Monika Lazar bei der Ausstellung "Alltägliches aus 1989" in der Frauenkultur e.V. Leipzig anlässlich des 20. Jahrestages der "Wende"

Monika Lazar
1989: 22 Jahre alt, ledig, Studentin an der Handelshochschule Leipzig


In der Minderheit zu sein, fällt mir nicht schwer. Ich habe das in der DDR gelernt.
1989 studierte ich in Leipzig an der Handelshochschule im letzten Studienjahr. Die Handelsschule war mitten im Zentrum. Die meisten waren Genossen und Genossinnen. Ich war als eine von ganz wenigen nicht in der Partei. Ich war auch überrascht, dass es mit dem Studium geklappt hat. Meine Eltern waren damals mit einer Bäckerei selbständig. Bei der Zulassung zur EOS, zum Abitur, musste mein Vater erst ein bisschen Krach schlagen - nach dem Motto, die Zensuren sind doch gut. Aber man war in der Minderheit. Von daher sage ich mir auch heute - als Grüne ist man ja häufiger in der Minderheit - mir fällt das nicht schwer. Ich habe das in der DDR gelernt und es hat mir auch Kraft gegeben.

Das ist die Stelle, wo du jetzt richtig bist!

Seit '88 ging ich in Abständen zum Friedensgebet in die Nikolaikirche. Es hat mich schon immer interessiert, als einzige unserer Seminargruppe. Eine Ausreise wäre für mich nie eine Alternative. Als '89 die Leute über die Botschaften - Ungarn, CSSR - raus sind, dachte ich: Das will ich nicht. Ich bleibe hier. Das wurde mir immer bewusster im Sommer '89. Und als es die Möglichkeit gab, in Leipzig auf die Straße zu gehen, sagte ich: Genau das ist es. Das ist die Stelle, wo du jetzt richtig bist!

In der Hochschule wurde öffentlich aufgerufen, sich nicht an "konterrevolutionären Aktionen" zu beteiligen. Da fielen drastische Worte. Aber mir war das egal. Am 25. September, wo auch das erste Mal versucht wurde, aus der Nikolaikirche heraus eine Demo zu machen, war ich dabei. Meinen Eltern sagte ich das nie, weil sie dann immer Angst hatten. Am 2. Oktober, da hatte mein Bruder Geburtstag. Die Demo ging bis zur Blechbüchse. Dort war Stop und ich bin über die Hinterhöfe abgehauen, weil ich keine Lust hatte, einkassiert zu werden. Habe mein Fahrrad geschnappt und bin völlig aufgewühlt nach Hause gefahren. Als ich zuhause zur Feier kam, hatte man dort keinerlei Verständnis für mich. Ich war völlig schockiert: Ich hatte etwas Einmaliges erlebt, auch irgendwie Angst gehabt. Emotional noch total aufgeladen. Und dann kommt man nach Hause und die feiern ganz normal Geburtstag. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Vor dem 9. Oktober war die Stimmung total aufgeheizt. Meine Mutter meinte, ich solle da bloß nicht hingehen. Ich wusste, meine Eltern haben Angst um mich. Damals gab es auf der AGRA-Markkleeberg Hallen, die für Inhaftierte frei geräumt wurden. Als es friedlich blieb, hat irgendetwas plumps gemacht. Ich dachte: Jetzt ändert sich wahrscheinlich wirklich was.

Demonstriere ich noch mit den richtigen Leuten?
Als die Grenze offen war, veränderte sich was. Aus Wir sind das Volk wurde Wir sind ein Volk, die schnelle Wiedervereinigung wurde gefordert, da dachte ich: Jetzt bekommst du den Kohl, das kann ja auch nicht sein. Ich wollte auch jetzt die DDR nicht bewahren, aber die Tendenz, die die Montagsdemos annahmen, hat mir nicht gefallen. Erst recht nicht, als nationalistische Töne reinkamen. Ich dachte: Wie furchtbar schnell das geht! Vier Wochen vorher war man sich noch einig und auf einmal fragte ich mich: Demonstriere ich noch mit den richtigen Leuten? Ich ging aber trotzdem immer hin, weil ich dies den anderen nicht überlassen wollte. Die letzte Demo war am Montag vor der letzten DDR-Volkskammer-Wahl im März 1990.

Jetzt gehörst du wieder zur Minderheit...
Ich war 1990 Wahlhelferin, war im Wahlbüro und dort im Vorstand. Ich kann mich noch genau erinnern: Bei der ersten Wahl am 18. März 1990 - ein wunderschöner warmer Frühlingstag - da hast du die Stimmen ausgezählt und gedacht: Jetzt hast du ein emanzipiertes Volk, die wissen, was sie wählen. Und dann kam die Frage: Warum wählen so viele Kohl? Warum wählen so viele CDU - Allianz für Deutschland? Viele im Wahlvorstand, waren GRÜN-nah oder SPD-nah. Wir haben uns angeschaut und gedacht: Das kann nicht wahr sein! Unsere Euphorie war dahin. Da war ich schon ziemlich geplättet. Und dachte: Jetzt gehörst du wieder zur Minderheit. Aber das bist du ja gewohnt, also mach was draus! Heute, wenn ich in meiner eigenen Fraktion immer Mal in der Minderheit bin - so als Ostdeutsche, als eine mit eigenem Kopf - dann sage ich mir, es ist gut, dass solche Leute wie du im Bundestag sind.

Die Gefahr ist heute, dass Demokratie überhaupt nicht geschätzt wird.
Vor zwei Jahren stand ich in Merseburg an einem Wahl-Info-Stand. Da meinte eine Frau, dass sie seit 18 Jahren nicht mehr wählen geht. Seitdem die Leute richtig wählen können, schätzen sie das nicht mehr. Auch eine Demokratie kann ganz schnell wieder abgeschafft werden oder sich ins Negative entwickeln. Und als Bürgerin dieses Landes habe ich auch bestimmte Aufgaben. Die Demokratie lebt von der Beteiligung.

Zum Projekt: Ausstellung "Alltägliches aus 1989"
Der friedliche Gesellschaftsumbruch im Herbst 1989, der von der DDR-Bevölkerung initiiert und getragen wurde, ist historisch gesehen eine der wenigen gewaltfreien Staatsänderungen der Weltgeschichte. Wie bedeutsam und eindrücklich die Ereignisse von 1989 den Menschen der damaligen DDR waren und sind, spiegelt sich heute, 20 Jahre später, in allen Gesprächen und Erzählungen über diese Zeit wider: Voller Emotionen, konkret, bis in winzige Details hinein, berührend und authentisch. Individuelle Geschichten und Biografien werden sichtbar und (be-)greifbar.

Und die Geschichte eines Landes, auch unseres Landes, besteht immer aus den ganz persönlichen Geschichten der Menschen, der Frauen und Männer, die dieses Land durch ihr Zusammenleben zu einer Gesellschaft machen. Die Ausstellung "Alltägliches aus 1989" reflektiert besonders weibliche Sichtweisen. Frauen aus verschiedenen Berufen und Generationen wurden zu alltäglichen Erlebnissen in dieser Zeit befragt. Alle Interviews waren offene erzählende Gesprächsinterviews. Um den authentischen Charakter zu erhalten, wurde bei allen Texten der Original-Ton verwendet.

Die Ausstellung findet statt im Projekt "Mutter sorg' dich nicht. Hier ist alles in Ordnung." Dieses Projekt ist eine Initiative der Sächsischen Staatsregierung und des Soziokulturellen Zentrums Frauenkultur e. V. Leipzig. Gefördert aus Mitteln des Freistaates Sachsen, durch die Sächsische Aufbaubank, die Sparkasse Leipzig und durch das Kulturamt Leipzig.