Der DOSB und kleine Brötchen

Pressebericht, sportspitze.de, 03.07.2021

Grünen-Sport-Sprecherin Monika Lazar nimmt Abschied aus dem Bundestag

Berlin, 3.Juli. Parlamentsferien. Da ist es doch einfach, sich auf der grünen Wiese zu verabreden – denkste: Zwischen Wahlkampf und Wahlkampf heißt es für Monika Lazar Kisten packen, Büro auflösen. Umzug ist angesagt. Die Bündnisgrüne wird nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren. „Politik ist eine Tätigkeit auf Zeit, und ich fand, nach 16 Jahren im Bundestag tut ein Wechsel gut.“ Und so steigt sie zusammen mit vielen weiteren KollegInnen und nicht zuletzt mit ihrer ostdeutschen Landsfrau Kanzlerin Angela Merkel freiwillig vom sich immer schneller und manchmal auch hysterisch drehenden Bundespolitik-Karrussell. Die 53-Jährige ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, Sprecherin ihrer Partei für Strategien gegen Rechtsextremismus und Frauenpolitik. Und Sprecherin für Sportpolitik. Es hat dann doch noch geklappt, eine Art Wannsee-Gespräch auf die Reihe zu kriegen, wo es nicht nur um Sport, sondern auch um Brötchen geht.

Monika Lazar ist keine, die sich gerne nach vorne drängt: Sprechblasen zu produzieren, um eine Schlagzeile zu haben, ist ihr Ding nicht. Im Sportausschuss fiel sie anfangs nicht besonders auf nach wortgewaltigen VorgängerInnen wie Viola von Cramon und Özcan Mutlu.

Die studierte Betriebswirtin arbeitete sachorientiert, ruhig, war – bei Hearings und den wenigen öffentlichen Sitzungen des Sportausschuss – vorbereitet. Zumindest ließen ihre kurzen und knappen Fragen diesen Schluss für Außenstehende zu. „Sie ist mit ihrem Amt gewachsen“, sagt ein Ausschuss-Kollege über sie. Ja, und nun steigt sie aus. Frage also angesichts der Turbulenzen in deutschen Sportverbänden: Wie sieht Ihre Bewertung des Sports und seine Entwicklung in der Republik denn aus?

In den Sand gesetzt

„Durchwachsen, würde ich sagen. Einige Großprojekte wurden in den Sand gesetzt.“ Und Monika Lazar zählt auf: „Die Rhein-Ruhr-Initiative um die Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele ist krachend gescheitert. Parallel und anscheinend ohne Absprache zwischen den Projekten hat man versucht, eine Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen auf den Weg zu bringen, die viel zu teuer und zu vage geworden ist, was die Orientierung an konkreten Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsstandards angeht.“

Dann nahm Corona die Welt in Geiselhaft auch „mit massiven Einschränkungen für den Sport und wurde das bestimmende Thema“, sagt Lazar. Ja, die Pandemie, die das „bestimmende Thema wurde“, aber die Lösungsansätze erschöpften sich am Ende dann von Seiten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hauptsächlich in Geldforderungen.

Apropos DOSB: Als hätte man nicht ohnehin alle Hände voll zu tun, waren einige Verbände, unter anderem der Deutsche Fußballbund (DFB), vor allem mit Krisenmanagement in eigener Sache beschäftigt. „Ja, währenddessen gab es die Querelen bei den großen Verbänden DFB und DOSB, die ein desaströses Bild abgaben. Da muss dringend aufgeräumt werden.“

Aber es habe auch „Lichtblicke gegeben, wie das kontinuierliche Engagement von Athleten Deutschland mit wichtigen Impulsen wie zuletzt für ein unabhängiges Zentrum gegen sexualisierte Gewalt im Sport“, freut sich Lazar. Und genau das sind zwei Punkte für die Grüne, die sie unter „Erfolge der Arbeit im Sportausschuss“ abbucht.

Wichtige Impulse

„Ein großer Erfolg ist sicherlich die Förderung des Athleten Deutschland e.V. aus Bundesmitteln. Seitdem gab es von den Athleten und AthletInnen viele wichtige Impulse für die Sportpolitik im Bezug auf Menschenrechtspolitik, für Projekte gegen Rassismus und zur Frauenförderung bis hin für das von Sport- [Organisationen] unabhängige Zentrum für „Safe Sport“ zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt.“ Da sei nun einiges in Bewegung, sagt die Leipzigerin und verweist auf das Grünen-Bundestagswahlprogramm, wo dies gefordert wird. Zwischen Forderung und Umsetzung – das braucht man ja gerade mit PolitikerInnen nicht zu diskutieren – ist ein weiter Weg. Momentan ist die gesellschaftliche Stimmung für solche Vorhaben gut. Aber wird es so bleiben?

Umsetzungsprobleme gibt es aus vielen Gründen: weil plötzlich ein Thema nicht mehr up to date ist. Weil eine Minderheit versucht sich durchzusetzen. Weil Lobbyisten es verhindern, weil…. Da haben sich zum Beispiel CDU/CSU und SPD in ihren Koalitionsvertrag einen klaren Handlungsauftrag zum Thema eSport hineingeschrieben. Aber die Koalitionäre hätten beim „eSport rumgeeiert“. Nicht zuletzt deswegen, weil sie sich viel zu sehr von der abwehrenden Haltung des organisierten Sports zum eSport leiten ließen. Mit ihrem eSport-Antrag hätten die Bündnisgrünen einen Akzent gesetzt, sagt Lazar, die Gemeinnützigkeit für eSport-Vereine gefordert, um dort das ehrenamtliche Engagement zu fördern und anzuerkennen.

Herumgedoktort

Nun mag eSport für viele im organisierten Sport nicht das wichtigste Problem – und momentan schon gar nicht – sein. Das größte Projekt der nun zu Ende gehenden Wahlperiode, das angegangen wurde, war – die Leistungssportreform. Mit dem Ministerwechsel von Thomas de Maizière zu Horst Seehofer und der Ablösung des Abteilungsleiters Sport Gerhard Böhm im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, wurde eine 360-Grad-Drehung vollzogen. Der Minister stellte vor allem den Spaß und die Freude im Spitzensport  in den Vordergrund und führte damit die Reform ad absurdum, die ja mehr Erfolge und Medaillen bringen sollte. Die Runderneuerung des Leistungssports hat sich damit erledigt – und der Sportausschuss schaute dabei zu.

„Nein, erledigt würde ich nicht sagen. Es wird weiter an der Reform herumgedoktert, leider vor allem hinter den Kulissen. Im Sportausschuss haben wir uns ab und an darüber berichten lassen, und vergangene Wahlperiode gab es auch eine öffentliche Anhörung. Ein wirklicher Einfluss des Sportausschusses war aber kaum wahrnehmbar. Außer bei den Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt, die auch auf unseren Druck hin „vor die Klammer gezogen“ wurden, also zur grundsätzlichen Fördervoraussetzung (der Verbände, Red.) gemacht wurden“, erklärt Lazar. „Auch aufgrund der Intransparenz bei der Leistungssportreform haben wir dann die Forderung nach einem Transparenzportal für die Sportförderung des Bundes in Form eines Antrages eingebracht. Es braucht einfach grundsätzlich viel mehr Transparenz darüber, wohin öffentliche Mittel in den Sport und zu welchem konkreten Zweck fließen.“

Nein sagen

Nachfragen, Kontrollieren – auch mal Nein sagen: Der Sportausschuss fiel nun nicht gerade dadurch auf, dass er dem Sport gegenüber konsequent wäre. „Was die Opposition angeht, wurde das Regierungshandeln ja auch kontinuierlich kritisch begleitet. Wir und die anderen Oppositionsfraktionen haben regelmäßig mit schriftlichen Fragen und kleinen Anfragen die Bundesregierung in ihrem Handeln kontrolliert“, sagt Lazar und verweist etwa auf Bürgerrechte von Fußballfans oder Rechtsextremismus im Kampfsport, wo man tätig war. Aber reicht das?

Apropos Engagement gegen Rechtsextremismus. Das ist ein Hauptanliegen von Monika Lazar. Und aus ihrer Sicht kann der Sport hier viel leisten.

„In Vereinen oder auch auf dem Sportplatz werden demokratische Werte vermittelt und gelebt, der Sport ist immerhin der größte Träger der Zivilgesellschaft Hier kommen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen. Das macht zwar nicht „immun“ gegen rechtes Gedankengut, kann aber einen großen Teil zur Wertevermittlung beitragen“, ist die Abgeordnete überzeugt. Besonders im Fußball gebe es viele erfolgreiche Initiativen gegen Rechtsextremismus. „Allen voran die sozialpädagogischen Fußballfanprojekte sind hier zu nennen. Deren Arbeit mit Fußballfans hat entscheidend dazu beigetragen, dass an vielen Standorten das Problem mit rechtsextremen Fans im Stadion deutlich geringer ist als noch in den 1980-er Jahren. Auch von Fanseite selbst wird hier viel getan.“

Lebensnah

Mit vielen der Probleme, die sie als Bundespolitikerin oft eher theoretisch diskutiert hat, wird sie nun in ihrer politischen Rolle als Leipziger Stadträtin sehr praktisch und lebensnah konfrontiert werden. Sie sitzt im Sport-Fachausschuss der Kommune. Und auch Breitensport ist natürlich in erster Linie Aufgabe von Kommunen und Ländern „aber auch der Bund sollte wieder mehr Verantwortung übernehmen. Wir müssen den Sport nach der Pandemie wieder auf die Beine bringen. Dazu gehören dann auch vor allem intakte Sportstätten. Hier muss sich der Bund viel stärker als bisher finanziell bei Sanierung und Instandsetzung beteiligen“, fordert die scheidende Bundespolitikerin.

Bäckerin, Betriebswirtin, Politikerin

Zu tun gibt es also auch in der sächsischen Heimat eine Menge, aber: „Ich hoffe, dass ich etwas mehr Zeit für Dinge habe, die zuletzt zu kurz gekommen sind.“ sagt sie. Da kommt nun neben der Sportpolitikerin und der Betriebswirtin die Bäckerin Monika Lazar ins Spiel. Und wenn man genau überlegt: In allen drei Bereichen backt man ja irgendwie Brötchen, mal kleinere, mal größere, mal schmackhafte, mal verbrannte. Der DOSB etwa derzeit kleine, verkohlte … kommt halt auf die Fähigkeiten der handelnden MeisterInnen und Gesellinnen an.

Monika Lazar hat im elterlichen Betrieb tatsächlich das Bäcker-Handwerk gelernt, als nach dem Studium 1990 in der Endphase der DDR ihr vereinbarter Arbeitsplatz nicht mehr da war. Und nun überraschte sie am 24. Juni im Bundestag ihre KollegInnen mit einer Rede zum Thema „Förderung und Unterstützung des Handwerks “mit einem humorvollem und flammenden Plädoyer für das Handwerk. Und eine besondere Rolle spielten in der Rede Brötchen. Lazar erzählt, wie Ostdeutsche aufgeblasene Westbrötchen probierten, reuig zum DDR-Backwerk zurückkehrten und Westdeutsche treue Kunden für die schmackhaften DDR-Brötchen wurden. Es war ihre letzte Rede im Bundestag. Mit Brötchen. Ohne Sport.Und viel Humor, mit dem sie manchen im Saal wohl überraschte. „Bäcker werden immer gebraucht“, sagt sie am Ende ihrer abwechslungsreichen Berliner Karussellfahrt. Stimmt.

Autorin: Bianka Schreiber-Rietig

[Quelle: https://sportspitze.de/2021/07/03/kleine-broetchen-und-der-dosb/]