Männlich, weiblich – und dazwischen? Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag die Grundrechte intersexueller Menschen ein. Autorin Lien trifft Antragsstellerin Monika Lazar (Bündnis90/Die Grünen) zum Interview und spricht mit ihr über die Hürden, denen intersexuelle Menschen ausgesetzt sind.
Die Autorin Lien Herzog von mitmischen.de, dem Jugendportal des Deutschen Bundestags, mit Monika Lazar im Interview:
Nach Angaben der Bundesrepublik liegt die Zahl der intersexuellen Menschen bei etwa 8.000 bis 10.000. Der Verein Intersexuelle Menschen beziffert die Betroffenen sogar mit 80.000 bis 120.000. Wie kommen diese unterschiedlichen Werte zustande?
Das ist nicht ganz einfach, weil das Themengebiet noch nicht so gut erforscht ist. Man ist sich zum Beispiel noch nicht darüber einig, ab wann ein Mensch intersexuell ist – da es verschiedene Phänomene und Varianten gibt. Deshalb gibt es nicht die eine Zahl. Es ist uns aber wichtig, dass es bei dem Thema nicht auf eine genaue Zahl ankommt, sondern dass die Menschen ernst genommen werden. Da ist es egal, ob es einen oder 10.000 betrifft. Ich glaube nicht, dass die Zahl der Betroffenen die Wertschätzung des Themas beeinflusst.
Sie haben mit Ihrer Fraktion einen Antrag zur Wahrung der Grundrechte von intersexuellen Menschen gestellt. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Antrag?
Wir haben den Antrag bewusst weich formuliert, weil wir wollen, dass möglichst viele „mitgehen“. Wir wollen zum einen, dass der Geschlechtseintrag nicht nur weiblich oder männlich umfasst, sondern dass es ein drittes Feld mit einem leeren Kästchen, der Option offen oder "anderes" gibt. In Australien gibt es zum Beispiel ein Feld mit einem X, das für intersexuell steht.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt in unserem Antrag sind aber die geschlechtszuordnenden oder „kosmetischen“ Operationen, die an Babys und Kleinkindern durchgeführt werden. Diese Operationen dürfen nur noch stattfinden, wenn der Patient in Lebensgefahr schwebt. Das muss im Strafgesetz verdeutlicht werden. Bei den Eingriffen ist es wichtig, dass man wartet, bis das Kind selber für sich entscheidet, ob es ein Junge oder ein Mädchen sein oder so bleiben will. Alles andere muss unterbleiben.
Wie sieht die Regelung bisher aus? Und welche Folgen hat sie für intersexuelle Menschen?
Die Operationen waren bisher eigentlich schon grundsätzlich strafbar und verboten. Nur haben die Ärzte die Operationen durchgeführt mit der Begründung, dass die Kinder sich sonst nicht richtig entwickeln würden. Das Sprichwort besagt: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Solange die Eltern nicht einschreiten, kommt auch der Arzt glimpflich davon. Mit einer Operation ist es außerdem meistens nicht getan. Es folgen Operationen, die sich über mehrere Jahre verteilen. Für die Patienten ist das eine furchtbare Tortur, da es sich um empfindliche Stellen handeln. Da kann schon das einfache Gehen schmerzhaft sein. Ein Sachverständiger in der Anhörung Dr. Woweries sagt auch, dass es keinen medizinischen Grund gibt, warum man bereits bei Kleinkindern operieren muss.
Außerdem wollen wir erreichen, dass die Aufbewahrung der Krankenakten ab der Volljährigkeit auf 30 Jahre aufgehoben wird. In der Vergangenheit wurden nämlich oft intersexuelle Menschen schon im Kindesalter operiert, ohne dass sie es gewusst und jemals erfahren haben.
Intersexualität ist seit jeher bekannt, der Begriff seit Beginn des 20. Jahrhunderts, dennoch gilt es gesellschaftlich als Tabuthema. Warum ist das so?
Gucken wir uns doch mal die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten an. Die Gesellschaft war so reglementiert: Es gab nur Männer und Frauen, die müssen heterosexuell sein und am besten noch verheiratet. Ein gesellschaftlicher Aufbruch war ja schon, als auf einmal die homosexuellen Menschen an die Öffentlichkeit gingen, danach folgten die Transsexuellen und das gleiche erfolgte bei den intersexuellen Menschen. Es hat einfach seine Zeit gebraucht, bis die Gesellschaft toleranter geworden ist und man offen darüber sprechen konnte.
Was muss in Sachen Aufklärung in Deutschland noch getan werden?
Gesamtgesellschaftlich muss besser aufgeklärt werden. Vor allem bei den entsprechenden Berufen. Angefangen bei den Pädagogen, die in den Lehrplänen das Thema Intersexualität einbringen müssen, bis hin zu Ärzten, Juristen und Psychologen. Herr Dr. Woweries hat mal einen schönen Vergleich gebracht: „Intersexualität gibt es fast genauso häufig wie Diabetes. Über Diabetes wissen alle Bescheid, über Intersexualität fast niemand.“ Es muss also ein Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen werden.
Wer kennt das nicht? Man guckt in den Kinderwagen und sagt: „Ach, was ist es denn? Ein Junge oder ein Mädchen?“ Wir sollten auch im Alltag versuchen nicht in den zwei Kategorien zu denken. Zum anderen sollen mit unserem Antrag die Betroffenen und ihre Familie besser unterstützt werden. Die Vereine der intersexuellen Menschen sprechen als mögliche Anlaufstelle zum Beispiel von einer Ombudsstelle aus Psychologen, Ärzten und Betroffenen.
Quelle: www.mitmischen.de