198. Sitzung des Deutschen Bundestages, 11.11.2016
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind noch immer viele Fragen unbeantwortet. Wurde seitdem genügend dafür getan, um rechten Terror künftig zu verhindern? Was hat sich seitdem in den Behörden und unserer Gesellschaft verändert?
Positiv ist, dass die Sensibilität für rechte Gewalt an vielen Stellen gewachsen ist. Die mediale Berichterstattung über Rassismus und Gewalt erfolgt kontinuierlicher als noch vor einigen Jahren. Strukturen gegen rechts werden solider gefördert, auch wenn im Detail weiterhin Luft nach oben ist. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt. Im Gegenteil: Die aktuellen Entwicklungen geben Anlass zur Sorge.
2015 stieg die Zahl rechter Gewalttaten laut BKA um mehr als 44 Prozent auf 1 485 Fälle. Die Dunkelziffer ist höher, wie Erhebungen aus der Zivilgesellschaft belegen. Neonazis schlagen immer brutaler zu. Bis Anfang Oktober dieses Jahres gab es bereits elf versuchte Tötungsdelikte und damit vier mehr als im gesamten Jahr 2015. Mehrere Delikte richteten sich gegen Geflüchtete und Migranten, die zu den Hauptzielen rechter Attacken gehören.
Die Brutalisierung und Häufung rassistischer Gewalt kommt aus einer Gesellschaft heraus, in der die Abwertung bestimmter Menschengruppen zunehmend salonfähig erscheint. Im Juni wurden mit der aktuellen „Mitte“-Studie wieder alarmierende Ergebnisse präsentiert. Demnach hat eine deutliche Radikalisierung stattgefunden, vor allem in Bezug auf Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma. Ein zentraler Befund der Studie ist die enthemmte Gewalt in den zu Rechtsextremismus neigenden Milieus. Diese haben in AfD und Pegida eine politische Heimat gefunden, sodass sie massiver und organisierter auftreten können.
Wenn rechter Terror künftig verhindert werden soll, müssen rechtsstaatliche Möglichkeiten konsequent ausgeschöpft werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ebenso brauchen wir wirksame Maßnahmen zum Schutz der Menschengruppen, die besonders von Abwertung betroffen sind. Ein strukturierter Dialog zwischen staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Bekämpfung von Rassismus und Gewalt gehört zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung fördern sollte. Aber es gehört auch unsere gesamte Gesellschaft in den Blick. Rassistischer Hass und Gewalt gehen uns alle an, nicht nur die direkt davon Betroffenen.
Die diesjährige Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Carolin Emcke sagte darüber in ihrer Dankesrede ‑ ich zitiere ‑:
Dieser ausgrenzende Fanatismus beschädigt nicht nur diejenigen, die er sich zum Opfer sucht, sondern alle, die in einer offenen, demokratischen Gesellschaft leben wollen. Das Dogma des Homogenen, Reinen, Völkischen verengt die Welt. … Es versieht die einen mit wertvollen Etiketten und Assoziationen und die anderen mit abwertenden.
Wer in einer so engen Gesellschaft nicht leben will, muss aktiv gegensteuern.
Um Taten wie die des NSU zu verhindern, muss viel getan werden; aber es genügen nicht Überwachung und Repression. Notwendig sind außerdem die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Kräfte, die eindeutige Distanzierung von rechtspopulistischen Diskursen sowie eine lebensnahe Vermittlung unserer demokratischen Werte und politischer Bildung.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)