Dokumentation, gruene-bundestag.de, 20 Jahre, 18.03.2010
Volkskammerwahl 18.3.1990 - Erinnerungen von Monika Lazar
Der 18.3.1990 war ein wunderschöner Frühlingstag. Doch nicht deshalb blieb er mir bis heute unvergesslich, sondern weil ich damals meine erste demokratische Wahl erlebte und mitgestaltete.
In meiner Heimatstadt Markkleeberg (bei Leipzig) leistete ich als Vorsitzende des Wahlvorstands einen Beitrag dazu, dass alles gut funktionierte. Ich war erst 23 Jahre alt und damit die Jüngste in unserem 13-köpfigen Wahlvorstand. Dieser setzte sich aus Engagierten der Parteien, neuen Organisationen und Kirchen bunt zusammen.
Man muss sich vorstellen: Dies war unsere erste echte Wahl, die den Namen wirklich verdiente. Nach Jahren eingeschränkter Meinungsfreiheit in der DDR ein sehr freudiges Ereignis! Die Stimmung im Wahllokal war gut, die Menschen strömten nur so herein. In unserem Wahllokal hatten wir eine Wahlbeteiligung von 90,2 Prozent. Vor diesem Hintergrund macht mich die heute derart gesunkene Wahlbeteiligung besonders betroffen. Als Bundestagsabgeordnete werbe ich auch deshalb immer wieder intensiv bei den Menschen für die Mitgestaltung unserer Demokratie.
Es gab während der Wahl noch die Möglichkeit der "Fliegenden Wahlurne". Für alle, die dies nicht kennen: Ältere und kranke WählerInnen konnten sich vorab anmelden und am Wahltag fuhren je zwei Wahlvorständler zu ihnen in den eigenen Wahlbezirk. Die Zeit bis 18 Uhr verging sehr schnell. Danach erwarteten wir voller Spannung die Auszählung. Aber welche Ernüchterung folgte auf das Ergebnis! Die Mehrheit der WählerInnen hatte der CDU ihre Stimme gegeben! So kurz nach der friedlichen Revolution fand ich dies enttäuschend. Mein Wunsch, dass die neuen Parteien und Organisationen besser abgeschnitten hätten, wurde leider nicht erfüllt.
In meinem Wahllokal lautete das Ergebnis:
CDU: 31,8%
SPD: 23.4%
DSU: 12,5%
PDS: 6,1%
Bündnis 90: 5%
Grüne Partei: 2%.
Gleich darauf kam die nächste spannende Situation: die Weitermeldung des Wahlergebnisses an das Landratsamt nach Leipzig. Was heute simpel erscheinen mag, erwies sich damals als ein aufreibender Akt. Denn die Telefonleitungen waren ständig besetzt! Ich stand also ca. eine halbe Stunde am Telefon in der Berufsschule, wo sich unser Wahllokal befand, und wählte immer die gleiche Nummer – ohne Wahlwiederholungstaste!
Nach getaner Arbeit fuhr ich noch mit einigen aus dem Wahlvorstand nach Leipzig, wo die Wahl gefeiert wurde. So ganz glücklich war ich nicht, da ich mir ein anderes Wahlergebnis vorgestellt hatte. Dennoch war es ein interessanter und bedeutsamer Tag in meinem Leben. Für uns Ostdeutsche kann man 1990 als das Superwahljahr bezeichnen. Ich begleitete die Prozesse bis zum Dezember zur Bundestagswahl fortlaufend im Wahlvorstand. Es hat mir viel Freude gemacht und Erfahrungen gebracht.
Unvergessen bleibt der Reiz dieser ersten freien demokratischen Wahl an einem warmen Frühlingstag!wo sich unser Wahllokal befand, und wählte immer die gleiche Nummer – ohne Wahlwiederholungstaste!
Quelle: www.gruene-bundestag.de
Dokumentation, gruene-bundestag.de, 20 Jahre, 09.10.2009
Monika Lazar über den 9. Oktober 1989
Über diesen entscheidenden Tag in Leipzig ist schon vielgeschrieben und gefilmt worden. Nach meiner letzten Montagsdemo am 2.10. hatten mir meine Eltern die ganze Woche ins Gewissen geredet, nicht wieder hin zu gehen. Das sei gefährlich und ich kann inhaftiert werden. In der Lokalzeitung LVZ gab es eine unglaublich aufgeheizte Stimmung in den Artikeln, es wurde regelrecht gehetzt. Ich habe mir die Artikel aufgehoben, damit ich das nicht vergesse.
Es wurde in der Zeitung, im Radio und im Fernsehen berichtet, dass alle Krankenhäuser in Leipzig und Umgebung alle Kapazitäten zur Verfügung stellen mussten, Notbetten wurden aufgestellt, Blutkonserven wurden herangeholt. Die Kasernen waren voller Soldaten und Bereitschaftspolizei. Alle rechneten mit dem Schlimmsten, dass heute Blut fließt und es Verletzte gibt.
Ich war hin und her gerissen. Zum Glück war ich schon tagsüber in Leipzig in der Innenstadt beim Studium. Es war eine Geisterstimmung. Die Menschen bewegten sich wie in Zeitlupe, in den Seitenstraßen standen Einsatzfahrzeuge der Polizei, die Polizei war voll ausgerüstet, es war beängstigend. Jeder, der an dieser Demo teilnahm, wusste nicht, ob er abends wieder heil nach Hause kommt. Nie werde ich das vergessen. In den Kirchen war eine besondere Stimmung.
Danach ist das meiste bekannt: Es wurde die "Erklärung der sechs" verlesen, u.a. war der damalige Gewandhauskappellmeister Kurt Masur dabei, die alle aufriefen, friedlich zu bleiben. Und was keiner geglaubt hat: Wir konnten um den Innenstadtring laufen und es gab keine Ausschreitungen von Staatsseite aus. Nach diesem Erlebnis war alles anders. Es war für uns alle unfassbar, dass wir dies geschafft hatten. Ich bin froh, in dieser Zeit in Leipzig dabei gewesen zu sein.
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Dokumentation, gruene-bundestag.de, 20 Jahre, 02.10.2009
Monika Lazar über den 2. Oktober 1989
Ich studierte in Leipzig an der Handelshochschule. In den Vorlesungen und Seminaren wurde vor den gefährlichen Demonstranten gewarnt. Alle StudentInnen wurden aufgefordert, nach der letzten Veranstaltung in der Hochschule sofort ins Wohnheim zu fahren und sich ja nicht im Leipziger Stadtzentrum aufhalten. Montag 16.30 Uhr war immer das Treffen der SED-Mitglieder. Die waren schon mal alle weg von der Straße. Fast alle anderen hielten sich auch brav an die Anweisungen. Da ich zu Hause wohnte, war ich der Kontrolle durch die Wohnheime entzogen.
Bei den Montags-Friedensgebeten in der Nikolaikirche war ich schon einige Zeit vorher. Als die Kirche nicht mehr ausreichte, machten die Thomaskirche und die Reformierte Kirche im Stadtzentrum ihre Pforten auf. Alle Kirchen waren rappelvoll.
Der erste Versuch einer Demo, von Leuten, die nicht ausreisen wollten, fand an 25.9. statt. Die Menschen kamen nicht weit. Sie wurden gleich, als sie vor der Nikolaikirche standen, von Polizei und Stasi behindert.
Am 2.10. gab es den ersten erfolgreichen Versuch, um den Innenstadtring zu laufen.
Es war eine unglaubliche Stimmung unter den Menschen. Von der Nikolaikirche zum Hauptbahnhof ging es ganz gut. Es gab Rufe "Gorbi", "Neues Forum zulassen", "Keine Gewalt", und die Internationale wurde gesungen. Nach dem Hauptbahnhof wurde es ungemütlicher. Es ging nicht mehr voran, die Demo wurde gestoppt und die Polizei fing an, Jagd auf DemonstrationsteilnehmerInnen zu machen. Das war auch kein Wunder, denn wir kamen der Stasi-Zentrale immer näher.
Mir gelang es, mich seitlich von der Demo abzusetzen und zu entkommen. Ich schlich durch die Hinterhöfe und Baustellen der Innenstadt zu meinem Fahrrad und war froh, als ich gesund zu Hause war.
Mein Bruder hatte an diesem Tag Geburtstag. Die Wohnung war voller Gäste. Ich kam ganz aufgelöst an und erzählte meine Erlebnisse. Geschockt musste ich feststellen, dass mich keiner verstand. Alle fragten mich, ob ich wahnsinnig sei, mich solchen Gefahren auszusetzen. Meine Eltern hatten Angst um mich.
Für mich war der Abend gelaufen. Zum Mitfeiern hatte ich keine Lust mehr. Noch voll mit meinen Eindrücken ging ich in mein Zimmer und schaute mir die Nachrichten im "Westfernsehen" an.
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