TOP ZP 1 Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
157. Sitzung vom 24.02.2016 | 13:47:00 Uhr | Dauer: 00:05:04
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Hetze und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung. Das gilt selbstverständlich auch für die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen in der letzten Woche.
Als sächsische Abgeordnete weiß ich, dass in Sachsen schon seit langem etwas schiefläuft. Der Freistaat gehört zu den traurigen Spitzenreitern bei rassistischen Straftaten. In solch einem gesellschaftlichen Klima ist es wichtig, jeglicher Form von Rassismus eine unmissverständliche Absage zu erteilen, sich mit den Opfern zu solidarisieren und sie mit allen staatlichen Mitteln zu schützen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber was ist in den letzten Tagen alles schiefgelaufen? Die Pressekonferenz des Polizeipräsidenten Reißmann am Samstag ist ein sehr plakatives Beispiel für die nicht vorhandene Fehlerkultur bei der sächsischen Polizei. Auch mit Blick auf den Betreiber der Flüchtlingsunterkunft kann man ins Grübeln kommen. Herr Hetze von der AfD - ein bezeichnender Name -, der schon bei flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen in den letzten Monaten als Redner auftrat, wird zwar am Montag vom Landrat von diesem Posten abberufen, aber nicht, weil er Fehler gemacht hat, sondern zum Schutz seiner Person. Wer bitte soll das verstehen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Auch die sächsische CDU zeigt sich leider wieder besonders realitätsfern, diesmal zum Beispiel die Kollegin Bellmann, die heute auch anwesend ist. Sie beklagt bei Focus Online: Wenn die Antifa Schilder besprühe, werde das medial kaum beachtet. Und weiter: "Wenn auf Veranstaltungen ,Wir sind das Volk' gerufen wird, spricht man sofort von Mob und ,verbaler Gewalt'. - Als eine, die 1989 in Leipzig auf die Straße gegangen ist, bin ich wütend, dass diese Rufe in Clausnitz und auch in Dresden und Leipzig ertönen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU))
Denn das hat mit dem Anliegen der Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 rein gar nichts zu tun.
(Zuruf der Abg. Veronika Bellmann (CDU/CSU))
Wie hat nun Ministerpräsident Tillich auf diese Ereignisse reagiert? Zuerst, wie meistens, gar nicht, und dann kam ein Vergleich der rassistischen Demonstrationen mit den Protesten gegen Stuttgart 21.
(Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich!)
Das ist eine Verharmlosung von Rassismus und eine Kriminalisierung legitimer Bürgerproteste.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Dann nahm Herr Tillich alle Bürger in die Pflicht und forderte mehr Zivilcourage. Das ist richtig. Aber wer der Zivilgesellschaft Steine in den Weg legt, wie es in Sachsen seit Jahren passiert, hat wieder einmal nicht bemerkt, was zu tun ist.
Ich begrüße die Bemühungen von Ministerin Schwesig um die Verdopplung der Mittel des Bundesprogramms "Demokratie leben!". Allerdings nutzt das nur dann etwas, wenn das Geld bei den Initiativen auch ankommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ausgerechnet für Sachsen gibt der Bund durch das Programm "Demokratie leben!" zurzeit gar keine Bescheide aus. Schuld daran sind die sächsischen Ministerien, die sich über Nebensächlichkeiten streiten und damit die Förderung blockieren. Deshalb liegt in Sachsen momentan nicht nur die zivilgesellschaftliche Projektarbeit brach. Zwar arbeiten die Koordinierungs- und Fachstellen seit Anfang des Jahres auf Hochtouren, aber ohne Geld. Angesichts dieser Zustände sind Tillichs Reden nur wohlfeile Lippenbekenntnisse.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es fehlt noch immer eine klare Haltung. Eine solche Haltung hätte ich mir spätestens gestern bei seiner Pressekonferenz gewünscht.
Die Anhäufung von Fehlverhalten und Peinlichkeiten in Sachsen fällt besonders auf und wird politisch und medial stark beachtet. Es wäre aber ein großer Fehler, solche rassistischen Vorfälle zu einem reinen Sachsenproblem zu stilisieren. Wir alle wissen: Leider ist Rassismus ein Problem in ganz Deutschland. Flüchtlingsfeindliche Parolen finden überall erhebliche Zustimmung. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte finden bundesweit statt. Die AfD liegt in Umfragen - auch in westdeutschen Bundesländern - häufig im zweistelligen Bereich. Aus Studien von Heitmeyer, Brähler, Decker wissen wir das seit Jahren. Aber sichtbar ist, dass es in letzter Zeit immer dramatischer wird.
Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Demokratieoffensive.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Politik und Staat müsse gemeinsam antirassistische Vorbildwirkung entfalten und zeigen, was Demokratie bedeutet. Wer heutzutage von Demokratie redet, darf über Willkommenskultur, Integration und antirassistischem Engagement nicht schweigen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)