geworden, wie wichtig und nötig die angemessene Anerkennung und Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur ist. Ich hoffe sehr, dass der oder die zukünftige Opferbeauftragte das Thema im Bundestag immer wieder auf die Tagesordnung setzen wird. Denn klar ist: Der Bundestag wird sich auch in den nächsten Jahren mit dem Thema weiter befassen und befassen müssen. Es ist nämlich wichtig, dass nicht nur wir einen Ansprechpartner haben, sondern vor allem die Betroffenen, die Opfer, die Verfolgten. Vor allem dafür ist die Stelle da, und sie muss gut ausgestattet sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katrin Budde (SPD))
Nun bleibt abzuwarten, wie die Integration der BStU-Behörde in das Bundesarchiv ablaufen wird und wie das Amt des Opferbeauftragten ausgefüllt wird. Wir sollten keine Angst haben, bei Bedarf nachzujustieren.
Abschließend möchte auch ich Roland Jahn, dem derzeitigen Bundesbeauftragten, und den vorherigen Beauftragten Marianne Birthler und Joachim Gauck für ihre Arbeit ganz herzlich danken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Simone Barrientos (DIE LINKE))
Auch möchte ich den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde für ihre bisherige und für ihre zukünftige Arbeit danken. Ohne deren Tätigkeit wäre die Aufarbeitung so nicht möglich gewesen. Ohne die mutigen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, ohne die Menschen, die später die Offenlegung des SED-Unrechts vorangetrieben haben, wäre die Forderung "Meine Akte gehört mir" nur eine hohle Phrase gewesen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP und der Abg. Simone Barrientos (DIE LINKE))